Eine Kompressorstation in der Ukraine, durch die ein Teil des russischen Erdgases Richtung Westen geht.

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Am Mittwoch ist der Gaspreis an der Londoner Börse kurzzeitig auf 1.900 Dollar (1.643 Euro) je 1.000 Kubikmeter geklettert – eines der vielen Allzeithochs in diesem Jahr. Auch wenn der Rohstoff anschließend im Preis deutlich nachgab, ist Gas derzeit immer noch dreimal so teuer wie Anfang August.

Den russischen Erdgasmonopolisten Gazprom und dessen Aktionäre freut es. Der Aktienkurs des Unternehmens ist mit dem Gaspreis seit Wochen auf Höhenflug. Er erwarte einen "guten kalten Winter für Gazprom", sagte Konzern-Vizechef Witali Markelow. Schon in den ersten neun Monaten habe der Energieversorger sein Planziel erreicht, fügte er hinzu.

Sorge wegen hoher Gasrechnung

Mit Blick auf den Winter sind nun besonders Endkunden besorgt wegen der sich abzeichnenden deutlich höheren Gasrechnungen, auch in Österreich. Selbst bei Gazprom als Profiteur nennt man die aktuellen Gaspreise "inadäquat" und fürchtet um die Zukunft. "Wir sind mit der Unfähigkeit des Markts konfrontiert, einen adäquaten Preis zu generieren. Dieser spiegelt nicht das Niveau der Deals, nicht den Zustand des europäischen Markts wider", sagt Sergej Komljew, Abteilungschef für die Vertrags- und Preisgestaltung bei Gazprom Export.

Auf diesem Niveau gebe es kaum noch Interessenten. Das schlage sich auf den Umsatz nieder. Allerdings sieht Komljew beim Preis keine schnelle Entspannung: Da der Gaspreis in Asien noch höher sei, lieferten andere große Förderer wie Australien, Katar, die USA und selbst Nigeria, das geografisch Europa am nächsten liegt, eben dorthin.

"Anschuldigung unrichtig"

Schuldzuweisungen aus dem Westen, die Gasknappheit bewusst herbeigeführt zu haben, um die Anfang September fertiggestellte, von der Bundesnetzagentur noch zu zertifizierende Pipeline Nord Stream 2 rasch in Betrieb zu nehmen, widerspricht Moskau. Nord Stream 2, in der auch Geld der OMV steckt, soll jährlich 55 Milliarden m3 Gas auf direktem Weg nach Europa bringen.

Russland habe mit dem, was derzeit auf den Gasmärkten in Europa ablaufe, nichts zu tun, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Die aktuelle Lage sei auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, zu denen unter anderem die schnelle Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie zähle. Wer Russland beschuldige, demonstriere daher nur seine "Unprofessionalität", betonte er.

Moskau erfülle alle seine Verträge. Mehr noch: Gazprom habe seine Lieferungen fast auf Rekordniveau angehoben. Alle im Rahmen der Verträge möglichen Limits habe der Konzern ausgeschöpft, so Peskow.

Zweifel an Moskaus Argumentation

Zumindest die letzte Aussage ist strittig, denn bis weit in den Sommer hinein weigerte sich Russland, weitere Kapazitäten der Gaspipeline durch die Ukraine anzumieten. Kiew hatte diese Kapazitäten angeboten, um die nach dem langen Winter in Europa leeren Gasspeicher schneller wieder aufzufüllen.

Russlands Präsident Wladimir Putin verortet die Schuld für die aktuelle Lage bei den europäischen Regierungen. Der aktuelle Preis sei Anzeichen einer "Hysterie". Das Chaos an den Märkten sei darauf zurückzuführen, dass man sich vielerorts nicht ordentlich um die Energiesicherheit kümmere. "Die einen spekulieren mit den Problemen der Klimaveränderung, andere unterschätzen dies und jenes, wieder andere kürzen die Investitionen in den Fördersektor", sagte Putin. Der Seitenhieb dürfte der Fokussierung der EU auf erneuerbare Energien gelten, durch die Moskau perspektivisch massive Einbußen für seinen die Wirtschaft dominierenden Öl- und Gassektor befürchtet.

Teurer Transit

Putin hat sich unterdessen dafür ausgesprochen, eine mögliche Erhöhung des Gasangebots für die EU zu prüfen. Möglich wäre es demnach etwa, den Gastransit über die Ukraine in die EU zu erhöhen. Allerdings machte Putin auch deutlich, dass dies für Gazprom wegen hoher Transitkosten nicht attraktiv sei.

Zumindest derzeit ist dank der Planungslücken in einer Reihe von EU-Ländern Russlands Energiemacht größer denn je. Die EU-Länder seien in die Krise geraten, weil sie sich von den zuverlässigen Langzeitverträgen gelöst hätten, um kurzfristige Einsparungen über den Spot-Markt zu erzielen, analysierte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić.

Putin habe nun alle Hebel in der Hand, um auf den Gaspreis einzuwirken, sagte er. "Jetzt ist Putin der absolute Königsmacher, er kann darauf einwirken, wer wie viel zu welchem Preis bekommt", sagte Vučić. Er selbst, bekannt für seine guten Kontakte nach Moskau, bat seinen russischen Amtskollegen in dem Zusammenhang schon einmal, Serbien in der Krise zu helfen. (André Ballin aus Moskau, Günther Strobl, 7.10.2021)