Bei der Staatsanwaltschaft Wien (StA) werden gegen die Regenbogenparade gerichtete homophobe Hasspostings im Internet angezeigt. Für die Staatsanwältin ist niemand Opfer. Weder Teilnehmer noch Redner noch LGBTIQ-Organisationen. Niemand auf Opferseite soll Akteneinsicht erhalten und erfahren, ob und was sie gegen die Täter unternimmt. Nicht einmal, ob überhaupt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.

Hass gegen LGBTIQ-Community

Im April 2021 veröffentlichte die ORF-Sendung "Zeit im Bild" auf Instagram einen Beitrag zur Regenbogenparade 2021 mit dem Titel "Am 19. Juni 2021: Regenbogenparade in Wien als Fuß- und Fahrraddemo". Unter diesem Beitrag finden sich in der Folge Hasspostings wie diese:

  • "Hoffentlich kommt bald der Tag des jüngsten Gerichts" <Emoji Heiligenschein>
  • "schmutz"
  • "ekelhaft"
  • "spuck auf diese demo"
  • "Neues Attentat gar kein bock" <Emoji im Profiltext: eine mit einem Verbotszeichen versehene Regenbogenflagge>
  • "I foa mitn Traktor durch und fertig"

Diese Kommentare fordern zu Gewalt gegen homo- und bisexuelle sowie transidente und intergeschlechtliche Menschen auf. Sie erfüllen damit den Tatbestand der Verhetzung (§ 283 Abs 2 StGB), weil eine Gruppe von Menschen eine andere, nach Kriterien des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen beschimpft, ihre Menschenwürde verletzt oder sie in der öffentlichen Meinung verächtlich macht oder herabsetzt.

Staatsanwaltschaft: Keine Opfer

Der offen homosexuelle Nationalratsabgeordnete und LGBTIQ-Sprecher der Neos, Yannick Shetty, sowie das Rechtskomitee LAMBDA (RKL) haben daher gemeinsam Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Wien erstattet und sich dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen.

Shetty hat sich darauf berufen, dass er sowohl im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als auch aufgrund der persönlichen Betroffenheit sowohl als Redner als auch als einfacher Teilnehmer an der Regenbogenparade teilnimmt. Die gegen die Parade als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gerichteten Beschimpfungen und Drohungen betreffen ihn daher als Versammlungsteilnehmer und besonders exponierte Person in besonderem Maße. Er ist daher eines der Opfer der angezeigten Straften, zumal der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nicht nur die direkt Betroffenen als Opfer solcher Delikte ansieht, sondern alle, die durch die Tat Schaden erleiden oder die ein berechtigtes und persönliches Interesse an ihrer Beendigung haben (Association ACCEPT et al v ROM 2021 par. 46).

Gegen die Teilnehmenden der Regenbogenparade wurde online Verhetzendes gepostet.
Foto: APA/EXPA/FLORIAN SCHROETTER

EGMR: "Exzessiv formalistisch"

Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL) machte geltend, dass es ein Verein nach dem Vereinsgesetz ist, der im Sinne seiner statutengemäßen Ziele seit 1991 führend für die Rechte homo- und bisexueller sowie transidenter und intergeschlechtlicher Menschen und gegen deren Diskriminierung und Verhetzung in Österreich und international arbeitet. Auch ihm kommt daher Opfereigenschaft und Parteistellung zu, hat doch der EGMR ausgesprochen, dass solchen Organisationen, in Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder, Parteistellung in solchen Strafverfahren zukommen muss. Die Parteistellung zu verweigern wäre "exzessiv formalistisch" und würde die von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechte "unwirksam und illusorisch" machen (Beizaras & Levickas v LIT 2020 par. 81).

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR kommt Opfern von Hassdelikten das Recht auf eine wirksame, umfassende und erschöpfende Untersuchung und auf wirksame Strafverfolgung der Täter zu. Als Shetty und das RKL in der Folge jedoch Akteneinsicht begehrten, um zu sehen, wie die Staatsanwaltschaft dieser menschenrechtlichen Verpflichtung nachkommt, wies sie die StA zurück. Für die Staatsanwältin gibt es keine Opfer der Postings. Niemand sei konkret betroffen. Daher habe auf Opferseite auch niemand Akteneinsicht und soll auf Opferseite niemand erfahren, ob und was die Staatsanwaltschaft unternommen hat.

Eine derartige Geheimjustiz hat mit der vom EGMR garantierten wirksamen Strafverfolgung von Hass im Netz ebenso wenig zu tun wie mit den Rechten der Opfer des Hasses. Über die Akteneinsicht entscheidet daher nun das Gericht. (Helmut Graupner, 11.10.2021)