Der syrisch-jordanische Grenzübergang bei Jaber-Nassib ist wieder offen: Nicht nur Menschen nutzen ihn, er ist auch Teil einer wichtigen wirtschaftlichen Transitstrecke.

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Er war im November 2011 der erste arabische Staatschef, der Bashar al-Assad angesichts des wachsenden Aufstands in Syrien zum Rücktritt aufforderte: Nun hat König Abdullah II. von Jordanien am Sonntag erstmals wieder mit dem syrischen Präsidenten telefoniert. Abdullah betonte laut Aussendung die Bedeutung der "Integrität, Stabilität und Souveränität" Syriens: Übersetzt heißt das, dass Jordanien unterstützt, dass das Assad-Regime wieder die volle Kontrolle über Syrien übernimmt. Noch ist es ein Syrien, in dem sich nicht nur auf Regimeseite Russen und Iraner und schiitische Milizen tummeln, sondern wo auch – uneingeladen – türkische und US-Truppen präsent sind, die jeweils von ihnen favorisierte Kräfte unterstützen.

Vorangegangen war dem Telefonat Mitte September ein Besuch des syrischen Verteidigungsministers Ali Ayyub in Amman und vergangene Woche die vollständige Öffnung des wichtigsten jordanisch-syrischen Grenzübergangs, Jaber-Nassib. Über ihn fließt nicht nur bilateraler Handel, er ist auch eine Transitroute für Waren aus Europa und der Türkei in Richtung Golf. Zudem wurde die Aufnahme des Flugverkehrs zwischen Amman und Damaskus angekündigt.

Lobbying in Washington

Von Jordanien aus wurde nach 2011 substanzielle Hilfe für die syrischen Rebellen gegen Assad bewegt, die USA koordinierten in Amman ihre Unterstützung für den Aufstand. Heute macht Jordanien Lobbying in Washington dafür, dass man sich mit der Realität abfindet, dass "Assad bleibt".

Ende September stellten die USA klar, dass keine Positionsänderung Assad gegenüber geplant sei, auch andere Staaten würden "nicht ermutigt", ihre Beziehungen zu Syrien zu normalisieren. Das wurde auch einer Abordnung der syrischen Opposition versichert. Nicht nur für sie ist die Vorstellung schrecklich, dass das Assad-Regime trotz seiner ungeheuren Verbrechen gegen seine Bevölkerung rehabilitiert werden könnte.

Laut Ibrahim Hamidi von der in London erscheinenden saudi-arabischen Tageszeitung Asharq al-Awsat gibt es ein jordanisches "Geheimpapier", das einen Fahrplan für die Reintegration Syriens enthält. Es sieht die "schrittweise Veränderung des Verhaltens" des syrischen Regimes und den Abzug aller ausländischen Kräfte vor. Um das alles Russland, das durch seine Militärintervention 2015 Assad vor dem Untergang rettete, schmackhaft zu machen, werden auch die "legitimen Interessen" Moskaus angesprochen. Das Papier sei beim Regionalgipfel in Bagdad Ende August und danach am Rande der Uno-Generalversammlung in New York von den Arabern diskutiert worden. Dort traf der syrische Außenminister Faisal al-Miqdad auch mit arabischen Amtskollegen zusammen.

Der Sinneswandel Jordaniens und anderer arabischer Staaten kommt nicht plötzlich. 2018 öffneten die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Botschaft in Damaskus wieder, Oman entsandte 2020 einen Botschafter. Der Front, die die Aufhebung der seit 2012 geltenden Suspendierung Syriens in der Arabischen Liga fordert, gehört neben Jordanien auch Ägypten an, und auch Saudi-Arabien soll nicht abgeneigt sein. Algerien hat den Kurs der anderen ohnehin nie mitgetragen, und Tunesiens Außenpolitik wird sich unter Präsident Kais Saied in dieser Beziehung wahrscheinlich auch ändern.

Für Jordanien, das 1,3 Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt, spielen natürlich auch wirtschaftliche Motive eine Rolle. Aber insgesamt steht die Überlegung im Vordergrund, dass das totale Scheitern der arabischen und westlichen Syrien-Politik nach 2011 einen strategischen Richtungswechsel verlangt.

Verheerende Bilanz

Die Bilanz ist in der Tat verheerend: die Zerstörung und Verarmung Syriens, das Aufkommen des "Islamischen Staats" – der gerade jetzt auch in der Nähe der jordanischen Grenze Lebenszeichen von sich gibt –, und dann auch noch das Festkrallen des Irans in Syrien. König Abdullah war nach der US-Invasion im Irak 2003 der Erste gewesen, der die Gefahr eines "schiitischen Halbmonds" in der Region an die Wand malte.

Deshalb versuchen die Araber auch, Moskau, das Druck auf Teheran ausüben soll, für ihren Plan zu interessieren. Bleibt allerdings noch die Frage, ob die Türkei ihre Präsenz in Idlib und vor allem im syrischen Grenzgebiet zur Türkei aufgeben würde, wo es nach Ankaras eigenem Verständnis ein Bollwerk gegen PKK-freundliche syrische Kurden aufgebaut hat. Die USA hingegen unterstützen diese Kurden, die sie als lokale Kraft zur Bekämpfung des IS bewaffnet haben.

Russland hat jedoch seinerseits ebenfalls ein starkes Interesse daran, dass sich die Lage in Syrien wieder stabilisiert und dass die Öffnung der Araber vis-à-vis Assad voranschreitet. Damit die jordanisch-syrische Grenze überhaupt geöffnet werden konnte, vermittelte Moskau in Daraa in Südsyrien bei neuerlich ausgebrochenen Unruhen zwischen Rebellen und dem Regime.

Die USA sind zuletzt einem arabischen Wunsch immerhin insofern entgegengekommen, als sie den Transit von Gas und Strom aus Ägypten respektive Jordanien über Syrien in den am Boden liegenden Libanon von ihren Syrien-Sanktionen, den harten Caesar Sanctions, ausnehmen. Dem Iran soll nicht noch mehr Möglichkeit geboten werden, sich über Erdöllieferungen an die Hisbollah als Retter des Libanon zu profilieren. (Gudrun Harrer, 6.10.2021)