Sladi Mirković freut sich: "Wir haben im letzten halben Jahr den Diskurs über Roma an Hochschulen sehr stark mitbestimmt." Die 33-jährige Romni ist Präsidentin der im April gegründeten HochschülerInnenschaft österreichischer Roma und Romnja (HÖR). Gemeinsam mit fünf Kollegen möchte Mirković die Bildungsinteressen junger Roma in Österreich vertreten und dabei die Sichtbarkeit von studierenden Roma an der Uni erhöhen.

Die HÖR, kurz für die HochschülerInnenschaft österreichischer Roma und Romnja, will die Interessen von studierenden Roma vertreten und ihre Sichtbarkeit erhöhen.
Foto: HÖR/Aslan Kudrnofsky

Denn diese sind nicht nur in der österreichischen Bevölkerung eine Minderheit, sondern auch an den Hochschulen. Zahlen, wie viele Roma studieren, gibt es keine. Für die HÖR steht aber außer Zweifel, dass es "verhältnismäßig wenige" sind. Doch auch genaue Zahlen, wie viele Roma in Österreich leben, gibt es nicht.

Die ethnische Zugehörigkeit zu Volksgruppen wird wegen rassistischer Erfahrungen mit Volkszählungen im Nationalsozialismus nicht erhoben. Das Kanzleramt geht von zehntausenden Angehörigen aus, die meisten von ihnen leben in den östlichen Bundesländern, vor allem im Ballungsraum Wien. Der Überbegriff Roma wird dabei stellvertretend für alle Menschen verwendet, die sich als Roma, Sinti oder Lovara identifizieren.

Kein Verstecken mehr

Jene, die heute studieren, versteckten meist ihre Identität, sagt Mirković: "Ab einer gewissen Bildungsstufe sehen viele davon ab, sich zu outen – aus Angst, sich damit Steine in den Weg zu legen." In der Schule und zu Beginn ihres Studiums der Transkulturellen Kommunikation sei es ihr ähnlich gegangen: "Immer wenn das Thema Roma aufkam, habe ich gehofft, dass keiner zu mir schaut oder auf die Idee kommen könnte, ich wäre Teil dieser Kultur." Zu groß war ihre Angst, mit negativen Stereotypen – zum Beispiel, dass Roma arbeitsscheu oder integrationsunwillig seien – in Verbindung gebracht zu werden.

Sladi Mirković ist die Präsidentin der HÖR.
Foto: ESTEBAN HOYOS

Doch mit Mitte 20 hielt sie das Verstecken nicht mehr aus und beschloss, an der Uni und im Freundeskreis über ihre Identität zu sprechen. "Die meisten Unikollegen haben mit aufrichtigem Interesse reagiert", erinnert sie sich. Seither spricht Mirković nicht mehr von Angst, sondern von Selbstbewusstsein. Die Erfahrung, wie gut sich das "Outing" für sie anfühlte, möchte sie an andere Roma-Studierenden weitergeben und sie ermuntern, sich zu ihrer Herkunft zu bekennen.

Lange diskriminiert

Roma bleiben an den Universitäten aber auch deshalb unsichtbar, weil es viele Angehörige der Volksgruppe gar nicht erst an die Hochschulen schaffen. Denn Bildung wird in Österreich stark vererbt. Wenn die Eltern keinen Zugang zu akademischer Bildung hatten, haben es auch deren Kinder oft schwerer. Für junge Roma ist das nicht anders. Sie teilen sich in zwei Gruppen. Die Mehrheit sind, so wie Mirković, Nachfahren von Gastarbeitern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Hier konnten die Eltern ihre Kinder durch Sprachbarriere und geringe eigene Bildung kaum unterstützen.

Nur eine Minderheit stammt heute von den seit Jahrhunderten in Österreich ansässigen Roma ab – weil die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs mehr als 80 Prozent der österreichischen Roma ermordeten. Für die, die überlebten, war die Diskriminierung nach 1945 aber nicht vorbei, gerade im Bildungsbereich nicht: "Bis in die 1980er-Jahre sind beispielsweise burgenländische Romakinder quasi automatisch in Sonderschulen gekommen", erklärt Mirković. Der den Eltern verwehrte Bildungsaufstieg wirke bis heute nach: "Wir kämpfen dafür, dass junge Roma jetzt Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit bekommen."

Motivation für Maturanten

Dafür will die HÖR zunächst in der eigenen Community aufklären. Die Aktivisten möchten Schüler, die kurz vor der Matura stehen, für ein Studium begeistern und über die Angebote informieren. "Wir können Vorbilder sein und zeigen, dass jeder ein Studium schaffen kann", sagt Mirković und fügt hinzu: "Wir haben es ja schließlich auch geschafft." Langfristig will die HÖR aber auch in der Gesellschaft Aufklärungsarbeit leisten, etwa Lehrveranstaltungen zur Geschichte und Lebensrealität von Roma hierzulande anregen. Auch die Förderung von Romanes, der Sprache der Roma, möchte der Verein an den Unis vorantreiben.

Für diese Ziele wollte die HÖR ihren eigenen Verein und sich nicht im Rahmen der Österreichischen HochschülerInnenschaft engagieren. "Nur wenn wir unabhängig sind, können wir unsere Inhalte so gestalten, dass sie für die Menschen aus der Community Sinn ergeben", glaubt Mirković. Man sei eine zivilgesellschaftliche Vertretung, die der eigenen Community einen Service biete, und keine politische Fraktion. Damit will die HÖR eine Lücke im Angebot etablierter Roma-Vereine sein, da bislang keine expliziten Projekte für Roma-Studierende angeboten wurden. Man arbeite aber bei gesamtgesellschaftlichen Projekten wie dem Holocaust-Gedenken intensiv zusammen.

Für das erste halbe Jahr zieht die HÖR-Chefin durchwegs positive Bilanz. In diesem Studienjahr will die HÖR auf Partys, Workshops und Podiumsdiskussionen über falsche Stereotype aufklären und neue Mitglieder rekrutieren. Beitreten können alle Studierenden und Schüler über 16 Jahre, die sich zur Volksgruppe der Roma und Sinti zugehörig fühlen. Bislang gibt es die HÖR nur in Wien, Ableger in anderen Uni-Städten sind aber geplant. (Tobias Mayr, 12.10.2021)