Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit seinen engsten Mitarbeitern, gegen die teilweise nun auch ermittelt wird.

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Am späten Mittwochnachmittag war es so weit: Nicht ganz acht Stunden nachdem öffentlich geworden war, dass es unter anderem im Bundeskanzleramt, der ÖVP-Zentrale und im Finanzministerium Hausdurchsuchungen gegeben hatte, äußerte sich Kanzler Sebastian Kurz erstmals: "Jetzt gibt es nach kurzer Zeit schon wieder neue Vorwürfe", sagte er gegenüber der "Kleinen Zeitung". "Wieder sind es konstruierte Vorwürfe – und wieder nach derselben Systematik: Es werden SMS-Fetzen auseinandergerissen, in einen falschen Kontext gestellt und drumherum strafrechtliche Vorwürfe konstruiert", so Kurz, dem von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Bestechlichkeit beziehungsweise Untreue vorgeworfen werden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Ausführlicher nahm Kurz dann um 22 Uhr in der "ZiB 2" Stellung. Aus dem Interview lässt sich gut ablesen, wie sich der Kanzler nun verteidigt. Eine Drei-Punkte-Strategie:

1. Strafrechtliche Vorwürfe sind konstruiert

Wie bereits in seiner ersten Stellungnahme in der "Kleinen Zeitung", betont Kurz auch gegenüber ORF-Moderator Martin Thür, dass die WKStA Straftaten sieht, wo es dem Kanzler zufolge aber keine gibt – und das passiere quasi am laufenden Band. Kurz sagt: "Wir haben vor Jahren erlebt, dass es Vorwürfe gegen Josef Pröll, dann gegen Hartwig Löger, Gernot Blümel, mich und andere gegeben hat. Und wissen Sie, was jetzt, Jahre später, die Realität ist? All diese Vorwürfe haben sich als haltlos herausgestellt."

"Es wird ermittelt, aber nicht mehr als das"

Das stimmt natürlich nicht, sowohl gegen Ex-Finanzminister Löger als auch gegen Ex-Finanzminister und Ex-ÖVP-Chef Pröll wie auch gegen den jetzigen Finanzminister Gernot Blümel wird nach wie vor im Casinos-Akt ermittelt. Darauf angesprochen, schwächt Kurz ab. Waren die Vorwürfe gegen seine Parteikollegen zuvor noch "haltlos", sagt er dann: "Es wird nach wie vor ermittelt, aber nicht mehr als das." Tatsächlich ist es so, dass lange Ermittlungen nicht bedeuten, dass kein Tatverdacht mehr im Raum steht. Ist die Staatsanwaltschaft nicht von einer Tatbegehung überzeugt, wird sie das Ermittlungsverfahren beenden.

Auch der Vorwurf, dass Umfragen manipuliert worden sein sollen, ist in Kurz' Augen falsch. Es habe nach 2016 bekanntlich zwei Wahlen gegeben, beide Wahlen habe man gewonnen, so Kurz. "Die Meinungsforschung war ziemlich zutreffend, denn sie hat das Wahlergebnis beide Male relativ genau vorhergesagt. Im Jahr 2019 war unser Ergebnis sogar noch besser als in der Meinungsforschung. Im Jahr 2017 war es ziemlich treffsicher." Der Subtext: Wie kann eine Umfrage gefälscht sein, wenn sie die Realität abbildet?

"Es hat im selben Zeitraum 30 Umfragen in unterschiedlichen Medien gegeben, die alle zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sind"

Dass es auch in anderen Medien Umfragen gegeben habe, die zu ähnlichen Ergebnissen gekommen seien, erwähnt Kurz auch. "30 Umfragen im selben Zeitraum" hätten alle das gleiche gezeigt.

Das ist großteils nicht richtig: Wie Analysen der damaligen Umfragen gezeigt haben, sah das beauftragte Unternehmen Research Affairs die ÖVP unter Kurz-Vorgänger Reinhold Mitterlehner bei 18 oder 19 Prozent (vor Veröffentlichung dieser Umfrage schrieb Thomas Schmid "Wir wollen die ÖVP bei 18"), während andere Meinungsforschungsinstitute bisweilen 25 Prozent errechneten. Allerdings: Das vom STANDARD beauftragte Market Institut hatte die ÖVP im August 2016 bei 18 Prozent. Unter Mitterlehner waren die Werte bei den Market-Umfragen nie höher als 22 Prozent. Mit der Übernahme der Partei durch Kurz im Mai 2017 sah Research Affairs die Volkspartei dann bei 35 Prozent, während viele anderen Institute durchwegs zurückhaltender waren.

