Bild nicht mehr verfügbar.

Weil es der Arabica-Bohne zu heiß wird, müssen Alternativen her.

Foto: imago images/Xinhua

Dass Sie diese Zeilen möglicherweise zu einer Tasse Kaffee lesen, können Sie einem äthiopischen Bauern verdanken – und zwar nicht (nur) dem, der die Bohnen für Ihren Morgenkaffee angebaut hat. Wie die Legende es will, soll einem Ziegenhirten im neunten Jahrhundert ein Strauch mit sonderbaren roten Beeren aufgefallen sein, welche er pflückte und mitnahm. Der Abt eines örtlichen Klosters wiederum soll daraus ein Getränk gebraut haben – und das fetzte.

Kaum vorzustellen ist, dass das westliche Leben lange ein komplett koffeinfreies war. Erst im 17. Jahrhundert schwappte die Kaffeewelle unaufhaltsam über Europa. Der US-amerikanische Autor Michael Pollan, der mehrere Bücher über die soziokulturellen Aspekte von Essen veröffentlicht hat, stellt in seinem letzten (Your Mind on Plants) sogar die steile These auf, dass die Grundpfeiler der westlichen Welt auf Kaffeesatz errichtet sind.

Schließlich traf man sich in den plötzlich entstandenen Kaffeehäusern erstmals in der Geschichte nicht zum Konsum von Alkoholischem, sondern einer aufputschenden Substanz. Nach jahrhundertelanger Sauferei gab es endlich eine Droge für die nüchternen Aufklärer. König Charles III. wollte das neuartige Getränk sogar verbieten, weil die Menschen in den Kaffeehäusern vermehrt über Politik diskutierten. Um die Kaffeehauskultur aufzuhalten, war es allerdings zu spät, den Kampf gegen das Koffein gab er schon nach elf Tagen auf. Kaffee und Rationalismus, das passt zusammen, irgendwie. Wie groß genau der Anteil des Kaffees an den großen Umbrüchen der Neuzeit war, lässt sich aber genauso gut aus seinem Satz herauslesen.

Aufbruch zu neuen Bohnen

Fakt ist hingegen, dass Koffein heute die am weitesten verbreitete psychoaktive Substanz ist. Doch der Kaffee ist in Gefahr. Schuld ist – wieder einmal – der Klimawandel. Denn der beliebtesten Kaffeesorte Arabica wird es zu warm. Das lässt sich bereits heute erschmecken. Professionelle Kaffeetester waren bei der Verkostung von Arabica-Kaffee aus Nicaragua schon vor ein paar Jahren einig, dass dieser durch die Klimaveränderung viele seiner unverwechselbaren, zarten Aromen verlieren würde.

Gut – jenen, die sich ihre Dosis Koffein im Vorbeigehen aus dem Kaffeeautomaten in der Arbeit oder überhaupt aus Löskaffee holen, werden diese feinen Arabica-Noten wohl nicht abgehen. Doch die Klimakrise schlägt sich nicht nur im Geschmack, sondern auch in der Menge nieder. Laut Studien könnte 2050 schon die Hälfte der weltweiten Anbauflächen für Kaffee verlorengegangen sein. Besonders gefährdet ist die Arabica-Pflanze.

Kaffee-Scouts suchen deshalb fieberhaft nach neuen Bohnen. In der freien Natur gibt es mehr als 100 Kaffeesorten, von denen nur eine Handvoll kommerziell angebaut werden.

Kaffee aus dem Labor

Große Hoffnung liegt etwa in der Art Stenophylla, die vor kurzem in Sierra Leone wiederentdeckt wurde. In Blindverkostungen konnten 80 Prozent der Testschmecker den Unterschied zur bekannten Sorte Arabica nicht ausmachen. Süßlich-fruchtig soll Stenophylla schmecken, vor allem aber wächst die Pflanze auch in wärmeren Zonen. Bis zu sechs Grad höhere Temperaturen soll Stenophylla aushalten, auch stärkere Regenfälle interessieren die neue Pflanze nicht die Bohne.

In Finnland, wo so viel Kaffee getrunken wird wie kaum sonst wo, geht ein Team aus Forschenden einen ganz anderen Weg. Sie wollen unabhängig vom Klima Kaffee produzieren – nämlich im Labor, mit der gleichen Methode, mit der irgendwann auch künstliches Fleisch (und vielleicht auch Fisch, Eier und Milch) heranwachsen soll. Dazu haben sie Zellen aus lebenden Kaffeepflanzen entnommen, im Labor vermehrt und in Bioreaktoren heranwachsen lassen. Heraus kam eine hellbraune Masse, die getrocknet, geröstet und aufgebrüht tatsächlich wie echter Kaffee schmecken soll.

VTT

In vier Jahren könnte der synthetische Kaffee bereits marktreif sein, heißt es in einer Presseaussendung von VTT Research. Da die Laborplörre aber unter die Novel-Food-Verordnung fällt, müssen zuerst noch die EU-Behörden entscheiden, ob er zukünftig in die Tüte kommt – und das kann dauern. Bis dahin heißt es also: abwarten und Tee trinken – denn der ist etwas robuster gegenüber Klimaveränderungen. (Philip Pramer, 17.10.2021)