Er hat wahrscheinlich was von der Steuerreform.

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Ein Titel, in dem Gender-Mainstreaming vorkommt, ist gewagt. Die Gefahr ist groß, dass kein Mensch reinliest. Es klingt irgendwie anstrengend und trotz "Gender" ausnahmsweise wenig aufregend.

Steuerangelegenheiten sind auch langweilig – was aber nichts daran ändert, dass sie dennoch alle betreffen. Und so verhält es sich auch mit Gender-Mainstreaming. Das Konzept des Gender-Mainstreaming meint erst einmal nur, dass in allen Lebensbereichen die Interessen von Menschen aller Geschlechter berücksichtigt werden sollen. Auf politischer Ebene bedeutet das, dass dieses Konzept bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen ist. Warum? Um faktische Gleichstellung durchzusetzen. Das ist in Österreich eigentlich Konsens. Die Geschlechterperspektive "sollte" nicht nur berücksichtigt werden, sie muss berücksichtigt werden. Österreich hat sich politisch und rechtlich verpflichtet, die Strategie des Gender-Mainstreaming auf nationaler Ebene umzusetzen. Faktische Gleichstellung ist eine sogenannte Staatszielbestimmung und als solche seit 1998 in Artikel 7 Absatz 2 der österreichischen Bundesverfassung verankert.

Geschlechterpolitik überall

Dazu gehört schlicht, dass die Politik die noch immer existierenden unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern in sämtlichen Politikfeldern berücksichtigt und dass staatliche Entscheidungsprozesse geschlechtsspezifischer Benachteiligung in allen Lebensbereichen etwas entgegensetzen. So zumindest lautet die Theorie.

Womit wir bei der Steuerreform und der Praxis sind. Von den hehren Vorgaben bleibt da nichts. Die Geschlechterperspektive war so egal wie die Verpflichtung zu Gender-Mainstreaming vergessen zu sein scheint.

Denn hätte man darauf geschaut, hätten untere Einkommenskategorien berücksichtigt werden müssen – in diese fallen Frauen öfter. Sie arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Jobs und sind stärker mit unbezahlter Arbeit belastet. Auch der erhöhte Familienbonus fließt zu den ohnehin schon Besserverdienenden. Für mehr Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen und deren Ausbau, weniger Schüler*innen in Klassen und Betreuungsangebote während der Ferien bringt dieser Familienbonus genau nichts. Geld für Familien, und die sollen sich bitte alles selbst organisieren? Wie schnell mit diesem Zugang Grenzen erreicht sind, sahen wir gerade jetzt in der Pandemie. Es braucht verlässliche Strukturen für alle Menschen mit Kindern, insbesondere für Geringverdiener*innen und Alleinerziehende. Nicht Geld für eh schon gut Verdienende.

Und zum Thema Lohnschere: Frauen verdienen durchschnittlich weniger als Männer, somit ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie die Voraussetzung für den Familienbonus nicht erfüllen. Wenn eine Mutter wegen eines nicht steuerpflichtigen Einkommens keinen Anspruch auf den Familienbonus hat, der Vater aber schon, wird der Bonus nicht automatisch aufgeteilt. Diese Lösung "birgt versteckt Vorteile für Männer gegenüber sehr gering verdienenden Frauen", heißt es vonseiten des Momentum-Instituts.

Kann schon mal passieren?

Von der geplanten steuerfreien Gewinnbeteiligung haben Menschen in Gesundheits- und Sozialbereichen, auch vorwiegend Frauen, nichts. Dabei haben die vergangenen anderthalb Jahre gezeigt, wie zentral diese Arbeitsbereiche sind. Gewinnbeteiligungen gehören in diesen Bereichen aber nicht zum Tagesgeschäft.

Und schließlich, ganz allgemein: Frauen profitieren von der Steuerreform etwa um 240 Euro weniger als Männer. Das zeigt ein Vergleich der durchschnittlichen Einkommen von Frauen und Männern, also wieder wegen des Gender-Pay-Gap.

Man kann Gender-Mainstreaming bei einer Steuerreform schon einmal aus den Augen verlieren? Diese Ausrede gilt nicht: 2009 wurde Gender-Budgeting verfassungsrechtlich verankert. Noch so ein Begriff, der zwar in der Versenkung verschwunden ist. Das ändert aber nichts daran, dass es eine rechtliche Grundlage dafür gibt. In diesem Fall für eine geschlechtergerechte Gestaltung des Budgets und eine geschlechtergerechte Verteilung von öffentlichen Mitteln.

Zur Erinnerung: Österreich hat sich auf die Umsetzung einer faktischen Gleichstellung der Geschlechter festgelegt. Diese und auch die Vorgängerregierungen schaffen es allerdings nicht, die Wege einzuschlagen, die dafür nötig sind. Lieber bleibt man in Sachen Geschlechtergerechtigkeit auf den Trampelpfaden des Patriarchats, die sich heute so gestalten, dass man einfach so tut, als hätten die Geschlechter dieselben Lebensumstände, als fänden sie dieselben Bedingungen vor. Wäre schön, ist aber nichts so. Der vollzeitarbeitende Mann, von Frauen von Sorgearbeit freigespielt, bleibt das Maß aller Dinge. Male-Mainstreaming halt, nicht Gender-Mainstreaming. (Beate Hausbichler, 7.10.2021)