Ausschnitt aus der Durchsuchungsanordnung

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Ausschnitte aus den Chats

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Mittwochfrüh hatten sich die Vorahnungen der ÖVP bestätigt: Die Gerüchte über eine bevorstehende Hausdurchsuchung in der Bundesparteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse hatten sich bewahrheitet. Mehrere Ermittler waren mit einer mehr als hundert Seiten langen Durchsuchungsanordnung der Korruptionsstaatsanwaltschaft ins Haus gekommen. Auch im Kanzleramt und im Finanzministerium fanden Hausdurchsuchungen statt. Die von einem Haft- und Rechtsschutzrichter bewilligte Anordnung hat es in sich.

Darin werden Bundeskanzler Sebastian Kurz und engen Beratern wie Stefan Steiner, Medienbeauftragter Gerald Fleischmann, Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid sowie zwei Pressesprechern und der früheren Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin, den Medienmachern Wolfgang und Helmuth Fellner sowie deren Mediengruppe und darüber hinaus der ÖVP schwere Vorwürfe gemacht.

Es geht um den Verdacht auf Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit und sogenannte Inseratenkorruption im Zusammenhang mit Umfragen und (positiver) Berichterstattung in der Tageszeitung "Österreich" und auf oe24.at. Gleich vorweg: Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung – und sie bestreiten die Vorwürfe.

Am frühen Abend wurde ein erstes Statement von Kanzler Kurz publik. Es würden "SMS-Fetzen auseinandergerissen, in einen falschen Kontext gestellt, und drumherum strafrechtliche Vorwürfe konstruiert", wurde der ÖVP-Chef von der "Kleinen Zeitung" zitiert.

"Verdeckte Finanzierung"

Die Geschichte führt zurück ins Jahr 2016: Die ÖVP war damals Juniorpartner in einer großen Koalition und befand sich in einem Umfragetief. Parteichef Reinhold Mitterlehner war angezählt, Außenminister Sebastian Kurz scharrte in den Startlöchern in Richtung Kanzleramt. Allerdings musste er "sein Vorhaben verdeckt weiterbetreiben", zudem habe ihm der "Zugang zu den Geldern der Partei" gefehlt, wie die Staatsanwälte festhalten. Zitat aus der Anordnung: "Die für sein Vorhaben essenzielle Beeinflussung der öffentlichen und innerparteilichen Meinung – dies auch durch gezielte Veröffentlichungen von Umfragen – würde ebenso wie die Umfragen selbst erhebliche Kosten verursachen, sodass zusätzlich eine verdeckte Finanzierung des Projekts unumgänglich war."

Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinen engsten Vertrauten wird Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit vorgeworfen. Wir haben die wichtigsten Infos in unter drei Minuten zusammengefasst
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Kurz bereitete seinen Aufstieg an die Parteispitze also klammheimlich vor. Unterstützt wurde er da von einigen seiner Getreuen, die sich großteils heute noch in seinem engsten Umfeld bewegen – wie zum Beispiel Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP). Inzwischen ist das Unterfangen als "Projekt Ballhausplatz" bekannt. Detailliert bereiteten Kurz und Co 61 Schritte bis zum "Tag der Übernahme" vor, wie es die Staatsanwälte der WKStA in ihrer Anordnung schildern.

Um zwei dieser 61 Schritte geht es bei den aktuellen Ermittlungen ganz besonders: "Meinungsumfrage" und "Medienkooperationen (Inserate etc.)". Oder wie es an anderer Stelle im "Projekt Ballhausplatz" heißt: "Umfrage in Auftrag geben, mit SK (Sebastian Kurz; Anm.) alles besser, Inserate beauftragen."

