Sebastian Loudon, Herausgeber des Monatsmagazins "Datum", schreibt in seinem Gastkommentar über dringend notwendige medienpolitische Reformen.

Die von der Staatsanwaltschaft zusammengetragenen Anschuldigungen gegen den Bundeskanzler, sein Umfeld, die Medienbrüder Fellner und die Marktforscherinnen Karmasin und B.legen offen, wie es mitunter im Beziehungsgeflecht aus Politik und Medien zugehen kann. Es ist ein Anblick, der auch hartgesottene Kenner dieses Biotops grausen lässt. Über die rechtliche Schuldfrage kümmert sich die Justiz, so lange gilt die Unschuldsvermutung. In dieser Affäre steckt aber viel mehr, und darüber sollen und müssen wir sofort reden.

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Wie es um den türkisen König bestellt ist, hängt sehr stark von den Seinen ab: Die Affäre um Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine Mitarbeiter wächst sich stetig aus.
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Es ist ein Image-Super-GAU für Medien, Politik und Marktforschung, alles drei Berufsfelder, die ohnehin Imagedefizite aufweisen. Der Kernvorwurf, Politiker würden frisierte Umfragen in Auftrag geben, die dann in den redaktionellen Teil einer Boulevardzeitung fließen und so die politische Stimmung manipulieren – das Ganze finanziert mit Steuergeld! –, bedient die schlimmsten Vorurteile, die Medien, Politik und Meinungsforschung entgegengebracht werden. Alles gekauft! Alles manipuliert! Sowieso alles Betrüger! Ein verheerender Eindruck. Und vor allem: ein falscher!

Wichtige Ertragsquelle

Wenn stimmt, was die Staatsanwaltschaft hier zusammengetragen hat, dann haben die Medienbrüder Fellner, indem sie sich – mutmaßlich – auf so etwas eingelassen haben, allen österreichischen Medien einen katastrophalen Schaden zugefügt – und der Branche gleichzeitig ein riesiges Geschenk gemacht. Denn nach diesen Enthüllungen und ihrer gerichtlichen Aufarbeitung kann es nicht so bleiben, wie es war. Diese Affäre muss den Startschuss für einen Selbstreinigungsprozess in der Beziehung zwischen Politik und Medien darstellen. Und dabei geht es nicht nur um die Fellners, ihr Blatt und ihre Geschäftspraktiken. Es geht um viel mehr, nämlich um ein System, das in seinen Strukturen Korruption befeuert. Es geht um Inserate der öffentlichen Hand, also Werbeaufträge von Ministerien, Gemeinden oder staatsnahen Unternehmen in Millionenhöhe. Sie sind für viele Tageszeitungen, vor allem die Boulevardmedien, zu einem Millionengeschäft geworden, aber auch für kleinere Medien stellen sie eine zunehmend wichtige Ertragsquelle dar.

Bei der Aufarbeitung des Skandals müssen wir sehr präzise sein. So zu tun, als wäre das alles Sebastian Kurz’ Erfindung und mit seinem Rücktritt auch alles wieder erledigt, wäre fatal. Genauso gefährlich ist, nun zu rufen: "Das war doch immer schon so! Das machen alle!" Denn es stimmt schlicht und ergreifend nicht. Und der Umstand, dass es Hygieneprobleme in der Medienbranche gibt, darf nicht dazu führen, dass die Branche insgesamt diskreditiert wird. Schauen wir nach vorn: Jetzt endlich haben wir einen noch nicht judizierten, aber bestens dokumentierten Medienkorruptionsfall vor der Nase, der es uns unmöglich macht, zur Tagesordnung überzugehen.

Presseförderung reformieren

Drei Maßnahmen müssen ganz oben auf die politische Agenda, sobald dieses Land wieder eine handlungsfähige Regierung hat:

  • Reform der Medienförderung Seit Jahren wird gefordert, dass die völlig anachronistische und in ihrem Umfang viel zu geringe Presseförderung reformiert, adaptiert und ausgebaut wird. Ein entsprechendes Konzept des viel zu früh verstorbenen Kommunikationswissenschafters Hannes Haas muss noch in irgendeiner Schublade im Bundeskanzleramt liegen – falls es nicht irrtümlich geschreddert wurde.
  • Neuordnung der Vergabe von Regierungsinseraten Sowohl von ihrem Umfang her als auch von ihrer intransparenten Handhabe her ist die Politik der Regierungsinserate eine Verhöhnung der Steuerzahler und ein im Moment wohltuendes, im Endeffekt aber tödliches Gift für eine unabhängige Medienlandschaft. Damit muss Schluss sein. Ja, auch Ministerien und Gemeinden sollen ihre Kommunikationsziele mittels Werbung transportieren, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß, nach klaren und öffentlich nachvollziehbaren Kriterien und vor allem nicht als versteckte Medienförderung für den Boulevard.
  • Ethikkodex für Medienmanager Analog zum Ehrenkodex des Österreichischen Presserates, der die ethischen Leitplanken für die journalistische Arbeit festschreibt, sollten sich auch die kaufmännischen Verantwortungsträger einem Kanon an selbstauferlegten ethischen Grundsätzen unterwerfen, der über das Mediengesetz hinausgeht. Das Bekenntnis zu diesen Richtlinien kann und soll die Grundvoraussetzung sein, um mit der Republik ins Geschäft zu kommen.

Gerade für die ersten beiden Maßnahmen wurde in den vergangenen Jahren von einigen höchst ehrenwerten Institutionen wertvolle Vorarbeit geleistet. Ob Presseclub Concordia, Medienhaus Wien, Initiative für Qualität im Journalismus, der Rechtswissenschafter Nikolaus Forgó oder viele andere – die Dinge liegen auf dem Tisch und wären innerhalb weniger Wochen fix und fertig ausarbeitbar. Für den dritten Punkt braucht es gar keine Regierung, eine entsprechende Initiative könnte morgen von einem der Branchenverbände lanciert werden. Wir sollten schnell sein, denn eine solche Gelegenheit für den dringend notwendigen Selbstreinigungsprozess bekommt diese Zunft so schnell nicht wieder. Hoffentlich. (Sebastian Loudon, 9.10.2021)