Es geschieht nicht oft, dass Österreich es in die internationalen Schlagzeilen schafft. Wenn, dann ist dies selten mit positiven Ereignissen konnotiert. So verhält es sich auch mit der aktuellen Aufmerksamkeit, die Österreich zuteil wird: Die Pressestimmen zu den Razzien im Umfeld des Bundeskanzlers zeichnen eine wenig ruhmvolle Episode heimischer Geschichte. Von einem "Schlaglicht" auf die politische Kultur Österreichs ist ebenso zu lesen wie von einer Art "House of Cards".

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Die Durchsuchungen im Umfeld von Bundeskanzler Sebastian Kurz sorgen international für Schlagzeilen.
Foto: Reuters/Foeger

"Austria's Kurz under suspicion for bribery and embezzlement in corruption probe" (Österreichs Kurz wegen Bestechung und Veruntreuung unter Verdacht bei Korruptionsermittlungen), meldet die Brüsseler "Politico"-Edition: "Die Razzien und Anschuldigungen kommen zu einer bestehenden Zahl an Skandalen, die Kurz und seine engsten Verbündeten als übertrieben und sie gar nicht betreffend von sich gewiesen haben – darunter Ermittlungen wegen Bestechlichkeit in der ÖVP und die berüchtigte Ibiza-Affäre."

"Austrian chancellor under investigation over alleged misuse of funds" (Ermittlungen gegen Österreichs Kanzler wegen angeblichen Missbrauchs von Geldern), meldet der "Guardian". "Die jüngsten Anschuldigungen könnten eine frische Belastung für die Koalition der ÖVP mit den Grünen darstellen, die schon wegen eines früheren Skandals unter Druck gekommen war. Die Ibiza-Affäre (...) hatte zum spektakulären Zusammenbruch von Kurz' früherer Koalition mit der Rechtsaußenpartei FPÖ geführt. (...) Für den Moment sind grüne Politiker aber vorsichtig geblieben, was die jüngsten Vorwürfe betrifft, die just kommen, nachdem die Regierung eine CO2-Steuer als Teil ihrer 'ökosozialen' Steuerreform präsentiert hat", heißt es.

Die "Financial Times" schreibt: "Austria's chancellor named as suspect in corruption probe" (Österreichs Kanzler als Verdächtiger in Korruptionsermittlung genannt). "Bei der Untersuchung geht es im Kern darum, ob gefälschte Rechnungen im Finanzministerium ausgestellt wurden, um 1,2 Millionen Euro an Regierungsförderung an Pro-Kurz-Medien zu leiten, als Kurz 2016 und 2017 Außenminister war. In jener Zeit positionierte sich Kurz, um die Führung der ÖVP zu übernehmen. (...) Analysten sagen, die Ermittlungen würden wahrscheinlich die Probleme für die Koalitionsregierung aus Volkspartei und Grünen vertiefen. (...) Separat gegen Kurz laufende Ermittlungen wegen Falschaussage vor einem offiziellen Untersuchungsausschuss des Parlaments sind seit diesem Jahr ein Knackpunkt im koalitionsinternen Verhältnis. Die neue Untersuchung der WKStA ist aber bei weitem schwerwiegender."

"En Autriche, le chancelier Sebastian Kurz visé par une enquête pour corruption" (In Österreich wird Bundeskanzler Sebastian Kurz von Korruptionsermittlungen ins Visier genommen), titelt die französische Tageszeitung "Le Monde", ähnlich wie die "Liberation", der "Figaro" und "L'Express".

Unter dem Titel "Es könnte eng werden für Sebastian Kurz" schreibt die "Süddeutsche Zeitung": "Als es nur um den Vorwurf der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Parlament ging, gab sich Österreichs Kanzler Sebastian Kurz cool: Das werde sich im Sande verlaufen; bei einer Anklage bleibe er im Amt. Ob das ethisch und politisch richtig gewesen wäre – diese Frage dürfte seit Mittwoch sein kleinstes Problem sein. Sollten sich die jüngsten und hammerharten Vorwürfe der Korruptionsstaatsanwaltschaft, die ohnehin schon zahlreiche Verfahren gegen Politiker aus Kurz' Regierungspartei ÖVP führt, bewahrheiten, ginge es – juristisch – um Beihilfe zur Untreue und Bestechlichkeit. Und ethisch ginge es um die Manipulation der öffentlichen Meinung und damit der demokratischen Willensbildung. (...)

Mit öffentlichen Inseraten quasi gekaufte Medien – das hat in Österreich schon lange System; aber weil alle Regierungen davon profitierten, wurde es nie reformiert. Kanzler Kurz hat so viel Geld über wohlmeinende Medien ausgeschüttet wie vor ihm keiner; er kauft sich seine Popularität damit wohl auch zum Teil. Nun deutet sich an, dass er mit dieser Methode womöglich sogar ins Kanzleramt gekommen sein könnte. Die Wochenzeitung 'Falter' spricht von 'Korruption in großem Stil' – und bezieht sich auf den konkreten Verdacht der Staatsanwälte. Aber Korruption in großem Stil ist auch die Medienförderung in Österreich, die Boulevardzeitungen mit Geld überschüttet und Qualitätsmedien mit Brosamen abspeist. Zunächst werden das Schicksal von Sebastian Kurz und das mögliche Scheitern seiner Regierung die Schlagzeilen bestimmen; gut vorstellbar, dass es Neuwahlen gibt. Aber danach muss die Inseratenkorruption abgestellt werden. Sie ist nichts anderes als bezahlte Propaganda."

