Das Dreierbündnis Spolu (auf Deutsch "Gemeinsam") konnte sich an die Spitze setzen: Markéta Pekarová Adamová (Top 09), Petr Fiala (ODS), Marian Jurečka (KDU-ČSL).

Foto: EPA

Bei der Parlamentswahl in Tschechien konnte das konservative Bündnis Spolu (Gemeinsam) nach einer Nervenschlacht am Wahlabend knapp den ersten Platz erringen. Nach Auszählung aller Stimmen kommt Spolu auf einen Anteil von 27,8 Prozent. Die liberal-populistische Partei Ano (Tschechisch für Ja) von Premierminister Andrej Babiš liegt mit 27,1 Prozent nur noch auf Rang zwei.

Nach dem Schließen der Wahllokale am Samstag um 14 Uhr hatte sich zunächst ein deutlicher Sieg für Ano abgezeichnet, später konnte Spolu sukzessive aufholen. Hinter den Erwartungen geblieben ist das Bündnis der Piraten und der liberalen Gruppierung Stan (Bürgermeister und Unabhängige). Es landete mit 15,6 Prozent auf Platz drei, gefolgt von der rechtspopulistischen Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) mit 9,6 Prozent.

Die Sozialdemokraten (ČSSD), zuletzt der kleine Koalitionspartner von Ano, scheiterten knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Die traditionsreiche Partei, die einst stärkste politische Kraft im Land war und mehrere Premierminister gestellt hat, wird somit erstmals in der Geschichte der selbstständigen Tschechischen Republik nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten sein. Dasselbe gilt für die Kommunisten (KSČM), die sich seit der Wende des Jahres 1989 im Parlament halten konnten, nun aber sogar unter vier Prozent gefallen sind. Die Vorsitzenden von ČSSD und KSČM, Jan Hamáček und Vojtěch Filip, kündigten jeweils noch am Wahlabend ihren Rücktritt an.

Mehrheit gegen Babiš

Das Bündnis Spolu und jenes aus Piraten und Stan haben nun zusammen eine Mehrheit im Unterhaus. Im Wahlkampf waren sie entschieden gegen Babiš aufgetreten. Spitzenvertreter beider Bündnisse präsentierten noch am Wahlabend ein Memorandum, in dem sie den gemeinsamen Willen zur Regierungsbildung bekunden. Präsident Miloš Zeman wiederum hatte im Vorfeld der Wahl wiederholt angekündigt, er werde den Vorsitzeden der stärksten Einzelpartei – notabene nicht des stärksten Bündnisses – mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch wenn Ano nun nicht mehr auf Platz eins liegt, gilt es daher als nicht unwahrscheinlich, dass das Staatsoberhaupt erneut Babiš zum Premier machen will.

Dieser hat ebenfalls noch am Wahlabend verkündet, dass er Verhandlungen mit den anderen Parteien aufnehmen würde, sofern Zeman ihn damit betraut. Wie er aber eine Koalition zimmern könnte, bleibt vorerst fraglich. Als möglicher Partner für Ano wurde zuletzt immer wieder die rechtspopulistische SPD ins Spiel gebracht. Beide Parteien zusammen erreichen aber keine Mehrheit. Zudem hatte SPD-Chef Tomio Okamura ein Referendum über den Austritt Tschechiens aus der EU zur Bedingung für eine eventuelle Koalition gemacht. Der Pragmatiker Babiš spart zwar nicht mit Kritik an Brüssel, eine Austrittsagenda hat Ano im Unterschied zur SPD aber nicht.

Der Ehrenvorsitzende der Partei Top 09, Karl Schwarzenberg, sagte am Samstag, Zeman werde den Auftrag bestimmt Babiš erteilen und "wird versuchen, ihn bis zum Ende seiner Präsidentenamtsperiode zu halten". "Er ist geschickt. Er interpretiert die Verfassung, wie es ihm passt", so Schwarzenberg. Er spielte darauf an, dass der Staatschef ungeachtet des Wahlergebnisses eine beliebige Person zum Premier ernennen kann und dass ihm die Verfassung keine Fristen für die prozeduralen Schritte vorschreibt. Zeman hatte diese Macht in der Vergangenheit mehrmals genutzt.

Schwierige Vergangenheit

Das Wahlbündnis Spolu, das nun auf Platz eins liegt, ist eine Liste von drei konservativen Parteien: Bürgerdemokraten (ODS), Christdemokraten (KDU-ČSL) und die einst von Karl Schwarzenberg mitgegründete rechtsliberale Top 09 wollten durch das gemeinsame Antreten ihre Kräfte im Kampf gegen Babiš bündeln.

