Die Pandemie setzt vielen psychisch zu. Es gibt Stellen, die rasch und unkompliziert Hilfe anbieten.

Foto: imago images/Panthermedia

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass sich die psychische Gesundheit der Bevölkerung seit Ausbruch der Corona-Pandemie deutlich verschlechterte. Eine neue Studie zeigt nun das drastische Ausmaß, was die Wiener Bevölkerung betrifft. Fast die Hälfte (46 Prozent) aller Wienerinnen und Wiener berichtet davon, dass sich ihre psychische Gesundheit seit der Pandemie verschlechtert habe.

Das zeigt eine vom Meinungsforschungsinstitut Sora durchgeführte repräsentative Studie unter 1.003 Teilnehmern, die von der MA 23, dem Psychosozialen Dienst Wien (PSD) sowie dem Fonds Soziales Wien (FSW) in Auftrag gegeben wurde. Sie liegt dem STANDARD vor. Es handelt sich dabei um eine Anschlussstudie zu einer Befragung, die bereits nach Ausbruch der Pandemie durchgeführt und im Oktober 2020 präsentiert wurde. Damals gaben 27 Prozent der Wiener an, dass sich ihre psychische Gesundheit seit der Pandemie verschlechtert habe.

Angst, Erschöpfung, Depression

Betroffene haben Angst, sind niedergeschlagen oder depressiv. Weit verbreitet ist auch Einsamkeit und ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit. Etwa die Hälfte (51 Prozent) gibt an, in den Wochen vor der Befragung unter Erschöpfung gelitten zu haben. 17 Prozent berichten von Suizidgedanken, davon sagen zwei Prozent, "an fast jedem Tag" derartige Gedanken zu haben.

Als besonders belastend werden insgesamt die fehlenden sozialen Kontakte empfunden: 60 Prozent der Wiener sind wegen eingeschränkten Kontakts zu Freundinnen und Freunden "sehr oder ziemlich" belastet. Fast genauso viele (58 Prozent) belastet der Gedanke daran, dass das Ende der Pandemie nicht absehbar ist. 35 Prozent machen sich Sorgen aufgrund existenzieller Unsicherheiten und Zukunftsplänen.

Besonders ins Auge sticht die Verschlechterung bei jenen Personen, die vor der Pandemie eine gute psychische Verfassung hatten: 19 Prozent dieser Gruppe berichteten im Frühjahr 2020 von einer Verschlechterung, ein Jahr später gilt das nun für 41 Prozent. Insgesamt sind aber nach wie vor jene besonders betroffen, denen es schon vor der Pandemie nicht gut ging. 59 Prozent beklagen hier eine Verschlechterung der Situation, ein Jahr zuvor waren es 56 Prozent.

Alle Schichten betroffen, manche mehr

Betroffen sind alle Bevölkerungsschichten, aber nicht in gleichem Ausmaß. Sozioökonomisch benachteiligte Gruppen sind stärker betroffen. Aktuell berichten 41 Prozent der Wiener mit stabiler finanzieller Lage von einer Verschlechterung. Dem gegenüber stehen 62 Prozent bei der Gruppe jener, deren finanzielle Situation sich auch verschlechtert hat. Ebenso sind Frauen stärker betroffen als Männer, und hier besonders jene, die nicht vermögend sind.

"Die versteckte Pandemie wütet auch in Wien", heißt es in der Studie. Die psychosozialen Begleiterscheinungen hätten sich nicht nur innerhalb der Risikogruppen verfestigt, sondern weit darüber hinaus ausgebreitet. Besonders sichtbar wird das bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 58 Prozent der 16- bis 34-Jährigen berichten von einer Verschlechterung. Junge Wiener erleben außerdem häufiger Konflikte in Familien. In der Studie wird das darauf zurückgeführt, dass in diese Altersspanne zahlreiche Umbrüche fallen: Berufsentscheidungen, Ausbildungen müssen begonnen und abgeschlossen werden, schließlich folgt der Berufseinstieg. Auszug und Familiengründungen finden statt: "Das Finden des eigenen Platzes in der Gesellschaft wurde durch die Pandemie erschüttert – mit entsprechenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit", lautet die Conclusio.

Junge besonders betroffen

Junge Menschen haben auch den höchsten Bedarf an Hilfe im Bereich psychischer Gesundheit. Und diese gibt es grundsätzlich– zum Beispiel, wenn man Ängste hat, depressiv ist oder Suizidgedanken hat. In Wien gibt es zum Beispiel acht sozialpsychiatrische Ambulatorien, die als Erstanlaufstelle für Betroffene in einer Krisensituation dienen.

13 Millionen Euro sollen bis Ende 2022 zusätzlich in die Versorgung von Jugendlichen mit psychischen Problemen fließen, wie Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) jüngst ankündigte. Zudem soll es bis 2023 300.000 zusätzliche Psychotherapiestunden über die Krankenkasse geben. Dem PSD Wien ist das aber zu wenig: "Um die langfristigen negativen Auswirkungen der Pandemie für die Gesellschaft nicht noch zu verstärken, braucht es rasch Maßnahmen in Österreich. Die angekündigten 13 Millionen Euro sind leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Koordinator Ewald Lochner.

Doch nicht nur hierzulande, sondern auch international steigt die Anzahl psychischer Erkrankungen. Eine am Samstag in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichte Studie schätzte, dass vergangenes Jahr weltweit 52 Millionen Menschen mehr an einer schweren depressiven Störung litten, als es ohne Pandemie der Fall gewesen wäre. Die Zahl der unter Angstzuständen leidenden Menschen lag demnach um 76 Millionen höher. Die Forscher analysierten für die Schätzung Daten aus Nordamerika, Europa und Ostasien und erstellten ein Modell für das erwartete Auftreten von Depressionen und Angstzuständen. (Vanessa Gaigg, red, 9.10.2021)

Es gibt Hilfe

Sollten Sie Hilfe benötigen oder unsicher sein, ob Sie Hilfe benötigen, gibt es Anlaufstellen und professionelle Ansprechpartner. Die Telefonseelsorge ist zum Beispiel unter 142 kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Weitere Anlaufstellen finden Sie in der Infobox unter diesem Artikel. Zögern Sie bitte nicht, Hilfe zu suchen.