DER STANDARD klärt die wichtigsten Begrifflichkeiten, die uns wohl Monate oder gar Jahre begleiten werden.

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Die Vorwürfe, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und zahlreiche seiner Weggefährten erhebt, sind seit Mittwoch hinlänglich bekannt. Und sie sind schwerwiegend. Unter –> Verdacht steht nicht nur Kurz allein, sondern ein ganzes Team, eine eingeschworene Truppe und jene, mit denen sie mutmaßlich zusammengearbeitet hat. Und zwar wegen –> Bestechung, –> Bestechlichkeit und –> Untreue.

Doch was bedeuten diese Begriffe genau, worum geht es in alledem, das mittlerweile als Inseratencausa die Medien und die gesellschaftliche Debatte dominiert und schon jetzt die Sprengkraft hat, die Regierung in ihrer jetzigen Form zu beenden? DER STANDARD klärt die wichtigsten Begrifflichkeiten, die uns in dem Zusammenhang wohl Monate oder gar Jahre begleiten werden – für eine Debatte auf Augenhöhe, für ein Verständnis des Rechtsstaats und seiner Institutionen und für Fairness gegenüber den –> Beschuldigten.

Denn das eine sind die politischen Fragen: Wird der enge Zusammenhalt in Kurz' Umfeld dem zunehmenden Druck der Strafverfolgung standhalten? Wird Kurz ehemalige Weggefährten zu seinen Gunsten fallen lassen? Erste Hinweise auf Zerwürfnisse innerhalb der Truppe gab es ja bereits, als der Kanzler im Interview mit dem ORF davon sprach, enge Weggefährten damals kaum gekannt zu haben. Das andere aber ist die trockene Juristerei, die für derartige Fragestellungen längst Antworten parat hat: etwa die –> Kronzeugenregelung.

Der weitere Verlauf des Verfahrens wird nun aber zuerst einmal davon abhängen, ob die Ermittler im Zuge der –> Hausdurchsuchungen weitere –> Beweismittel sicherstellen konnten – und davon, wie sich die zahlreichen Involvierten in ihren Einvernahmen verantworten. Bis auf weiteres gilt für die Beteiligten jedenfalls die –> Unschuldsvermutung.

AMTSMISSBRAUCH (maskulin, Singular): Ein Tatbestand im Strafgesetzbuch, der in der Inseratencausa bislang nicht vorkommt. Er ist nur dann erfüllt, wenn ein Amtsgeschäft im Rahmen der Hoheitsverwaltung vorgenommen wurde. "Wäre etwa die Buchhaltung des Finanzministeriums manipuliert worden, dann würde das auch zur Hoheitsverwaltung zählen", sagt Verwaltungsjurist Peter Bußjäger.

AMTSVERLUST (maskulin, Singular): Umgangssprachlich auch als Amtsunfähigkeit bezeichnet. Ein Amtsträger, der eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr oder eine unbedingte Freiheitsstrafe von über sechs Monaten bekommt, verliert sein Amt. Ein laufendes Ermittlungsverfahren oder eine Anklage reichen dafür nicht aus.

ANGEKLAGTE(R) (maskulin oder feminin, Singular): Ein Beschuldigter oder eine Beschuldigte, gegen den oder die die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Je nach Schwere des Delikts stellt die Behörde entweder einen Strafantrag oder eine Anklageschrift aus. Damit endet das Ermittlungsverfahren. Es folgt die öffentliche Hauptverhandlung beim zuständigen Strafgericht.

BESCHULDIGTE (maskulin oder feminin, Plural): Personen, gegen die sich der Verdacht einer strafbaren Handlung erhärtet und gegen die Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden. Im Verfahren rund um die Inseratencausa werden die Beteiligten von der Staatsanwaltschaft bereits als "Beschuldigte", nicht mehr bloß als "Verdächtige" geführt. Unter anderen Bundeskanzler Sebastian Kurz, der ehemalige Öbag-Chef Thomas Schmid, Kurz-Berater Stefan Steiner und Pressesprecher Gerald Fleischmann.