Das "B. Österreich Tool"

In der Praxis soll das gemäß dem Verdacht der Ermittler mit einem "B. Österreich Tool" bewerkstelligt worden sein. Flapsig zusammengefasst: Das Finanzministerium unter dem damaligen Generalsekretär Thomas Schmid soll mit den Brüdern Fellner vereinbart haben, dass im Gegenzug für Inseratenaufträge redaktionelle Inhalte vom Team rund um Kurz mitbestimmt werden. Die inhaltlichen Vorgaben sind laut WKStA von Steiner, Fleischmann, einem Pressesprecher und Kurz selbst gekommen. Vor allem ging es um Umfragen, die von Karmasin und ihrer Mitarbeiterin B. erarbeitet wurden und bei denen Kurz in einem guten Licht erschienen sein soll. Dazu habe es eine die Interessen von Kurz "(…) fördernde Kommentierung durch Wolfgang Fellner" und andere gegeben.

Zweiter Bestandteil des angeblichen Deals: Bei Meinungsforscherin B. wurden von Kurz und seinem Umfeld Umfragen "mit ausschließlich (partei-)politischen Inhalten bestellt". Die Kosten dafür seien "zuerst verdeckt" über die Mediengruppe Österreich abgerechnet worden. Danach habe B.s Unternehmen "mittels Scheinrechnungen" Studien für das Finanzministerium abgerechnet.

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Um ihren Verdacht zu untermauern, haben die Ermittler wieder einmal viele Chats ausgewertet. Bereits im September 2016 hatte Schmid offenbar eines seiner Ziele erreicht. Damals informierte er Kurz, dass "die gesamte Politikforschung im Österreich nun zur B. wandert. Damit haben wir Umfrage und Co. im besprochenen Sinne ??)". Später begrüßte er Kurz mit "Neue Werte! Call me Mr. Umfrage."

"Ich liebe das"

Eingebunden waren auch Pressesprecher, wenngleich nicht immer zufrieden mit dem Output aus den von der WKStA unterstellten "Vereinbarungen". Er habe B. "gestern noch angesagt, was sie im Interview sagen soll", schrieb ein Pressesprecher am 8. Jänner 2017 an Schmid. Der applaudierte per Emojis und antwortete: "So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen. Geniales Investment. Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt schafft an. Ich liebe das."

Screenshot: Umfrage auf oe24.at vom 7. Jänner 2017

Ein halbes Jahr vorher hatte der angebliche Deal noch etwas holpriger funktioniert. Da beschwerte sich der Pressesprecher, dass sich Fellner "an keine Abmachung gehalten" habe. Es sei "ausgemacht" gewesen, "Daten aus Umfrage zu bringen. Nix gebracht (…)". Schmid leitete diese Beschwerde an Karmasin weiter, die meinte: "Ich urgiere Erklärung."

"Kurz-Turbo für die ÖVP"

In ihrer Durchsuchungsanordnung führt die WKStA eine ganze Reihe von Artikeln an, die diesem Schema entsprochen haben sollen. Am 3. August hieß es da etwa unter dem Titel "Liste Kurz zieht allen davon", dass "laut aktueller Österreich-Umfrage (Research Affairs, 600 Befragte, 31. 7.–2. 8.) Sebastian Kurz jetzt bereits mit elf (!) Prozentpunkten vor seinen Mitbewerbern Christian Kern (SPÖ) und Heinz-Christian Strache (FPÖ)" führe. Andere Beispiele: "Kurz-Turbo für ÖVP" (Mai 2017) oder "Mit Kurz hängt die ÖVP alle ab" (August 2017).

Was bedeutet das alles juristisch? Die Ermittler sehen einerseits Untreue, andererseits Bestechung und Bestechlichkeit. Meinungsforscherin B. soll "in der ersten Phase der Umsetzung des Tatplans" laut WKStA Umfragen im Auftragswert von etwas weniger als 70.000 Euro "über Österreich" abgerechnet haben; in der Folge wurden diese Kosten "über Inseratenschaltungen ausgeglichen". Danach sei B. vom Finanzministerium mit Studien beauftragt worden, wobei sie die Arbeit für die Umfragen laut Zitaten aus den Chats "dazugerechnet", "reingerechnet", "abgerechnet" oder "hineingepackt" haben soll.

