Der Kanzler wird der Anstiftung zu Bestechlichkeit und Untreue beschuldigt – es gilt die Unschuldsvermutung.

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Sebastian Kurz wollte nicht Parteiobmann werden. Anderslautende Gerüchte wischte er anlässlich des ÖVP-Parteivorstands im Jänner 2017 vom Tisch: "Ich verstehe diese Debatte nicht. Derzeit stehen keine Wahlen bevor, und ich bin als OSZE-Vorsitzender und Außenminister mehr als ausgelastet." Intern dürfte aber alles anders gewesen sein, wie die Anordnungen zu den Hausdurchsuchungen vom Mittwoch nahelegen. Tatsächlich hat der engste Kreis um Kurz bereits "gezündelt", wie aus Chats hervorgeht.

Umgesetzt wurde das über die Tageszeitung "Österreich": Dort wurde anhand einer Umfrage berichtet, dass die "ÖVP im Umfrage-Keller", "Strache mit 34 Prozent top" und "Kern besser als 'Django'", also der damalige ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner, sei. Meinungsforscherin B. kommentierte das auf derselben Zeitungsseite so: "VP würde von Kurz-Wechsel profitieren".

"Wir zündeln"

Im Hintergrund soll die Mannschaft rund um Kurz sowohl bei den Umfragen als auch bei der redaktionellen Berichterstattung dazu mitgespielt haben, so der Vorwurf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. In einem Chat mit Thomas Schmid behauptete ein damaliger Sprecher des Finanzministeriums: "Der B. hab ich gestern noch angesagt was sie im Interview sagen soll." Schmid applaudierte und antwortete den inzwischen bekannten Satz: "So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen. Geniales Investment. Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt schafft an. Ich liebe das!"

Schmid freute sich auch, dass die ÖVP-Spitze durch diese Berichte "ja beim Parteivorstand ein Thema haben" müsste; "Wir zündeln", antwortete der Pressesprecher. Am Abend dieses 8. Jänner meldete sich auch Kurz bei Schmid: "Danke für 'Österreich' heute." Schmid bekannte: "Immer zu deinen Diensten :))".

Kurz, der Retter

Gemäß WKStA war das die "erste Phase" der Zusammenarbeit zwischen dem Finanzministerium, Kurz und seinen Leuten sowie den Fellners. Da sei es darum gegangen, den damaligen Parteichef Mitterlehner niederzuschreiben und Kurz als Retter der ÖVP zu positionieren. In der zweiten Phase ging es dann um Themensetzungen, in der dritten darum, unentschlossene Wähler zu bewegen und Funktionäre zu mobilisieren. In der vierten Phase, als die Kurz-ÖVP bereits die Wahl gewonnen hatte, um Regierungsvarianten.

Wie das Modell funktioniert haben soll, beschreibt die WKStA so: Kurz-Vertraute sollen Umfragen in Auftrag gegeben und bei den Fragen mitgemischt haben. "Österreich" berichtete dann über diese Umfragen, auch hier soll das Team rund um Kurz mitgeredet haben. Die Möglichkeit zur Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte soll sich das Finanzministerium mit einer Inseraten- und Medienkooperationsvereinbarung im Wert von rund 1,3 Millionen Euro bei "Österreich" erkauft haben. Betont sei, dass all das von den Involvierten bestritten wird und dass die Unschuldsvermutung gilt.

Umweg nötig

Dieses Konstrukt war für Kurz und sein Umfeld aus Sicht der WKStA ein Umweg zu den nötigen Mitteln, weil damals (noch) kein Zugriff auf die Parteikassen möglich gewesen sei. Mit im Spiel: die damalige Familienministerin Sophie Karmasin, die zuvor als Meinungsforscherin tätig war – und das heute wieder ist. Mit ihr traf sich Kurz damals auch, um sie zur Mitarbeit bei diesem Plan zu überreden. Schmid briefte Kurz so: Sie sei "so angefressen wegen Mitterlehner, weil er ihr in den Rücken gefallen ist. (…) Wenn du ihr sagst, dass jetzt nicht die Welt untergeht. Und dass Mitterlehner eben ein Arsch war usw. hilft das sicher". Kurz knapp: "Passt, mach ich".

Karmasin, die vor ihrer Ministerzeit lange für die Fellner-Medien gearbeitet hatte, wurde offenbar überzeugt und legte dann den Draht zu den "Österreich"-Machern. Mit von der Partie war laut WKStA die langjährige Mitarbeiterin Karmasins, Frau B., die sich 2015 selbstständig gemacht hatte. Mit ihr entwickelten die Beschuldigten das "B. Österreich Tool", wie es Thomas Schmid zu nennen pflegte.