Zuletzt brachte Kurz in seinem kurzen Statement am Donnerstagnachmittag auch noch die Unschuldsvermutung zur Sprache und stellte in den Raum, dass diese für ihn nicht gelte. Die Unschuldsvermutung habe "stets für jeden gegolten", auch für seine Vorgänger und Landeshauptleute. "Bis vor wenigen Tagen war das eigentlich auch in Österreich Common Sense."

2. Er selbst hat nichts gemacht

Ein weiterer Teil der Strategie des Kanzlers ist, darauf hinzuweisen, dass er selbst überhaupt nicht involviert gewesen sei in etwaige Deals. Auch Sprachsoziologin und Diskursforscherin Ruth Wodak analysiert, Kurz habe sich als "unschuldig zum Handkuss Gekommener" dargestellt.

"Es haben zwei Personen miteinander SMS geschrieben, wo ich weder der Absender noch der Empfänger war. Und daraus konstruieren Sie jetzt was? Einen strafrechtlichen Vorwurf?", fragt er Moderator Thür. Das besagte Meinungsforschungsinstitut habe er selbst nie beauftragt. Und auch, dass die WKStA argumentiert, das alles hätte nicht ohne das Wissen des Kanzlers passieren können, weist er zurück. "In keinem dieser SMS gibt es von mir irgendeinen Auftrag oder ein Ersuchen, irgendetwas zu tun, und gleichzeitig stellt die Staatsanwaltschaft dann am Ende die These in den Raum, alles ist von Kurz gesteuert."

"Der hat damals nicht für mich gearbeitet"

Zu dieser Verteidigungslinie zählt auch, dass Kurz engere Beziehungen zu den anderen Beschuldigten bestreitet beziehungsweise herunterspielt. Mit Thomas Schmid, den Gernot Blümel in einer Nachricht bekanntlich als "Familie" bezeichnete, tat er das bereits nach früheren Ermittlungen, nun tut er das auch bei anderen Beschuldigten. Einen seiner derzeit engsten Berater habe er zum Zeitpunkt, der nun im Fokus der Ermittlungen steht, "kaum gekannt. Der hat damals nicht für mich gearbeitet", sagte Kurz am Mittwochabend.

Gemeint ist hier Johannes Frischmann. Über den heißt es in dem 2020 erschienenen Buch "Inside Türkis", das ´Bemerkenswerte an seiner Karriere sei, "außer ihm ist es in all den Jahren kaum jemandem gelungen, Einlass in den elitären Kurz-Zirkel zu finden". Jeder aus der ÖVP wolle da rein, "wirklich drin ist aber nur eine Handvoll". Frischmann kam 2017 zu Kurz, Autor Klaus Knittelfelder nennt Thomas Schmid hier als maßgeblichen Einfädler. Bei Kurz habe er mit "unbändigem Fleiß und bedingungsloser Loyalität" gepunktet. Dass Kurz ihn in den Vertrauenskreis holte, habe aber auch mit dessen Freundin zu tun gehabt – Frischmann und Susanne Thier kannten sich schon lange.

"Wieso soll ich schon wieder dafür verantwortlich sein?"

Die problematischen Nachrichten seien allesamt von Mitarbeitern des Finanzministeriums verfasst worden, betont der Kanzler gleich mehrfach in dem Gespräch. Kurz: "Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wieso ich schon wieder dafür verantwortlich sein soll."

Allerdings hat Kurz mit genau diesen Mitarbeitern des fachfremden Ressorts kommuniziert. Was Thomas Schmid mit der Nachricht an ihn meinte, wo er von "Umfragen im besprochenen Sinne" schreibt, erklärt Kurz folgendermaßen – nämlich gar nicht: "Ich glaube, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben, dann ist es so, dass er mich darüber informiert hat, und ich glaube, dass es alles andere als problematisch ist, wenn man so eine Information erhält."

Außerdem wird natürlich nicht nur gegen (ehemalige) Mitarbeiter des Finanzministeriums ermittelt. Die ÖVP wird als gesamte Organisation in der Anordnung zur Hausdurchsuchung als beschuldigt genannt. Andere Mitarbeiter von Kurz, gegen die ebenfalls ermittelt wird, waren nie im Finanzministerium tätig.