Geprüft wird hier, ob die Studien vom Finanzministerium berechtigterweise gefördert wurden oder der Verschleierung der Umfragenbezahlung dienten. Deshalb wird einem Abteilungsleiter und Sprecher im Finanzministerium Untreue vorgeworfen. Angestiftet hätten ihn Schmid und Kurz, Beitragstäter sollen Karmasin, Meinungsforscherin B., die Brüder Fellner und das Umfeld von Kurz sein.

Kurz "zentrale Person"

Helmuth und Wolfgang Fellner wird Bestechung vorgeworfen. Da geht es um den Abschluss der Inserate- und Medienkooperationsvereinbarungen, die nicht im Interesse des bezahlenden Finanzministeriums gewesen sein sollen, sondern einen Vorteil für Kurz und sein Umfeld dargestellt hätten.

Das bedeutet zugleich auch den Vorwurf der Bestechlichkeit gegen Schmid und einen Pressesprecher. Kurz wird als Bestimmungstäter zur Bestechlichkeit geführt, sein Umfeld und die beiden Meinungsforscherinnen als Beitragstäter.

In den Augen der WKStA war oder ist der Kanzler in der Causa die "zentrale Person: Sämtliche Tathandlungen werden primär in seinem Interesse begangen". Als rechte Hand soll Schmid fungiert haben. Die hohe Vertrautheit zwischen den beiden könnte folgender Chat belegen, den die WKStA in ihre Anordnung aufgenommen hat. Offenbar nach einem Disput schrieb Schmid an seinen Kanzler: "Danke, dass du mich gleich angerufen und betoniert hast. Das macht eine Freundschaft aus. Wir haben gestern geplaudert. Ich war einfach zu unachtsam. Das tut mir leid. Ich bin einer deiner Prätorianer, der keine Probleme macht, sondern löst. LG Thomas". Der Kanzler erwiderte: "Lieber Thomas! Wir kennen uns gegenseitig und halten das auch aus. War mir nur wichtig dir das direkt zu sagen. AL".

Dementis und Vorwürfe

Die ÖVP selbst hatte um kurz nach zehn Uhr eine Pressemitteilung zur Hausdurchsuchung veröffentlicht: "Nach den falschen Anschuldigungen, die schon gegen Sebastian Kurz, Josef Pröll, Gernot Blümel, Hartwig Löger und Bernhard Bonelli und andere erhoben wurden, die sich mittlerweile alle als haltlos herausgestellt haben, werden nun weitere Vorwürfe konstruiert über Vorgänge, die teilweise fünf Jahre zurückliegen. Das passiert immer mit demselben Ziel und System: die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen", hieß es in der Aussendung.

Der Anwalt von Schmid, Thomas Kralik, konnte Mittwochmittag keine Stellungnahme abgeben, er kannte die neuen Vorwürfe noch nicht. Ex-Ministerin und Meinungsforscherin Karmasin war nicht erreichbar.

Die Mediengruppe Österreich der Fellner-Brüder meldete sich via Aussendung zu Wort. Den Ermittlungen lägen "offensichtlich schwere Missverständnisse" zugrunde: Umfragen zu politischen Themen würden regelmäßig durchgeführt, jede Umfrage werde vom Verlag in Auftrag gegeben und zu marktüblichen Preisen vergütet. Die Umfragen, die vom Finanzministerium vom selben Institut bestellt wurden, würden in "keinerlei Zusammenhang" zu jenen Umfragen stehen, die in der Mediengruppe Österreich publiziert wurden. Niemals habe es Absprachen gegeben, und niemals seien Inseratengelder des Finanzministeriums als Bezahlung für Umfragen an die Tageszeitung "Österreich" geflossen, heißt es in der Aussendung. (Fabian Schmid, Renate Graber, 6.10.2021)