Anfang November 2020 wurde in der Wiener Innenstadt ein Terroranschlag verübt. Wenige Monate zuvor hatte der Attentäter versucht, sich gefälschte Papiere zu beschaffen.

Foto: Christian Fischer

Bevor der Wiener Attentäter im November 2020 vier Menschen erschoss und zahlreiche verletzte, wollte er nach Syrien reisen, um sich dem IS anzuschließen. Die versuchte Ausreise im September 2018 ist bekannt – ebenso, dass er noch in der Türkei festgenommen und im Anschluss in Österreich verurteilt wurde. Dem STANDARD liegen jedoch Informationen vor, dass K. F. nur wenige Monate vor dem Attentat konkrete Schritte unternahm, um erneut ins Ausland zu gelangen – und sich dem IS anzuschließen, wie Ermittler vermuten. Darauf hatten die Behörden auch entsprechende Hinweise. Konkrete Folgen hatte das aber offenbar nicht.

Pass wurde entzogen

Für eine Ausreise hätte F. allerdings einen Pass benötigt, seiner wurde ihm zwei Monate nach seiner Haftentlassung abgenommen. Über einen Freund kam er an einen heute 30-jährigen Kosovaren namens H. M., der schon mehrmals aus Österreich abgeschoben worden war und mehrmals wieder einreiste. K. F. überwies M., der zu dem Zeitpunkt gerade im Kosovo war, 1400 Euro via Western Union, und M. wandte sich an einen Dokumentenfälscher in Italien.

Dieser wurde später festgenommen, bei ihm wurde ein Ausweis mit einem Foto von K. F. gefunden. Mittelsmann M., zu dem Zeitpunkt wieder in Österreich, wurde im Dezember 2020 festgenommen. Am 22. Oktober wird sein Fall am Landesgericht Linz verhandelt.

Der Kontakt zwischen K. F. und dem Passvermittler M. soll über einen alten Bekannten, B. K., zustande gekommen sein. Das sagt zumindest M. selbst aus: B. K. soll ihn kontaktiert und um gefälschte Dokumente für K. F. gebeten haben. B. K. ist jener Mann, mit dem K. F. bereits 2018 nach Syrien reisen wollte. Kurz nach dem Attentat ging B. K. selbst zu den Behörden, er wurde zuerst als Zeuge befragt; später wurde er zum Beschuldigten, aktuell sitzt er noch in Untersuchungshaft. Die Ermittler sehen ihn als Beitragstäter. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Befragungen

Auch die Behörden bekamen offenbar wenige Monate vor dem Anschlag Wind von den neuerlichen Ausreiseplänen. Das legen Aussagen von Beamten des Wiener Verfassungsschutzes (LVT Wien) nahe, die an einer ganz anderen Stelle auftauchen: bei Zeugenbefragungen von LVT-Beamten im Rahmen von Ermittlungen zu möglichen Disziplinarverfehlungen und Amtsmissbrauch. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht in diesem Verfahren dem Vorwurf nach, dass zwei LVT-Beamte potenziell strafrechtlich relevante Informationen über K. F. der Staatsanwaltschaft hätten melden müssen.

In diesen Befragungen geben mehrere Verfassungsschützer an, dass im Sommer 2020 Informationen über K. F.s neuerliche Ausreisepläne vorgelegen seien. Die Quelle für diese Info stammte aus einer einschlägigen Moschee.

Ein Beamter schätzte diese Information allerdings als "nicht stimmig" ein. Und zwar deshalb, weil "eine Einreise nach Syrien zu der damals vorherrschenden Situation so gut wie unmöglich gewesen" sei. Da der Tipp als "klassifizierte Information" eingestuft war, sei sie zudem nicht gerichtsverwertbar gewesen.

Ausweis kam nie an

Bereits kurz danach tauchten die Fotos des versuchten Munitionskaufs in der Slowakei auf. Ein Beamter nahm die beiden Informationen – Munitionskauf und Ausreisepläne – zum Anlass, um bei seinen Vorgesetzten Maßnahmen anzuregen. Diese wurden allerdings vorerst abgelehnt. Man wollte die Identitätsfeststellung von K. F. auf den Slowakei-Fotos abwarten.

Der Ausweis mit K. F.s Foto kam übrigens nie bei diesem an. Der Mittelsmann M. konnte den Dokumentenfälscher in Italien nicht mehr erreichen, also wies er seine Ehefrau an, 500 Euro an K. F. zurückzuüberweisen. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Johannes Pucher, Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 7.1.2021)