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Bundeskanzler Kurz wird mit schweren Vorwürfen konfrontiert – er bestreitet sie.

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Am Mittwoch in der Früh ging es Schlag auf Schlag. Da durchsuchten Ermittler nicht nur das Bundeskanzleramt, sondern auch das Finanzministerium und die Bundesparteizentrale der ÖVP. Ihr Auftrag: Handys, Laptops, Server und Unterlagen sicherzustellen – kurz: alles, was mit den Vorwürfen zu tun hat, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erhebt. Die Vorwürfe sind bekannt und gravierend, es geht um Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Und es gilt die Unschuldsvermutung, die Beteiligten bestreiten die Vorwürfe.

Nun wird es deutlich gemächlicher weitergehen, zumindest auf rechtlicher Ebene. Zuallererst werden die Ermittler die Ergebnisse der Hausdurchsuchungen auswerten, erklärt Robert Kert, Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht der WU Wien. Zeitgleich oder danach wird die WKStA die Beschuldigten – zehn sind es in der Causa, einer davon ist Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) – vernehmen. So müssen die Ermittler herausfinden, ob sich ihr Verdacht auf unlautere Inseratendeals erhärtet – oder eben nicht: Eine Staatsanwaltschaft muss in Österreich immer in beide Richtung ermitteln, Schuld und Unschuld.

Weitere Vorwürfe möglich

Laut Kert könnte es allerdings sein, dass die WKStA schon jetzt noch weitere Verdachtsmomente verfolgt, die bisher nicht bekannt sind (wie es etwa die Grünen am Vortag befürchteten). Denn in die Anordnung der Hausdurchsuchung müsse nur so viel geschrieben werden, dass ein "ausreichender Verdacht" vorhanden ist. Spätestens seit Mittwoch müssten aber alle Vorwürfe im Gerichtsakt zu finden und damit auch für die Beschuldigten einsehbar sein.

Der nächste Knackpunkt ist dann die Frage, ob die WKStA Anklage gegen einen oder mehrere Beschuldigte erhebt. Wenn nein, ist das Verfahren somit vorbei, wenn ja, kommt es zum Prozess. Doch das wird dauern, Monate, wenn nicht sogar mehr als ein Jahr, meint Kert. Immerhin sei das Ermittlungsverfahren deutlich komplizierter als etwa jenes gegen den Kanzler wegen falscher Zeugenaussage.

Beitrags- oder Bestimmungstäter

Eines vorweg: Umfragen zu frisieren und in Medienhäusern zu urgieren sei nicht strafrechtlich relevant, sagt Kert. Es geht um die Bezahlung: "Relevant ist die Frage, ob Rechnungen vom Finanzministerium bezahlt wurden für Leistungen, die nicht ans Ministerium geliefert werden oder die unsachlich sind."

Für Sebastian Kurz ist nun entscheidend, wie weit er in jene Deals, die die WKStA vermutet, involviert war. Kert: "Das Schwierigste wird nun sein nachzuweisen, dass Kurz da tatsächlich Anweisungen gegeben hat" – immerhin wird er momentan als Bestimmungstäter in der Causa verfolgt. "Es würde aber auch für eine Strafbarkeit ausreichen, wenn er die Sache gut findet, dann war er Beitragstäter", so Kert.

Wie der Kanzler sein Amt verlieren kann

Eine andere Baustelle ist freilich, welche politischen Konsequenzen all das nach sich zieht. Einen Rücktritt schloss der Kanzler am Mittwoch aus. Die österreichische Gesetzeslage sieht aber mehrere Möglichkeiten vor, wie er dennoch sein Amt verlieren könnte.

Die erste ist ein Misstrauensantrag – den haben die Oppositionsparteien bereits angekündigt. Dabei entzieht der Nationalrat einem einzelnen Regierungsmitglied sein Vertrauen, der Bundespräsident muss ihn dann des Amtes entheben. Dafür braucht es eine Mehrheit im Nationalrat. Offen ist vorerst noch, wie die Grünen sich dabei verhalten werden – auch wenn sie bereits die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage gestellt haben. Die Grünen könnten entweder durch ihr Stimmverhalten oder durch ihr Nichterscheinen bei der entsprechenden Sitzung die Mehrheitsverhältnisse kippen lassen.

Das gilt ebenso für eine Ministeranklage: Die kann sich auch gegen den Bundeskanzler richten. Allerdings muss dieser eine "schuldhafte Gesetzesverletzung" zugrunde liegen; konkret müssen "Vorschriften der Bundesverfassung oder der Gesetze verletzt" worden sein. Dann wird ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof eingeleitet, das bis zum Amtsverlust führen kann.

Ein Kanzler in Haft?

Ein weiterer Hebel ist der Bundespräsident, aktuell Alexander Van der Bellen. "Wenn es hart auf hart kommt", so sagt Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk, "hat der Bundespräsident die Möglichkeit, den Bundeskanzler allein oder ihn mitsamt der ganzen Bundesregierung zu entlassen". Einzelne Minister oder Ministerinnen könnte er nur auf Vorschlag des Bundeskanzlers tauschen.

Was aber, wenn nichts davon eintritt, keine politische Lösung gefunden wird und der Bundeskanzler auch nicht zurücktritt? Ob ein Schuldspruch kommt, ist freilich offen, und bis diese Entscheidung fällt, können Jahre vergehen. Im Fall eines Schuldspruchs würde Kurz dann sein Amt verlieren, wenn die Freiheitsstrafe, die er in diesem theoretischen Szenario verbüßen müsste, über einem Jahr liegt. Beim Delikt der Bestechlichkeit, das die WKStA Kurz unter anderem vorwirft, liegt das Strafmaß zwischen einem und zehn Jahren, sofern der Wert, um den es geht, über 50.000 Euro liegt. (Gabriele Scherndl, 7.10.2021)