Obwohl man rechtlich gesehen genug Handhabe habe, gegen Briefkastenkonstrukte vorzugehen, passiert in der Praxis oft nichts. Das sei auch eine Ressourcenfrage der Behörden, sagt Dolezel.

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Nach den Panama- Papers kamen die Paradise Papers und vor wenigen Tagen veröffentlichte ein internationales JournalistInnen-Team das bislang größte Leak über Steueroasen: Die sogenannten Pandora Papers. 2,49 Terabyte an Daten von 14 Offshore-Dienstleistern zeigen die wahren Eigentümerinnen und Eigentümer von rund 27.000 Firmen. Darunter finden sich bekannte Superreiche, derzeitige und ehemalige Staats- und Regierungschefs und auch Kriminelle. Die dahinterliegenden Geschäftskonstrukte sind komplex.

Im Interview erklärt Expertin Alexandra Dolezel, was die sogenannten Briefkastenfirmen sind, wann diese illegal sind und warum es mittlerweile schwieriger geworden ist, Eigentümerstrukturen mittels Briefkastenfirma zu verschleiern. Dolezel ist Partnerin der Wirtschaftsprüfungskanzlei BDO in Wien und spezialisiert auf internationale Steuerfragen.

Alexandra Dolezel ist Steuerexpertin bei der Wirtschaftsprüfungskanzlei BDO in Wien.
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STANDARD: Was sind Briefkastenfirmen?

Dolezel: Streng genommen sind es Firmen ohne eigene Geschäftsräumlichkeiten, bei denen oftmals eine ausländische Anwaltskanzlei die Geschäftsführung innehat. Die etwas "besser ausgestatteten" verfügen über zumindest eine kleine Büroräumlichkeit, sie haben sich sozusagen professionalisiert. In der Schweiz kosten Räumlichkeiten und Fremdgeschäftsführung für so eine Firma etwa 15.000 bis 20.000 Euro im Jahr. Deren Gründung ist an sich nichts Illegales, der Verwendungszweck ist entscheidend..

STANDARD: Warum haben sie dann so einen schlechten Ruf?

Dolezel: Weil mit ihnen Vermutungen nach dem Zweck der Gesellschaften verbunden sind: Sollen dadurch Steuern hinterzogen, Eigentumsverhältnisse, Geldwäsche oder Scheintransaktionen verschleiert werden? Es kann sich um Triviales handeln, etwa Geld vor der (Noch-)Ehefrau zu "verstecken", oder um eine Imagewahrung von Staatsoberhäuptern wie in vielen Fällen der Pandora Papers. Natürlich kann es auch um die "Vermeidung" von Körperschaftssteuer wie im Fall von Google oder Apple gehen. Dort segneten die US-Steuerbehörden die Gewinnverlagerung mittels Bescheid ab: Staaten verzichten auf Einnahmen aus der Körperschaftssteuer, indem sie Briefkastenkonstrukte tolerieren, und geben sich dafür mit Lohnsteuereinnahmen durch Beschäftigung zufrieden.

STANDARD: Die Staaten geben sich also damit zufrieden, nichts gegen große Unternehmen tun zu können?

Dolezel: Die Zeiten haben sich sehr wohl geändert, wenn auch nur schleppend. Immerhin ist man sich innerhalb der internationalen Gemeinschaft einig, jährlich Steuerinformationen auszutauschen. Es gab weitere Reformen im Bereich der Steuerbetrugsbekämpfung, und Staaten, die sich weigern zu kooperieren, werden vermehrt sanktioniert.

STANDARD: Trotzdem funktionieren Konstrukte aus Briefkastenfirmen noch immer, siehe Pandora Papers. Alle Mühe vergebens?

Dolezel: Briefkastenfirmen kommen zusehends aus der Mode, weil die alten "Tricks" mittlerweile nicht mehr so leicht funktionieren. Es gibt drakonische Strafen etwa bei Falschmeldungen von wirtschaftlichen Eigentümern. Auch die Gesetze erlauben es bereits, gegen Gesellschaften vorzugehen, die tatsächliche Zahlungsempfänger nicht glaubhaft machen können.

STANDARD: Woran scheitert es dann?

Dolezel: International gesehen scheitert es an manchen Staaten, die sich weigern, gewisse Standards umzusetzen. In Österreich ist es meiner Meinung nach eine Ressourcenfrage: Komplexe Fälle sind bei derzeitiger Besetzung in der Finanzverwaltung einfach nicht bewältigbar. Der für internationale Steuerfälle zuständige und in meinen Augen sehr fähige Fachbereichsleiter im Finanzamt für Großbetriebe hat fünf Mitarbeiter, im Jahr schafft ein Mitarbeiter durchschnittlich fünf große Fälle, bei denen es jeweils um beträchtliche budgetäre Einnahmen für Österreich geht. Derzeit sind mehr als 300 derartige Fälle offen ... Rechtlich gesehen hätten wir das Instrumentarium, aber in der Praxis ist oftmals einfach nichts passiert, man hat nicht durchgegriffen.

STANDARD: Gibt es Fälle, in denen Sie zu Briefkastenfirmen raten?

Dolezel: Ich persönlich, nein – zum Glück nicht. Österreichische Unternehmen haben in der Regel andere Probleme, etwa Steuerrechtsunsicherheit in vielen ausländischen Staaten und fehlende Bereitschaft zur Kommunikation zwischen Steuerbehörden verschiedener Länder. Briefkästen und andere Steueroasenstrukturen wurden in Österreich meiner Wahrnehmung nach nur von vereinzelten, amtsbekannten Persönlichkeiten in Anspruch genommen. Es bedarf dazu wohl eines gewissen Spielernaturells.

STANDARD: Gibt es Fälle, wo Briefkastenfirmen Sinn machen?

Dolezel: Ein Bereich, in dem ich den Einsatz von Briefkastenfirmen gewissermaßen nachvollziehen kann, ist der Bausektor. In manchen Staaten bestehen Haftungsrisiken beispielsweise im Anlagenbau mit immensen Folgekosten. Wenn Projektgesellschaften eingesetzt werden und das Bauprojekt scheitert, kann man seinen Konzern vor der Pleite schützen. Wobei die meisten Projektgesellschaften natürlich auch Mitarbeiter haben. (Laurin Lorenz, 7.10.2021)