Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat man sich mit der kommunistischen Bewegung in den österreichischen Medien nicht so intensiv beschäftigt wie seit dem überraschenden Sieg der KPÖ mit der Spitzenkandidatin Elke Kahr bei der Grazer Gemeinderatswahl. Die persönlich sympathische, bescheidene und von Kenntnissen der marxistisch-leninistischen Ideologie trotz einer Lenin-Büste in ihrem Büro kaum belastete künftige Bürgermeisterin liefert mit ihren zahlreichen Interviews viel Stoff für Nostalgiker unterschiedlicher Prägung.

Elke Kahr, Spitzenkandidatin der KPÖ bei der Grazer Gemeinderatswahl.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Da kommen zum Zug die Linksromantiker, die an den hohen Blutzoll des kommunistischen Widerstandes erinnern, der sich freilich erst nach dem Bruch des Stalin-Hitler-Paktes (1939–1941) durch den Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion entfalten durfte.

Sie kommentieren auch mit dem Anflug des leisen Bedauerns die Säuberung der Paradeintellektuellen (Ernst Fischer und Franz Marek) durch die Stalinisten der Moskau-hörigen Zwergpartei, die allerdings trotz der blutigen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes (1956) erst zwölf Jahre später nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings durch den Kreml ihre Stimme gegen den "Panzerkommunismus" (Ernst Fischer) erhoben haben.

Skandalöser Vorfall

Dass sich aber der Vizeklubchef der KPÖ im steirischen Landtag, ein führender, langjähriger Funktionär, erdreistet, mit mehreren Fernsehauftritten in der belarussischen Hauptstadt Minsk die übelste und gewalttätigste Diktatur in Europa in Schutz zu nehmen, und dass seine Genossen über diesen skandalösen Vorfall nicht empört sind, sondern statt eines Parteiausschlusses "klärende Gespräche" führen wollen, ist eine unmissverständliche Warnung: Auch die Kahr-KPÖ ist mehr als ein karitativer Verein. Sie bekennt sich trotz halbherziger Abgrenzung im Grunde noch immer zum widerlichen politischen Erbe dieser Partei. Man muss die demokratiepolitisch bedenklichen Entgleisungen bei den Kommunisten mit dem gleichen Maß messen wie rechtsextremistische Fälle bei den Freiheitlichen.

Dass die KPÖ glücklicherweise seit ihrem Ausscheiden 1959 aus dem Nationalrat keine Rolle spielen konnte, war auch die Folge der klaren antitotalitären Linie der SPÖ, vor allem seit der denkwürdigen Eisenstädter Erklärung, formuliert im Oktober 1969 durch den Parteivorsitzenden Bruno Kreisky: "Die Sozialisten sind unbeugsame und kompromisslose Gegner des Faschismus wie des Kommunismus. Sie lehnen jede Diktatur einer Minderheit ebenso ab wie eine die Menschenrechte verletzende Vergewaltigung von Minderheiten durch die Mehrheit."

Der bemerkenswerte Erfolg der KPÖ in Graz war nicht nur ein persönlicher Triumph für Elke Kahr und ihre Mitarbeiter wegen ihrer glaubwürdigen und tatkräftigen Solidarität mit den sozial Schwächsten. Die KPÖ gewann auch dank der Arroganz eines vom Ehrgeiz geblendeten ÖVP-Bürgermeisters Siegfried Nagl. Sein Abschied nach einer schallenden Ohrfeige durch die Bürger (minus zwölf Prozentpunkte) mit der Warnung, er nehme seine "schützende und helfende Hand" zurück, dürfte übrigens einen Ehrenplatz in der Sammlung der geflügelten Worte in der Geschichte der Zweiten Republik einnehmen. (Paul Lendvai, 5.10.2021)