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"Ich glaube, dass die Produkte von Facebook Kindern schaden, Spaltung anheizen und unsere Demokratie schwächen", sagte Frances Haugen am Dienstag vor einem Senatsausschuss.

Foto: Reuters/Jabin Botsford

"Kinder online schützen" lautete der etwas generische Titel der Anhörung im US-Kongress am Dienstag. Selten war eine Unterausschusssitzung des US-Senats so gut besucht, gerade in Zeiten einer Pandemie. Der Grund dafür ist eine Frau: Frances Haugen, eine 37-jährige Datenspezialistin und frühere Facebook-Produktmanagerin. Die Harvard-Absolventin hat für ein Erdbeben im Silicon Valley und rund um die Welt gesorgt, als sie sich dazu entschloss, interne Unterlagen mit der Welt zu teilen, die Facebook schwer belasten.

Die Anhörung im Livestream.
Wall Street Journal

"Gestern haben wir erlebt, wie Facebook aus dem Internet verschwand", erklärte Haugen in ihrem Eröffnungsstatement. "Ich weiß nicht, weshalb das geschah, aber ich weiß: Für mehr als fünf Stunden wurde Facebook nicht dazu benutzt, Spaltungen voranzutreiben und Demokratien zu destabilisieren, und wurden Mädchen und junge Frauen nicht dazu gebracht, sich in ihren Körpern schlecht zu fühlen."

Die Whistleblowerin appellierte an die Senatoren, zu handeln und Facebook zu regulieren, solange das noch möglich sei. "Es ist noch nicht zu spät." Der Entschluss, mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen, sei für die Managerin gefallen, als ihr klar wurde, dass sich Facebook von sich aus nicht ändern werde. Die Gefahren, die von Facebook ausgehen, seien der Führungsspitze lange bekannt gewesen. "Facebook, weiß was es tut", so Haugen. Man habe sich dazu entschlossen, Profit über Sicherheit zu stellen.

"Facebook möchte Sie glauben lassen, dass die Probleme, über die wir [hier] reden, unlösbar seien", so die Informantin vor dem Ausschuss. "Ich bin heute hier, um Ihnen zu sagen, dass das nicht stimmt. […] Ein sicheres und freundlicheres soziales Netzwerk, das Redefreiheit respektiert, ist möglich."

Am Ende bestimmt Mark

Im Verlauf der Anhörung ließ Haugen kein gutes Haar an ihrem früheren Arbeitgeber, insbesondere nicht an Firmenchef Mark Zuckerberg, den sie auf Nachfrage als den Verantwortlichen für die Missstände in dem Unternehmen nannte. "The buck stops with Mark", brachte es die Kronzeugin auf den Punkt. Am Ende bestimme immer Mark.

Zuckerberg verfüge über eine einzigartige Stellung im Unternehmen. Er halte 55 Prozent der Stimmrechte an Facebook, könne also nicht einmal von seinem eigenen Aufsichtsrat entlassen werden. "In Harvard wird einem beigebracht, Verantwortung zu übernehmen für das Unternehmen", so Haugen. Zuckerberg habe Facebook allein auf Zahlen ausgerichtet.

So habe Zuckerberg persönlich darauf bestanden, den Facebook-Algorithmus so zu belassen, wie er ist, obwohl zu diesem Zeitpunkt intern bekannt gewesen sei, wie sehr die auf Wachstum programmierte Nachrichtenauswahl Menschen gegenseitig aufhetzt und letztlich sogar zu Gewaltausbrüchen und Lynchmorden führen könne. Diese Entscheidung habe auch für Schwellenländer gegolten, die Facebook selbst als sogenannte "At risk"-Staaten einstufe, also Länder, die für Gewaltakte gegen Minderheiten bekannt sind. Ob dieser Empfehlungsalgorithmus auch heute noch aktiv sei? "Ja, das ist er", so Haugen.

Personelle Unterbesetzung

Über die Motive, die zu solchen fragwürdigen Entscheidungen führen, kann die Informantin nach eigenen Angaben nur spekulieren. Es könnte das Belohnungssystem, zum Beispiel die Bonuszahlungen, sein, die zu dieser Unternehmenskultur führen, sagte sie.

Der Internetkonzern sei an einem sehr schwierigen Punkt in seiner Geschichte angelangt, so Haugen. Das Unternehmen habe seit geraumer Zeit Probleme, geeignetes Personal zu finden. Viele Bereiche seien komplett unterbesetzt, was zu immer neuen Problemen führe. Facebook müsse "moralischen Bankrott" anmelden, um sich zu ändern.

Der Whistleblowerin drohen Klagen

Nach rund drei Stunden war die Anhörung beendet. Der Whistleblowerin stehen harte Zeiten bevor. Zwar genießt sie Schutz aufgrund eines Whistleblower-Gesetzes, das Informanten, die gesetzwidriges Verhalten von Konzernen melden, juristisch zur Seite steht. Dieser Schutz gilt allerdings nur für ihre Zeugenaussage und die Dokumente, die sie der Regierung zur Verfügung gestellt hat. Die Tatsache, dass Haugens Dokumente auch den Weg zum "Wall Street Journal" und zu CBS gefunden haben, könnte ein Hebel für Facebooks Anwälte sein, die 37-Jährige über Jahre hinweg mit Klagen zu überziehen, die ihr Leben ruinieren könnten.

Facebook selbst reagierte kühl auf die Anschuldigungen, ehe sich auch Zuckerberg persönlich auf seiner Facebook-Seite dazu äußerte. Die Vorwürfe seien falsch, "das Argument, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch", schrieb der Gründer des sozialen Netzwerks. "Wir verdienen Geld mit Anzeigen, und die Werbekunden sagen uns immer wieder, dass sie ihre Anzeigen nicht neben schädlichen oder wuterregenden Inhalten sehen wollen." Er kenne keinen Tech-Konzern, der Produkte herstelle, die Menschen wütend oder depressiv machten. (Richard Gutjahr aus Washington, red, 6.10.2021)