BESTECHLICHKEIT (feminin, Singular): Ein Tatbestand im Strafgesetzbuch, der es verbietet, für ein Amtsgeschäft eine Gegenleistung anzunehmen. Die aktive Seite des Delikts ist die "Bestechung". Die Beschuldigten der aktuellen Causa sollen im Zuge ihrer Amtsführung Inserate gekauft und im Gegenzug den Vorteil einer wohlwollenden Berichterstattung bekommen haben. Den mutmaßlichen Vorteil beziffert die Staatsanwaltschaft mit mehr als 50.000 Euro. Das Strafausmaß beträgt daher bis zu zehn Jahre Haft.

BETEILIGTE (maskulin oder feminin, Plural): Bezeichnet nicht die unmittelbaren Täter, sondern jede Person, die sich an einem Delikt beteiligt. Möglich ist das in Form der "Bestimmung" und des "Beitrags". Bestimmungstäter ist, wer jemand anderen zur Ausübung einer Tat anstiftet. Beitragstäter ist, wer die Tat physisch oder psychisch "fördert". Dem Kanzler wird die Anstiftung zur Untreue und zur Bestechlichkeit vorgeworfen – er wird als Bestimmungstäter verdächtigt. Und zwar weil er als Außenminister und später als Bundeskanzler den ehemaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, damit beauftragt haben soll, die Vereinbarungen rund um die Inseratenaffäre einzugehen. Schmid selbst wird die Bestimmung zur Untreue und Bestechlichkeit als unmittelbarer Täter vorgeworfen. Wer sich an einem Strafdelikt beteiligt, ist mit der gleichen Strafe bedroht wie der unmittelbare Täter.

BEWEIS (maskulin, Singular): Die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Tatsachen als erwiesen angesehen werden können. Nur dann darf ein mutmaßlicher Täter verurteilt werden. Zweifel schlagen sich stets zugunsten des Beschuldigten oder des Angeklagten aus. Indizien sind hingegen weniger wert als Beweise, aus ihnen können nur Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Ein Beispiel: Alleine der Umstand, dass Kurz Profiteur des Systems war, würde für eine Verurteilung als Bestimmungstäter wohl nicht ausreichen. Die WKStA braucht also Beweise, um ihren Verdacht zu untermauern – die sammelt sie etwa in Form von Chatnachrichten auf den beschlagnahmten Handys.

DIVERSION (feminin, Singular): Neben Anklage und Einstellung die dritte Möglichkeit, ein Ermittlungsverfahren zu beenden. Bei hinreichend geklärtem Sachverhalt kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht auf ein Strafurteil verzichten. Der Beschuldigte bekommt dann das Angebot, die Verantwortung für seine Tat zu übernehmen und einen Geldbetrag zu bezahlen oder gemeinnützige Arbeit zu leisten. Eine Diversion kommt allerdings nicht infrage, wenn die Strafhöhe eines Delikts höher als fünf Jahre ist – das wäre bei den aktuellen Bestechungs- und Bestechlichkeitsvorwürfen jedoch der Fall.

ERMITTLUNGEN (feminin, Plural): Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und der Polizei, die zur Aufklärung eines Sachverhalts beitragen sollen. Ermittlungen können von Amts wegen oder aufgrund einer Anzeige eingeleitet werden.

HAUSDURCHSUCHUNG (feminin, Singular): Eine Ermittlungsmaßnahme zur Sicherstellung von Beweismitteln, die für ein Strafverfahren wichtig sind. Voraussetzung dafür ist ein "begründeter Verdacht". Hausdurchsuchungen werden von der Staatsanwaltschaft angeordnet und müssen von einem Gericht bewilligt werden.

INSTANZENZUG (maskulin, Singular): Entscheidet ein Gericht in erster Instanz, ist eine Berufung an das übergeordnete Gericht möglich. Im Fall einer Anklage würde der Fall Kurz am Straflandesgericht Wien verhandelt werden. Gegen ein erstinstanzliches Urteil wäre eine Berufung über die Strafhöhe an das Oberlandesgericht Wien oder eine Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof möglich. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung könnten Jahre vergehen.

