Die Kritik an den Steuerreformplänen der türkis-grünen Regierung wird nicht leiser. Die Arbeiterkammer etwa spart anlässlich der Präsentation ihres Wohlstandsberichts nicht mit missbilligenden Worten. AK-Chefökonom Markus Marterbauer hat eine lange Mängelliste mitgebracht. Sein Fazit: "Eigentlich ist die Steuerreform nur der tendenzielle Ausgleich der kalten Progression für Arbeitnehmer und ein unnötiges Milliarden-Steuergeschenk an große Unternehmen." In die nämliche Kerbe hatte auch der ÖGB geschlagen.

Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer sieht das naturgemäß anders, wie er im ORF-Radio erklärt. Ausgewogen und auf die Unternehmenslandschaft in Österreich zugeschnitten sei die Reform, die Großen und die Kleinen habe man wohl berücksichtigt. "Wenn wir für 80.000 Betriebe die Körperschaftssteuer, aber für über 300.000 Betriebe – nämlich die Einzelunternehmen – die Einkommenssteuer senken und die Möglichkeit schaffen, einen Investitionsfreibetrag in Anspruch zu nehmen, und auch noch den Gewinnfreibetrag erhöhen – das ist genau für die kleinen und mittleren, die traditionellen mittelständischen KMUs –, kann man nur davon sprechen, dass es eine Mittelstandsentlastung ist."

Noch ist die Steuerreform nicht in Gesetzestext gegossen. So manchem Experten schwant Übles – etwa was die Verwaltungskosten betrifft.
Foto: Imago/Blickwinkel

Die Wirtschaft sieht das in weiten Teilen eher nicht so. Auch die Präsidentin der Hoteliervereinigung (ÖHV), Michaela Reitterer, drückte jüngst gemeinsam mit Interessenvertretungen wie freien Arbeitgeberverbänden, Handelsverband, Gewerbeverein (ÖGV), Senat der Wirtschaft und Lobby der Mitte ihre Enttäuschung aus: "Wir sind eine mitarbeiterintensive Branche – die KöSt-Senkung bringt uns da nichts, weil wir nicht so hohe Gewinne machen", sagte die ÖHV-Chefin.

Überschaubarer Nutzen

Aber auch Große wie der Gebäudedienstleistungsriese ISS mit rund 7000 Beschäftigten allein in Österreich hält den Nutzen der KöSt-Senkung von 25 auf 23 Prozent für überschaubar. "Für das operative Geschäft hilft mir das nichts", sagt Österreich-Chef Erich Steinreiber. Auch der Investitionsfreibetrag stimmt ihn da nicht versöhnlicher, Investitionen würden ohnehin laufend getätigt. Wie viele andere hatte er auf eine Senkung der Lohnnebenkosten gehofft: "Das hätte tatsächlich etwas gebracht."

Steuerexperte Erich Wolf sieht indes noch ganz andere Probleme auf Steuerberater und Betriebe zukommen. Noch wartet er auf den Gesetzestext, aber "die unterjährige Änderung von Steuersätzen – bei der KöSt-Senkung etwa die erste Stufe ab Juli 2022 – verspricht kompliziert zu werden." Es gelte dann zwei Bilanzen zu erstellen, die Frage, in welchem Jahr die Gewinne zu versteuern sei, könne bei Konzernen zu erheblichen Unterschieden bei den Gewinnen führen – zwischen 100.000 und einer Million Euro, warnt Wolf vor komplizierter Umsetzung. Ohnehin sei aus seiner Erfahrung für Unternehmen weniger der Steuersatz das Wichtigste: "Es geht immer um die Frage, wie hoch die Bemessungsgrundlage ist, was man abschreiben kann."

Das große Ganze ist bekannt, viele Details sind aber noch offen.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Zu noch größeren Turbulenzen als die Frage der Bilanzierung dürfte nach seiner Einschätzung bei den Personalverrechnern die Anpassung der Tarifstufen bei den Beschäftigten führen. Dabei sei die Lage bei den Lohnbuchhaltern nach den aufwendigen Berechnungen diverser Kurzarbeitsmodelle in den Firmen ohnehin höchst angespannt. Der Experte fürchtet kräftig steigende Verwaltungskosten. Auch er hat eine Mängelliste zusammen gestellt. Beim Gesamtpaket vermisst er "eine Schwerpunktsetzung für Neugründer", etwa beschleunigte Abschreibungsdauer oder einen Sofortabzug von geringwertigen Wirtschaftsgütern.

Prämie statt Freibetrag

Eine Steuerreform mit der Gießkanne – etwa durch die KöSt-Senkung – sei eher suboptimal. Das von WKO-Chef Harald Mahrer ausgegebene Ziel – man wolle erreichen, dass die Betriebe stark investieren – hielte er mit anderen Mitteln als dem Investitionsfreibetrag für besser erreichbar. Diesen könne nur nutzen, wer Gewinn schreibe – klüger wäre es gewesen, eine Investitionsprämie auszuschütten, findet Wolf. Davon könnten alle Betriebe profitieren.

Wie das im Zuge der Reform geplante Mitarbeiterbeteiligungsmodell – als steuerfreie Prämie bis zu 3000 Euro am Gewinn pro Jahr – zum Leben erweckt werden soll, dafür fehlt Steuerexperte Wolf jegliche Fantasie. "Es gibt jetzt schon so tolle Modelle, steuerlich attraktiv, auch als stille Beteiligungsmodell ohne Lohnnebenkosten, aber sie werden nicht genützt." (Regina Bruckner, 7.10.2021)