Unerfreulicher Orakelspruch aus Delphi: Ödipus (Stefan Lasko).

Foto: Anna Stöcher

Bin ich meine eigene Nichte? Geht das überhaupt? In der griechischen Mythologie und in Familien mit Sexualverbrechern ist es möglich. Antigone (Julia Edtmeier) beispielsweise hat ihren Vater Ödipus auch zum (Halb-)Bruder. Dem Fluch nach hat Ödipus – unwissentlich, muss man fairerweise sagen – seine eigene Mutter geschwängert. Der Legende nach gingen vier Kinder hervor.

Ödipus’ Drama toppt jeden Verwandtschaftshorror. Das Theater in der Gumpendorfer Straße (TAG) hat deshalb für die Neubearbeitung des antiken Dramenstoffs gleich ein neues Genre erfunden: die hyperpsychologische Kriminalkomödie. Die Fassung von Kaja Dymnicki und Alexander Pschill (das Theaterpaar hat seine eigene Bronski-&-Grünberg-Bühne derzeit auf Eis gelegt) verfrachtet den Königsspross in eine lukullische 1970er-Partywelt. Das thebanische Apartment der Königsfamilie (Georg Schubert als Laios, Michaela Kaspar als Iokaste) hat alles, was der Flowerpowerluxus gebietet: Stereoanlage, Teppichböden, Tastentelefon und Früchtebowle (Ausstattung & Regie: Dymnicki, Pschill). Karaoke, Kakao und Kokain (oder Waschpulver) verschönern das Gelage.

Unendlicher Spaß

Hier trudelt Ödipus (Stefan Lasko) mit seinen Adoptiveltern Merope und Polybos Mayer (Lisa Schrammel, Jens Claßen) zur Party ein: ein neurotischer, hochbegabter junger Mann, der an das Tennisgenie Hal Incandenza aus David Foster Wallace’ Unendlicher Spaß erinnert.

Bevor er für seinen ersten Satz Luft holen kann, stimmt vom Band Mose Allison klagend seinen Young Man’s Blues an: "Oh well a young man / Ain’t nothin’ in the world these days" (1959). Richtig zu Wort kommen wird "Ödi" erst später, wenn der verheißene Vatermord und die ebenso vorausgesagte Ehe mit der Mutter vollzogen sind.

Vollzogen? Keinesfalls! Das will sich die Komödie dann doch nicht leisten. Sie findet raffiniert Mittel und Wege, dem Mord und der Blutschande auszuweichen, den Konflikt aber dennoch voll einzulösen. Nicht die Tragik soll hier ausgewalzt werden, sondern die Absurdität und der Stress einer in mehrfacher Hinsicht unter Druck stehenden Patchworkfamilie und ihrer Gäste, zu denen auch der Korruptionsstaatsanwalt Teiresias (Florian Carove) gehört. Ihm schwirrt nur der Kopf von all den Gräueln, die er weiß.

Fototapeten

In Hochgeschwindigkeit geht es voran mit dieser Salonkomödie auf Fototapetenrealismus-Basis. Spaß machen neben dem Theaterfuror eines zupackenden Ensembles die schnippischen "Ödipus"-Wendungen ins Heute: das Sphinx-Rätsel im Glückskeks, die Kummernummer in Delphi. Und mit "Sei kein Korinther!" schimpft man ganz normale Warmduscher.

Die Zeit des Trashhumors ist eindeutig nicht vorbei. (Margarete Affenzeller, 5.10.2021)