KRONZEUGEN (maskulin oder feminin, Plural): Täter, die gegenüber der Staatsanwaltschaft auspacken. Legen Beschuldigte ein Geständnis ab und unterstützen bei der Aufklärung der Straftat, kann die Behörde die Ermittlungen gegen sie einstellen. Das ist aber nur so lange möglich, wie die mutmaßlichen Täter nicht als Beschuldigte einvernommen und keine Zwangsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen gegen sie gesetzt wurden, sagt Strafverteidigerin Heidemarie Paulitsch. Ein Geständnis würde sich allerdings auch für Beschuldigte, die bereits einvernommen wurden, strafmildernd auswirken.

UNSCHULDSVERMUTUNG (feminin, Singular): Ein Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit. Verdächtige, Beschuldigte und Angeklagte gelten vor Gericht und in der Öffentlichkeit so lange als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Die Unschuldsvermutung gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Ein Urteil ist rechtskräftig, wenn nicht mehr dagegen berufen werden kann.

UNTREUE (feminin, Singular): Ein Tatbestand im Strafgesetzbuch, der die missbräuchliche Verwendung fremden Vermögens verbietet. Strafbar ist, wer die Befugnis hat, über das Vermögen eines anderen zu verfügen, diese Befugnis wissentlich missbraucht und dadurch einen Schaden verursacht. Im aktuellen Verfahren wird den Beschuldigten vorgeworfen, Steuergeld für die Finanzierung von Anzeigen und Umfragen in "parteipolitischem Interesse" verwendet zu haben. Die Staatsanwaltschaft beziffert den mutmaßlichen Schaden mit mehr als 300.000 Euro. Das Strafausmaß beträgt daher bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.

VERDACHT (maskulin, Singular): Die Voraussetzung für ein Ermittlungsverfahren. Ein Anfangsverdacht liegt dann vor, wenn Staatsanwaltschaft oder Polizei wegen bestimmter Anhaltspunkte annehmen, dass jemand eine Straftat begangen hat – also ein Verdächtiger ist. Werden diese Annahmen konkreter, wird der Verdächtige zum Beschuldigten.

VERFAHRENSTRENNUNG (feminin, Singular): Eine Möglichkeit der effizienten Verfahrensführung. Ermittlungsverfahren, die sich gegen dieselben Personen richten oder sachlich zusammengehören, müssen grundsätzlich gemeinsam geführt und gleichzeitig angeklagt werden. Ist einer von mehreren Vorwürfen fertig ermittelt, können einzelne Verfahrensstränge allerdings auch aus dem Akt herausgelöst werden. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft könnte das Verfahren rund um die mutmaßliche Falschaussage von Sebastian Kurz im Ibiza-Untersuchungsausschuss also auch schon früher anklagen als die neuen Vorwürfe. Die Entscheidung liegt bei der Behörde.

VORSATZ (maskulin, Singular): Der Wille, eine Straftat zu begehen. In den allermeisten Fällen reicht allerdings ein "bedingter Vorsatz". Strafbar ist schon, wer es ernsthaft für möglich hält und sich damit abfindet, falsch auszusagen oder sich bestechen zu lassen, sagt Strafverteidigern Paulitsch. Etwas schwieriger ist der Nachweis des Vorsatzes bei der Untreue. Strafbar ist nur, wer seine Befugnis, fremdes Vermögen zu verwalten, wissentlich missbraucht.

ZEUGEN (maskulin oder feminin, Plural): Personen, die zur Aufklärung einer Straftat beitragen können, sind Zeugen. Sie sind verpflichtet, richtig und vollständig auszusagen, und werden im Ermittlungsverfahren und/oder in einem etwaigen Gerichtsverfahren befragt. (Jakob Pflügl, Gabriele Scherndl, 8.10.2021)