Der "Kurz-Turbo"

Ein paar Beispiele für Artikel, die im Rahmen dessen in "Österreich" erschienen: Am Ende der Ära Mitterlehner hieß es etwa "Trotz Schlappe FPÖ klar auf Platz 1" oder "Absturz: ÖVP im Umfragekeller". Dann kam der "Kurz-Turbo", "Mit Kurz hängt ÖVP alle ab". In der Mobilisierungsphase hieß es dann "Nur 51 Prozent wissen, wen sie wählen".

Eine Auswertung des STANDARD zeigt, dass die Umfragewerte von Kurz in "Österreich" klar über jenen in den Umfragen anderer Institute lagen. Mitterlehner kam dagegen in "Österreich" schlechter als anderswo weg. Möglicherweise wurde Kurz in den Umfragen also noch beliebter gemacht, als er es ohnehin schon war. Laut WKStA gibt es aber auch Hinweise darauf, dass Daten "frisiert" worden seien. Die begründen die Ermittler mit folgender Nachricht eines Pressesprechers an Thomas Schmid: "Wir schneiden schlechter ab als SPÖ – Da habe ich umgedreht."

"Muss beim Rechnen aufpassen"

In "Wellen" wurden die von den Kurz-Vertrauten mitgestalteten Umfragen damals gemacht, Rohdaten, etwa jene über Spitzenkandidaten bei der anstehenden Nationalratswahl, habe Schmid an Kurz weitergeleitet. Die ÖVP komme bei sozialen Themen "an SPÖ ran", ließ er Kurz wissen, und: "Muss beim Rechnen aufpassen, sonst wird es unglaubwürdig."

Bezahlt haben soll all das letztlich der Steuerzahler, vermutet die WKStA. Der Weg dorthin: Zunächst habe B. ihre Umfragen über "Österreich" abgerechnet und Scheinrechnungen gelegt. Die "Österreich" entstandenen Kosten soll das Finanzministerium über Inserate "ausgeglichen haben". In der zweiten Phase soll B. direkt Geld vom Finanzministerium bekommen haben – allerdings nicht für ihre Umfragen, sondern für "geförderte Studien". In die Rechnungen dafür soll sie den Aufwand für die Umfragen "reingepackt" haben. Ein Beispiel aus dem August 2017: Als B. fragte, ob sie "die letzten beiden Wellen" abrechnen könne, gab ihr Schmid den Auftrag: "Die Kosten für die offenen (Rechnungen, Anm.) packst du dann in die Studie zur Betrugsbekämpfung rein". Auf weitere Nachfragen gab er sich dann vorsichtig: "Ich erkläre dir das nach meiner Rückkehr persönlich."

"Sprunghafter Anstieg der Ausgaben"

Die genannten Inserate aus dem Finanzministerium glichen die Ermittler mit den Meldungen gemäß Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz ab. Demnach gab es im Finanzministerium zwischen Anfang 2014 und Ende 2015 bis auf zwei Quartale gar keine Medienkooperationen mit der Fellner-Gruppe, danach einen "sprunghaften Anstieg der Ausgaben für Inserate" in diese Richtung.

Die WKStA wirft den Beschuldigten vor, "dass es sich bei den offiziellen Inseratenaufträgen um Scheingeschäfte handelt". Für die Information der Öffentlichkeit hätten die Inserate nämlich nichts gebracht; die Motivation sei gewesen, der ÖVP durch positive Berichterstattung einen Vorteil zu verschaffen. Bei den Umfragen und deren Veröffentlichung habe es eine "ausschließlich parteipolitische Motivation" gegeben, zum Beispiel die "bewusste Steuerung der öffentlichen Meinung", womit die "Mobilisierung der Wähler" oder die "parteiinterne Beeinflussung" erreicht werden sollte. "Die Veröffentlichungen waren dabei zur Meinungslenkung unverzichtbarer Bestandteil der Strategie", heißt es in der Anordnung. Und weiter: "Um die beabsichtigte Wirkung erzielen zu können, mussten die Umfragen und deren Kommentierungen im redaktionellen Teil eines Mediums erscheinen, weil nur so der notwendige Anschein von unabhängig recherchierten Daten gegeben war."

Das wird auch in einer Konversation zwischen einem damals neuen Pressesprecher und Schmid thematisiert. Der Sprecher meinte: "Die Umfrage nimmt keiner". Man möge "doch gleich ein Inserat" schalten. Schmid antwortete lapidar: "Eben. Daher haben wir das B. ÖSTERREICH Tool entwickelt. Erfolgreich!"

Auffällig erfolgreich erschien auch die Benotung des damaligen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) in "Österreich", was Schmid für "sehr gut" hielt. Dem genannten Pressesprecher erklärte Schmid das Phänomen Löger-Benotung so: Das Finanzministerium sei "größter Sponsor von 'Österreich' nach der Gemeinde Wien". Und, so Schmid zu seiner grundsätzlichen Einstellung zu Medien: "Objektivität gibt es nicht im Journalismus." (Renate Graber, Fabian Schmid, 7.10.2021)