Das Gericht äußerte "große Zweifel" an der ursprünglichen Geschichte des Asylwerbers und sprach ihn frei.

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Klagenfurt – Ein 28-jähriger Afghane ist am Dienstag am Landesgericht Klagenfurt vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen worden. Der Mann hatte im Asylverfahren angegeben, in Afghanistan vier Taliban-Kämpfer erschossen zu haben. Vor dem Schöffensenat ruderte er aber zurück und meinte, er habe dies nur gesagt, um bessere Chancen im Asylverfahren zu haben. Dieser Version schenkte das Gericht Glauben.

Der Verteidiger des Mannes hatte ins Treffen geführt, dass dieser im Asylverfahren von anderen Asylwerbern "den dummen Rat" bekommen hatte, seine Fluchtgeschichte zu dramatisieren: "Das Einzige, was stimmt, ist, dass sein Vater im Kampf getötet wurde. Doch da war mein Mandant weder dabei noch in irgendeiner Form beteiligt."

Klagenfurter Gericht zuständig

Die Vorsitzende des Schöffensenats sagte in ihrer Urteilsbegründung, der Mann hatte 2015 ausgesagt, sein Vater sei im Kampf gefallen – das Feuergefecht mit eigener Beteiligung habe er erst 2017 ins Spiel gebracht. Als er gemerkt hatte, dass er strafrechtlich verfolgt werde, sei er von dieser Version auch wieder abgewichen. Schon im Laufe des Asylverfahrens seien seine Angaben als unglaubwürdig bezeichnet worden. Auch nun habe man "große Zweifel" und nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass sich die Tat so wie angeklagt ereignet hatte.

Laut Anklage sagte der 28-Jährige im Asylverfahren aus, dass er im November 2015 in Kunduz vier Taliban erschossen habe. Diese hätten zuvor bei einem Feuergefecht seinen Vater getötet und versucht, ihn selbst und seinen Cousin zu erschießen. Die Anklagebehörde ging davon aus, dass der Angriff der Taliban bereits beendet war, als der Angeklagte die Männer erschoss. Damit habe er den Vorsatz gehabt, sie zu töten, allerdings billigt ihm die Anklage eine "allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung" zu, weshalb keine Mordanklage erhoben worden war. Das Klagenfurter Gericht war zuständig, weil das angeklagte Delikt zwar von einem Ausländer im Ausland begangen worden sein soll. Er wurde allerdings "im Inland betreten" und hatte nicht abgeschoben werden können.

Feuergefecht erfunden

Vor Gericht sagte der 28-Jährige abwechselnd auf Deutsch und via Dolmetscher aus. Er habe im Asylverfahren und vor der Polizei immer unterschiedliche Dinge erzählt, manchmal habe es auch Probleme mit dem Dolmetscher gegeben, meinte er. Er blieb aber dabei: Die Geschichte mit dem Feuergefecht habe er sich komplett ausgedacht, er habe nie jemanden erschossen: "Ich wollte den Eindruck erwecken, dass ich einen direkten Konflikt mit den Taliban habe."

Bei der Verhandlung wurden auch Fotos vom Handy des Angeklagten gezeigt, auf denen er mit verschiedenen Waffen posiert. "Natürlich könnte ich schießen", meinte der Angeklagte, selbst habe er aber keine Waffen eingesetzt. Das martialisch anmutende Posieren dürfe man aber nicht "aus der österreichischen Kultur aus" sehen: "In Afghanistan ist seit 80 Jahren Krieg, man muss immer wachsam sein. Kaum eine Familie hat keine Waffen im Haus."

Gutachten für Asylverfahren

Ein Polizeibeamter berichtete von einem Gespräch mit dem Angeklagten kurz nach seiner Einvernahme durch die Polizei. "Da hat der Angeklagte gesagt, bis jetzt habe er immer die Wahrheit gesagt, aber dadurch hat er nur Probleme gekriegt. Das habe er jetzt erkannt und werde ab jetzt nicht mehr die Wahrheit sagen", berichtete der Polizist.

Im Prozessverlauf wurde auch ein Gutachten verlesen, das im Asylverfahren des Angeklagten angefertigt worden war. Dafür wurde direkt in Afghanistan recherchiert – dort habe man die Information erhalten, dass der Vater des Angeklagten bei einem Kampfeinsatz an der Front getötet worden war. Niemand hatte die spätere Version des Angeklagten bestätigen können, dass der Vater zu Hause getötet worden wäre und der Angeklagte selbst vier Taliban erschossen hätte.

Video von geschändetem Talib

Erhebliche Zweifel bestanden auch zu den Angaben des Angeklagten zu einem Video, auf dem zu sehen ist, wie ein toter Talib mit einem Motorrad über eine Straße gezogen wird. Der Angeklagte hatte behauptet, dass dies direkt nach dem Feuergefecht im November 2015 entstanden war. Das sei laut Gutachten höchst unwahrscheinlich, weil es zu dieser Zeit niemand gewagt hätte, die Leiche eines Taliban-Kämpfers zu schänden: Wahrscheinlicher sei, dass das Video bereits irgendwann in der Zeit von 2001 bis 2003, als die Taliban-Regierung gestürzt worden war, entstanden sei.

Die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab, das Urteil war damit nicht rechtskräftig. Das Gericht ordnete die Enthaftung des 28-Jährigen und die Übergabe an die Fremdenpolizei an – sie wird entscheiden, was weiter mit ihm passiert. (APA, 5.10.2021)