Sind wir Menschen selbstbestimmte Wesen, oder gibt es höhere Mächte, die in unseren Leben die Fäden ziehen? An der Grazer Oper hat gerade das Schicksal die Dinge fest in der Hand. In Eva-Maria Höckmayrs Inszenierung von Verdis La forza del destino trägt die zur Allegorie addierte Akteurin flammend rote Haare zum roten Kleid, und sie feuert den Schuss ab, durch den der Marchese di Calatrava tödlich verletzt wird.
Eigentlich wollte Alvaro, der väterlicherseits verhasste Liebhaber der Grafentochter Leonora, die Pistole in entwaffnender Absicht zu Boden werfen. Der verhängnisvolle Schuss, der durch den Aufprall ausgelöst wird, verdüstert sein Leben und das seiner Geliebten jedoch schlagartig: Leonora flieht in eine klösterliche Klause, und Alvaro wird von Leonoras Bruder Don Carlo jahrelang verfolgt. Man ahnt es vom ersten Akt an: In dieser Oper wird die Sonne des Glücks kaum mehr scheinen. Aber ist das, was folgt, wirklich unabwendbares Schicksal?
Nicht nur die Handlung, auch das verworrene Libretto von Verdis 1869 in der Zweitfassung aufgeführten Oper ist kein Glücksfall: Reichlich Flüche und Racheschwüre, Weihrauch und Büßerinnenlamenti säumen den Pfad zu zwei finalen Todesfällen.
Höckmayr inszeniert das tragische Geschehen vor (und hinter) einem großen goldenen Rahmen samt Seitenflügel und arrangiert einige Chorszenen wie Gemälde alter Meister. Das Regieteam (Bühne: Momme Hinrichs, Kostüme: Julia Rösler) sollte mit neutralem Applaus für seine Arbeit bedacht werden.
Große Oper ohne Mätzchen
Bei den Sängerinnen und Sängern ging es enthusiastischer zu: Jordan Shanahan war ein fulminanter Don Carlo von heldenhaftem Erregungsfaktor und mit kraftvollen, bärenstarken Kantilenen, die er auf noble Weise abzurunden wusste. Aldo di Toro lieh dem Alvaro seine Tenorstimme, die an einen nie versiegenden güldenen Strahl erinnerte. Bei seinen großen Arien beglückte der Italo-Australier mit einer großen Selbstverständlichkeit und Schlichtheit ohne Mätzchen. Große Oper bot auch Aurelia Florian, die als Leonora mit einer enormen dramatischen Bandbreite und Intensität fesselte.
Die Grazer Philharmoniker gaben die Ouvertüre unter der Leitung von Matteo Beltrami eher bedächtig: Da nahm das Schicksal wahrscheinlich noch nicht seinen Lauf, sondern nur Anlauf. Nach der Pause wurden die Dinge zunehmend geschmeidiger und erhitzter. Insgesamt also auch ein großer Erfolg für Nora Schmid, die in ihrer siebenten und vorletzten Spielzeit in Graz noch interessante Werke wie Nico Dostals Clivia, Jaromír Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer und Georg Friedrich Haas’ Morgen und Abend bringen wird. (Stefan Ender, 4.10.2021)