"Ich weiß beim besten Willen nicht, wo da der strafrechtliche Vorwurf sein soll"

Auch dass er die damalige Familienministerin Sophie Karmesin "wegen Umfrage" treffen wollte, sei nicht verdächtig, denn: "Die Sophie Karmasin hat in zweiter Generation ein Umfrageinstitut geleitet. Die hat Umfragen schon gemacht, da waren wir beide noch Schüler. Und insofern, glaube ich, ist es doch total okay, sich als Minister mit einer Ministerkollegin zu treffen. Das haben wir alle paar Wochen gemacht. Und ja, vielleicht haben wir auch einmal über das Thema Umfragen gesprochen. Ich weiß nur beim besten Willen nicht, wo da der strafrechtliche Vorwurf sein soll."

"Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie bereichert"

Wichtig ist es dem Kanzler offenbar auch, zu betonen, dass er mit etwaigen Scheinrechnungen nichts zu tun habe: "Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie bereichert. Ich habe selbstverständlich niemals eine Scheinrechnung oder sonst irgendetwas gestellt oder erhalten." Das wird ihm freilich von der WKStA auch nicht vorgeworfen – in den Ermittlungen geht es darum, dass diese Scheinrechnungen von der Meinungsforscherin B. erstellt wurden, vom Team um Kurz aber in Auftrag gegeben wurden. Die essenzielle Frage wäre demnach, ob Kurz von solchen Abrechnungen wusste, nicht ob er sie selbst erstellte.

3. Whataboutism und Schuldvermeidung

Diese Antwort führt gleich zur dritten Strategie: Der Bundeskanzler weist vielfach auf allgemeine Problematiken bezüglich Inseratenvergaben oder auch der Meinungsforschung hin, die mit den aktuellen Ermittlungen und Vorwürfen allerdings nichts zu tun haben. So erwähnt Kurz beispielsweise, dass die Stadt Wien 2016 mehr inseriert habe "als die ganze Bundesregierung zusammen".

"Wenn ich ein Sozialdemokrat wäre, wäre es kein Problem"

Auch "dass es da ein Spannungsverhältnis gibt, dass Medien auf der einen Seite die sind, die berichten, und gleichzeitig mit der Politik über Medienförderung und Inserate verhandeln", hat nichts mit den Ermittlungen zu tun, ist dem Kanzler aber offenbar wichtig zu betonen. Kurz spricht auch noch die Ermittlungen gegen den Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) an. Anstatt klar auf die Frage zu antworten, ob er trotz der Ermittlungen im Amt bleiben könne, sagt Kurz: "Also ich sage einmal, wäre ich ein Sozialdemokrat, wäre es kein Problem. Gegen Werner Faymann ist ermittelt worden wegen der Inseratenvergabe."

Bei den Ermittlungen gegen Faymann ging es um die Frage, ob der spätere Bundeskanzler in seiner Zeit als Infrastrukturminister aktiv bei der Inseratenvergabe der ÖBB mitmischte, also als für die ÖBB zuständiger Ressortchef direkt Einfluss darauf nahm, wo die Bahn Inserate schaltet. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelte wegen Verdachts auf Untreue und falsche Zeugenaussage von 2011 bis 2013. Auslöser war eine Anzeige der FPÖ.

Mit Äußerungen wie diesen habe Kurz versucht, "sich zu distanzieren und aufzurechnen", so Sprachforscherin Wodak. In der Diskursforschung nenne man ein solches Vorgehen "blame avoidance", auf Deutsch: Schuldvermeidung.

"... dann müssten Sie alle Meinungsforschungsinstitute verklagen"

Und was die Meinungsforschung betrifft, merkt Kurz an, dass es mehrere Institute gebe, die sowohl für Medien als auch Parteien arbeiten. Wenn das der Vorwurf sei, "dann müssten Sie alle Meinungsforschungsinstitute verklagen in Österreich", sagt Kurz. Fest steht natürlich, dass das nicht der Vorwurf ist. Dieser lautet in dem Zusammenhang, dass vom Finanzministerium in Auftrag gegebene Umfragen von B. unter Studien (Betrugsbekämpfung) abgerechnet wurden – mit dem Medium "Österreich" soll gleichzeitig vereinbart worden sein, dass diese Umfragen kommen und wohlwollend kommentiert werden. Dass Kurz im Gespräch mit Thür darauf hinweist, dass auch der für den ORF tätige Peter Filzmaier Parteien berate, geht an diesem Vorwurf vorbei – nicht nur, weil Filzmaier seine verschiedenen Tätigkeiten transparent kommuniziert. (Lara Hagen, 7.10.2021)