Die Norra Tornen in Stockholm wurden 2020 fertiggestellt.

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Die Optik der Westkaai Towers 5 und 6 im belgischen Antwerpen ist alten Backsteinlagerhallen nachempfunden.

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Turm mit Hüftschwung: Der Omniturm in Frankfurt wurde von Bjarke Ingels entworfen.

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Während das Wohnen im Turm in den meisten amerikanischen, arabischen und asiatischen Städten seit langer Zeit ein integraler Bestandteil des Immobilienportfolios ist, scheint das Thema in Österreich nach wie vor gegen Imageprobleme anzukämpfen. Viele Menschen nehmen die über viele Geschoße gestapelte Bauweise als kalt, anonym und unpersönlich wahr. Hinzu kommen die hohen Kaufpreise, die mit jedem Höhenmeter deutlich zunehmen, ehe sie in den letzten Geschoßen – wie etwa im Marina Tower – galaktische Sphären jenseits der 15.000 Euro pro Quadratmeter erreichen.

Inklusion oder Exklusion

"Ob das Wohnen im Hochhaus als etwas Attraktives und Natürliches wahrgenommen wird, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab", sagt Christoph Reinprecht, Soziologe an der Universität Wien und assoziierter Wissenschafter am Centre de Recherche sur l’Habitat in Paris, spezialisiert auf die Themen Wohnen, soziale Ungleichheit und urbane Koexistenz. "Erstens geht es darum, ob diese Wohnform wie etwa in New York, Hongkong oder Rotterdam Teil der städtischen Identität ist, und zweitens stellt sich die Frage, welche soziale Inklusion oder Exklusion die Architektur und die strukturelle Beschaffenheit eines Wohnhauses verkörpern."

Während das Wohnen im Hochhaus – ob am Matzleinsdorfer Platz oder in einem der vielen Wohnbauten von Harry Glück – früher tendenziell eine günstige, leistbare Sache für die breite Masse war, so Reinprecht, entwickle sich der Wohnturm heutzutage mehr und mehr zu einem nicht immer sympathischen Symbol für Reichtum und Wohlstandsgesellschaft. Projekte wie Triiiple, Marina Tower, Parkapartments am Belvedere, der Bruckner Tower in Linz oder die futuristischen Danube Flats, die sich gerade im Rohbau befinden, seien beispielgebend für das Dilemma. Reinprecht: "Oft sind dies Fremdkörper im architektonischen und gesellschaftlichen Gefüge einer Stadt."

Blick nach draußen

Doch wie sieht die Situation außerhalb Österreichs aus? Und welche baukulturelle und urban-identitätsstiftende Rolle nehmen die Wohntürme in Düsseldorf, Antwerpen und Stockholm ein? Ein sehr klassisches Beispiel ist Win Win im Düsseldorfer Medienhafen. Mit 60 Meter Höhe, 19 Geschoßen und einer traditionellen Backsteinfassade mit kupferummantelter Krone wirken die beiden von Frankonia Eurobau errichteten Zwillingstürmchen in der Speditionsstraße, als seien sie immer schon da gewesen.

"Die Gestalt der beiden Wohnhochhäuser stellt sich außerhalb aktueller Trends", sagt Johannes Kister, Partner im zuständigen Büro ksg architekten und stadtplaner. "Aufgrund des nächtlichen Betriebs des Hafenkraftwerks mussten wir ein Schallpräventionskonzept vorlegen. Dieses sieht vor, dass sich sämtliche Fenster ab 22 Uhr automatisch schließen. Da die Rahmenbedingungen Balkone obsolet machen, haben wir als Ausgleich auf den beiden Turmspitzen Gemeinschaftsgärten angelegt." Dank der Kupferumhausung sollen die begrünten Dachterrassen auch bei Wind komfortabel nutzbar sein.

Backsteinoptik in Antwerpen

160 Kilometer weiter westlich plante der britische Architekt Tony Fretton zwei Wohntürme mit jeweils 16 Geschoßen. Die Ziegelfassaden der streng gestalteten Gebäude im Hafengebiet von Antwerpen sollen an die alten Backsteinlagerhallen am Westkaai erinnern.

Horizontal aus der Fassade stehende Ziegelsteine schaffen einen reliefartigen, ornamentalen Effekt, der aufgrund seiner Licht- und Schattenwirkung zu jeder Tageszeit deutlich zu sehen ist. Die beiden Türme wurden mit dem Brick Award 2018 ausgezeichnet.

Stockholmer Zwillinge

Auch Rem Koolhaas und Reinier de Graaf, die mit ihrem Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Wien gerade das Signa-Kaufhaus an der Mariahilfer Straße planen, entschieden sich bei ihrem Hochhausprojekt für ein Doppel: Der 125 Meter hohe Ostturm in Hagastaden im Norden Stockholms wurde bereits 2018 eröffnet, der 110 Meter hohe Bruder im Westen folgte zwei Jahre später. Bauherr der Norra Tornen ist Oscar Engelbert von Oscar Properties in Stockholm.

Besonderheit ist ein modulares System aus Betonfertigteilen, die zu einer tetrisartigen Erkerskulptur ineinander verschachtelt wurden. Dahinter verbergen sich insgesamt 300 Wohneinheiten mit Wohnflächen zwischen 44 und 270 Quadratmetern.

Der Turm mit dem Shift

Eines der elegantesten und zugleich radikalsten Hochhäuser jedoch kommt als Solo daher: Für den US-amerikanischen Immobilieninvestor Tishman Speyer entwarf der dänische Zampano-Architekt Bjarke Ingels den 185 Meter hohen Omniturm in Frankfurt am Main. Auffälligstes Element des gemischt genutzten Wohn- und Büroturms im Herzen der Finanzmetropole, der sich mittlerweile in Besitz der Commerz Real befindet, ist der dramatische Shift im mittleren Bereich. Durch die Verschiebung der Geschoßplatten ergeben sich attraktive Balkon- und Terrassenflächen.

Eines haben die Wohntürme da wie dort gemein: "Die Preisgestaltung in einem Wohnhochhaus hat mit Realität nicht mehr viel zu tun, das ist ein ganz eigener Kosmos", sagt Soziologe Reinprecht. "In den letzten Jahren ist das Wohnhochhaus fast überall in Europa das Produkt einer globalisierten, hochpreisigen Immobilienwirtschaft geworden. Als Teil einer sozialen Wohnraumversorgung ist dieses Modell de facto gescheitert. Dazu ist das Hochhaus sozial, technisch und ökonomisch zu vulnerabel. Im hochpreisigen Segment sind die Ressourcen dafür viel eher vorhanden." (Wojciech Czaja, 10.10.2021)