Das "Handelsblatt" kommentiert unter dem Titel "Verdacht auf Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue – Sebastian Kurz' Partei unter Druck": "Gerüchte, dass sich über Österreichs Regierungspartei ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz ein neuerliches Gewitter zusammenbraut, gab es seit September. Am Mittwochmorgen war es so weit: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) durchsuchte die Wiener Parteizentrale der ÖVP und das Kanzleramt. Die Geschichte ist verworren, wirft aber ein Schlaglicht auf Österreichs politische Kultur und das 'System Kurz'. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt die ÖVP, sich bei der Mediengruppe Österreich Berichterstattung "erkauft" zu haben. (...) Die Nachricht hat das ohnehin schwer angeschlagene politische System Österreichs erneut erschüttert."

"Der Vorwurf lautet Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue", titelt die "Welt". "Der zunehmend eskalierende Konflikt zwischen dem österreichischen Kanzler und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist mit den Razzien vom Mittwoch jedenfalls kein Kleinkrieg mehr. Vor allem aber wurde mit diesen Hausdurchsuchungen ein ganz neues Kapitel in den Korruptionsermittlungen gegen Kurz und sein Umfeld aufgeschlagen: Der Vorwurf lautet diesmal Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue."

Die dänische "Politiken" schreibt: "Østrigs kansler efterforskes for at købe positiv omtale"(Gegen den Bundeskanzler von Österreich wird wegen Kaufs positiver Werbung ermittelt), während die spanische "El Mundo" mit "La fiscalía austríaca investiga al canciller Kurz por sobornar a un periódico sensacionalista" (Österreichische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Bundeskanzler Kurz wegen Bestechung einer Boulevardzeitung) titelt.

Die Turiner "La Stampa" schreibt, "Österreich ist mit einer Art von 'House of Cards' aus dem Jahr 2016 konfrontiert, als Kurz noch ein junger Außenminister mit vielen Hoffnungen war, der die ÖVP verjüngen wollte. Die ÖVP attackiert die Justiz und versetzt damit die grünen Koalitionspartner in Verlegenheit. Kurz leistet Widerstand, doch in Wien könnte sich eine politische Krise anbahnen, die zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren eine Regierung Kurz erschüttern würde."

Die "Repubblica" in Rom wiederum sieht kakanische Verhältnisse in Wien: "Die Ermittlungen um Ibiza-Gate erreichen jetzt auch Bundeskanzler Kurz. Die beschlagnahmten Smartphones sind zu einer Goldgrube geworden. Sie haben zur Enthüllung eines Systems aus Gefälligkeiten, Komplotten und Vergeltungsaktionen rund um den jüngsten europäischen Premier beigetragen, wie es nicht einmal in Musils Kakanien hätte vorkommen können."

Der Mailänder "Corriere della Sera" schreibt: "Die Ermittlungen gegen Kurz sind ein schwerer Schlag für den Kanzler, gegen den bereits eine Untersuchung wegen Falschaussage in der sogenannten Ibiza-Affäre läuft. Österreichs Politik ist in Aufruhr, die ÖVP weist die Vorwürfe zurück. Der verheerende Pakt mit dem Verleger Fellner soll den politischen Aufstieg Kurz' gefördert haben."

"Il Manifesto" titelt mit "Terremoto politico in Austria, Kurz indagato per corruzione" (Politisches Erdbeben in Österreich, Ermittlung gegen Kurz wegen Korruption) und schreibt: "Politisches Erbeben in Österreich: Die Schlinge um Kurz, gegen den schon seit Monaten ermittelt wird, wird immer enger. Er ist jetzt nicht nur mit dem Verdacht der Falschaussage in Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre konfrontiert. Er wird jetzt auch der Korruption in großem Stil beschuldigt, wie tausende Chats und die öffentlichen Gelder bezeugen, die zur Finanzierung gefälschter Umfragen dienten."

Sogar in Brasilien ist die Entwicklung der "Folha de São Paulo" eine Meldung wert: "Premiê austríaco é investigado por supostos pagamentos a jornal em troca de cobertura positiva" (Untersuchung gegen Österreichs Premier wegen angeblicher Zahlungen an Zeitung im Austausch für positive Berichterstattung), schreibt die renommierte Tageszeitung.

Und auch das arabische Al Jazeera-Netzwerk meldet: "Austrian leader Kurz under investigation on suspicion of bribery" (Ermittlung gegen Österreichs Kanzler Kurz wegen Bestechungsverdachts). (Michael Vosatka, APA, 7.10.2021)