Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn hatte am Donnerstag über einen erfreulichen Fehler zu berichten.

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Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn versuchte es am Donnerstag als eine erfreuliche Nachricht zu verkaufen: "Die Impfkampagne ist offenbar noch erfolgreicher als gedacht", sagte der CDU-Politiker der Agentur dpa. Das dürfte den Tatsachen entsprechen. Allerdings ergibt sich daraus auch eine verblüffende Diskrepanz zwischen den bisherigen offiziellen Daten und der Zahl jener, die in Deutschland tatsächlich bereits eine Covid-19-Schutzimpfung erhalten haben.

Um bis zu fünf Prozentpunkte soll laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) die Impfquote unter Erwachsenen über den bisher angenommenen Zahlen liegen, gaben die Forschenden und der Gesundheitsminister nun bekannt. Statt 75 Prozent hätten damit 80 Prozent bisher beide Stiche erhalten, 84 Prozent mindestens einen. Das entspricht einer Differenz von bis zu 3,5 Millionen Menschen.

Schon bisher hatte in Deutschland der Unterschied zwischen jenen, die in anonymen Umfragen erklärten, sie seien durch das Vakzin immunisiert, und den Daten aus dem Impfzentren für Aufsehen gesorgt. Diese Differenz hatte sich laut Berechnungen vom August sogar auf rund fünf Millionen Menschen summiert. Damals hatte man bereits mit Nachforschungen begonnen, aber auch andere Erklärungsmodelle angedacht. So sei es etwa möglich, dass in dem Umfragen jene Menschen unterrepräsentiert seien, die wenig Vertrauen zu öffentlichen Stellen haben. Diese Menschen seien der Annahme nach auch unterdurchschnittlich oft geimpft. Ähnliches gelte für Personen mit schlechten Deutschkenntnissen.

Bestimmte Impfungen nicht erfasst

Das RKI ist der Sache nun nachgegangen und kam laut einem Bericht vom Mittwoch zum Schluss, dass die genannten Annahmen stimmen dürften, aber keine hinreichende Erklärung für die Differenz seien. Man dürfe daher davon ausgehen, dass die Zahl der geimpften Erwachsenen um bis zu fünf Prozentpunkte höher liege als bisher angenommen. Es sei auch so, dass "bestimmte Impfungen" nicht in der Statistik aufscheinen würden, heißt es beim RKI. Das schließe man zum einen aus Umfragezahlen, zum anderen aber auch aus einem Abgleich mit Meldedaten. Das gelte insbesondere für Impfungen durch Betriebsärztinnen- und ärzte und auch durch jene, die im niedergelassenen Bereich in ihren Praxen Immunisierungen durchführen.

Wären in Deutschland tatsächlich 3,5 Millionen Menschen mehr geimpft, würde das auch die Impfquote – also die Zahl der Geimpften unter der Gesamtbevölkerung – deutlich anheben. Sie würde dann von derzeit 68,4 Prozent auf 72,4 Prozent ansteigen. Deutschland, das derzeit in den offiziellen Zahlen zur Impfquote nur knapp vor Österreich liegt, würde damit einen deutlichen Abstand zu den Zahlen hierzulande erlangen. Sie liegen laut dem Dashboard das österreichischen Gesundheitsministeriums bei einer Impfquote von 64,6 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Die Differenz entscheidet

Das gilt zumindest dann, wenn die Datenerfassung in Österreich korrekt ist. DER STANDARD hat deshalb beim Gesundheitsministerium nachgefragt, ob eine ähnliche Unterschätzung der Impfquote wie in Deutschland auch in Österreich denkbar ist. "In Einzelfällen" sei es zwar möglich, dass Impfungen nicht erfasst seien, heißt es dort. Eine Differenz wie in Deutschland scheine aber wegen der Registrierung im digitalen Impfpass in Österreich nicht wahrscheinlich. Was allerdings das offizielle Dashboard derzeit unterschlage, das seien einige Prozentpunkte an Vollimmunisierten: Das liege daran, dass dort nur zweimal geimpfte Personen aufscheinen, genesene Geimpfte aber nicht. An einer technischen Lösung arbeite man.

Die Differenz zwischen Annahme und Realität in Deutschland jedenfalls macht einen Unterschied – auch für die politischen Entscheidungen. Spahn sprach in einer Reaktion auf die Zahlen am Donnerstag von einem Schutzpolster, den man sich damit erarbeitet habe. Die bestehenden Maßnahmen – 3G-Regel im Inneren, Abstandsregeln, Hygiene, Personenbeschränkungen – würden zwar dennoch weiterhin bestehen. Er gehe nun aber davon aus, dass eine weitere Verschärfung im Herbst und Winter nicht nötig sein werde. Angedacht wären in diesem Bereich etwa Regelungen für Außenbereiche gewesen. (Manuel Escher, 7.10.2021)