Unklar blieb jedoch, wie sie sich nach der Wahl bei eventuellen Koalitionsverhandlungen verhalten würden. Immerhin haben die drei Parteien auch eine lange Trennungsgeschichte: Top 09 hat sich vor zwölf Jahren von den Christdemokraten abgespalten und positionierte sich damals scharf gegen die Bürgerdemokraten, die von Korruptionsskandalen gebeutelt wurden und immer mehr ins EU-feindliche Lager abgedriftet waren. Bis zuletzt wurde nun darüber spekuliert, dass die Parteien nach der Wahl wieder getrennte Wege gehen könnten. ODS-Chef Petr Fiala allerdings nutzte seinen ersten Auftritt am Wahlabend, um sich weiter zur Einigkeit innerhalb des Bündnisses zu bekennen.

Enttäuschung für Piraten

Für die Piraten und die liberale Bürgermeisterpartei Stan ist das Ergebnis von 15,6 Prozent eher enttäuschend. Umfragen hatten ihrem Bündnis um die 20 Prozent vorhergesagt. Die Piraten, die mit Schwerpunkten wie Modernisierung von Staat und Wirtschaft, digitale Verwaltung oder Klimaschutz ein durchschnittlich jüngeres Publikum ansprechen, stellten mit ihrem Chef Ivan Bartoš den Kandidaten für das Amt des Premierministers.

Noch vor dem Sommer war das Bündnis in den Umfragen tatsächlich auf Platz eins gelegen und wurde in der Folge zur wichtigsten Zielscheibe in der Kampagne von Ano. Den Piraten wurde vorgeworfen, Migranten ins Land holen zu wollen, Babiš bezeichnete sie abwechselnd als "Neomarxisten" und "Grüne". Dass beide Bündnisse zusammen nun eine Mehrheit gegen Babiš haben, sorgte am Wahlabend aber auch bei Piraten und Stan für Genugtuung.

Werben für Kontinuität

Ano war laut Umfragen als Favorit ins Rennen gegangen. Im Wahlkampf hatte Babiš auf seinen Amtsbonus gesetzt und für Kontinuität im Land geworben. Er selbst bezeichnet seine Partei als Catch-All-Bewegung, die sowohl links als auch rechts der politischen Mitte punkten kann. Experten weisen jedoch darauf hin, dass sowohl die Wählerschaft als auch die Politik von Ano in den vergangenen Jahren klar nach links gerückt seien.

Nachdem der milliardenschwere Unternehmer Babiš mit seinem Anti-Korruptionsprogramm bei der Wahl im Jahr 2013 vor allem im konservativeren Segment erfolgreich gewesen war, setzte er bereits 2017 vermehrt auf sozialpolitische Akzente und sprach damit ganz neue Wählerschichten an – ein Trend, der sich auch 2021 fortsetze.

Vor allem weitere Pensionserhöhungen gehörten im Wahlkampf zu den zentralen Versprechen von Ano. Gleichzeitig setzte Babiš auf massive Antimigrationsrhetorik und wetterte erneut gegen Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Zuletzt zeigte er sich auch gerne an der Seite des ungarischen Premiers Viktor Orbán, der in Europa als Vorreiter einer restriktiven Asylpolitik gilt.

Spekulationen über Zeman

Präsident Zeman ist kurz nach der Parlamentswahl ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er werde auf der Intensivstation behandelt, sagte der Direktor des Zentralen Militärkrankenhauses in Prag, Miroslav Zavoral, am Nachmittag dem Sender CT. Zeman hatte erst vor kurzem mehrere Tage im Krankenhaus verbracht. Laut Medienberichten hatte ihn sein Arzt diese Woche erneut ins Spital einliefern lassen wollen, er habe das jedoch abgelehnt.

Ernsthafte gesundheitliche Probleme Zemans wurden von der Prager Burg zuletzt einmal mehr dementiert. Ein für Sonntag geplanter TV-Auftritt des Präsidenten wurde jedoch abgesagt. Zeman leidet an Diabetes und einer Erkrankung des peripheren Nervensystems, in den letzten Tagen war auch von einer Schädigung der Leber die Rede.

Pandora Papers und Corona

Überschattet wurden die letzten Tage vor der Wahl von Enthüllungen rund um die sogenannten Pandora Papers, die auch die Geschäfte von Babiš betrafen. Laut den Veröffentlichungen soll Babiš im Jahr 2009 für 15 Millionen Euro mehrere Anwesen in Südfrankreich gekauft haben. Die Transaktion soll über Offshore-Briefkastenfirmen abgewickelt worden sein, die er erst kurz zuvor gegründet hatte. Vorwürfe der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung hat Babiš vehement zurückgewiesen.

In die Kritik geraten war Babiš auch im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Vor wichtigen Kommunalwahlen im vergangenen Herbst hatte die Regierung die Maßnahmen zurückgeschraubt. Die Infektionszahlen stiegen danach rasant an, Tschechien verzeichnete teilweise europäische Negativrekorde. Derzeit steht das Land mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 52 im europäischen Vergleich allerdings wieder gut da. (Gerald Schubert, 10.10.2021)