Warum sagte Kurz zu Thür sieben Mal "bei allem Respekt"? Er habe keine andere Wahl gehabt, als höflich zu sein, sagt Ruth Wodak.

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Wien – Sebastian Kurz habe im "ZiB 2"-Interview am Mittwochabend versucht, sich als Opfer intensiver Bemühungen darzustellen, ihn als Kanzler loszuwerden, als "unschuldig zum Handkuss Gekommenen", sagt die Sprachsoziologin und Diskursforscherin Ruth Wodak.

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Die stringente Gesprächsführung durch den "sehr gut vorbereiteten" ORF-Journalisten Martin Thür und die gründliche Einordnung der Hausdurchsuchungen vom Mittwoch und ihrer Hintergründe in den "ZiB"-Beiträgen davor hätten Kurz dieses Vorgehen jedoch erschwert.

Distanzierungs- und Aufrechnungsversuche

Mit den im Ermittlungsprotokoll vorkommenden Chats habe er nichts zu tun, diese seien vielmehr im Umfeld des Finanzministeriums aufgepoppt, sagte der Kanzler. Auch die Stadt Wien unter dem damaligen Stadtrat und späteren Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) habe fragwürdige Inserate geschaltet. Mit Äußerungen wie diesen habe Kurz versucht, "sich zu distanzieren und aufzurechnen", so Wodak. In der Diskursforschung nenne man ein solches Vorgehen "blame avoidance", auf Deutsch: Schuldvermeidung.

Das jedoch habe der Kanzler "in aller Höflichkeit" und in "bemüht staatsmännischem Stil" getan. Anders, so Wodak, habe er sich auch nicht verhalten können, ohne sich zu disqualifizieren. Die Vorwürfe, mit denen der Kanzler und sein Umfeld konfrontiert sind, seien zu ernst, um etwa "in aggressivem Stil 'So können Sie mit mir nicht reden' zu kontern".

Sieben Mal "bei allem Respekt"

Tatsächlich sagte Kurz im Interviewverlauf sage und schreibe sieben Mal "bei allem Respekt" zu Thür, der ihn zu den Vorwürfen befragte. Und der dabei, so Wodak, offensiver vorging, als man es aus einer Reihe bisheriger Kurz-Interviews im ORF gekannt habe.

"Thür hat Kurz unterbrochen, wenn dieser eine Frage nicht beantwortete. Er hat unbeantwortete Fragen wiederholt und so die für Kurz typischen langen Antworten mit ausführlichen Vorbemerkungen verhindert", sagt Wodak. Und Thür habe dem Kanzler im richtigen Moment die richtigen Zitate vorgehalten, vor allem jenes aus Kurz' Rede nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos, in der er zum Beispiel die Korruptionspläne Heinz-Christian Straches (FPÖ) als inakzeptabel bezeichnete. (Irene Brickner, 7.10.2021)