Bernhard Görg wundert sich nicht über den "machiavellistischen Teil" der Causa prima, machtpolitisch ist er für den ehemaligen ÖVP-Wien-Chef nicht wirklich überraschend, die "teilweise Infantilität der Wortwahl" und die "intellektuell suboptimalen" Angriffe der ÖVP auf die Justiz hingegen sehr wohl.

Foto: Christian Fischer

Die erste Reihe der ÖVP-Parteiprominenz – also die Politikerinnen und Politiker der Volkspartei, die gerade die Geschicke des Landes und der Länder in der Hand haben – machen die Reihen dicht und stellen sich hinter oder auch vor Sebastian Kurz. Die Ministerinnen und Minister (auch der parteifreie Arbeitsminister Martin Kocher) wollen nur mit ihm in der Regierung bleiben oder gar nicht. "Aus tiefster demokratischer Überzeugung" bezeugten sie nämlich am Donnerstag mit ihrer Unterschrift: "Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben."

Die Landesobleute, sechs von ihnen in Personalunion auch Landeshauptleute, haben ebenfalls wissen lassen, dass sie "geschlossen" hinter Kurz stehen und ihm ihre "volle Unterstützung" sicher sei. In der zweiten Reihe trat allerdings mit der Tiroler Bildungs- und Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) die erste Frau heraus und ging öffentlich auf Distanz zum Bundesparteichef. Palfrader sagte in der "Presse", statt sich bedingungslos hinter Kurz zu stellen, "erschiene es mir wichtiger, besser und korrekter, volle Aufklärung zu fordern". Sie war bis Samstag allerdings die einzige prominente ÖVP-Politikerin, die quasi ausgeschert ist aus der türkisen Abwehrlinie.

Ein Schwarzer über die Türkisen

Also alles bestens in der ÖVP, genauer gesagt in der "Neuen Volkspartei", wie sie offiziell seit der Machtübernahme durch Sebastian Kurz 2017 heißt? Nachfrage bei einem aus der "alten" Volkspartei oder der schwarzen ÖVP. Bernhard Görg war von 1992 bis 2002 Obmann der ÖVP Wien und im sogenannten Wendejahr 2000 im ÖVP-Bundesparteivorstand der Einzige, der sich offen gegen den Pakt mit der FPÖ aufgelehnt hatte. Wie schaut der ehemalige Manager, der nach seiner politischen Karriere als Theatermacher und nun seit einigen Jahren als Krimiautor, dessen Plots in der Wachau spielen, höchst aktiv ist, auf die aktuellen Vorkommnisse in seiner Partei, die Korruptionsvorwürfe gegen den Kanzler und Parteichef?

Zumal vor dem Hintergrund eines anschlussfähigen Zitats, als Görg nämlich in einem FALTER-Interview im März 2000, eine Woche nach dem Rücktritt Jörg Haiders als FPÖ-Chef auf die Frage "Versöhnt Sie das vorerst mit der Regierung?" gemeint hatte: "Außenpolitisch hilft es etwas, aber man darf keine Wunder erwarten. Innenpolitisch kann man nun alles hoffen, und soll aber auch alles fürchten. Als früherer Personalberater sage ich: Die einzige taugliche Methode zu prognostizieren, wie sich jemand verhalten wird, ist zu fragen, wie er sich in der Vergangenheit verhalten hat."

Das halbe Versprechen eingelöst

Über die nähere Vergangenheit der nunmehr Beteiligten in der Causa prima ist ja mittlerweile einiges bekanntgeworden in Form unzähliger Chat-Nachrichten des amtierenden ÖVP-Chefs und Bundeskanzlers sowie seiner engsten Mitarbeiter. Sie waren für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft die Grundlage eine 104 Seiten umfassende Anordnung für Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, aber auch im Bundeskanzleramt und im Finanzministerium.

Also, Herr Görg, was ist das los? Was geht da ab? Görg antwortet zweigeteilt. Der eine Teil ist der Blick zurück: "Ich habe den Wechsel an der Parteispitze zu Sebastian Kurz damals 2017 sehr begrüßt und ihm zwei Vorschusslorbeeren gegeben. Das eine: Er wird wahrscheinlich der Mann sein, der für die ÖVP Wahlen gewinnt und ihr wieder Selbstbewusstsein gibt. Diesen Teil hat er glänzend eingelöst. Was er nicht eingelöst hat bis jetzt, ist das andere: Ich habe erwartet, dass ich sehr bald ein Bild sehen werde, was er eigentlich aus Österreich machen will. Da ist bis jetzt zu wenig gekommen, was sicher auch mit der Pandemie zu tun hat, aber da fehlt mir bis jetzt etwas."

Eine Frage der Haltung: Oasch, Arsch oder Armleuchter?

Und nun zur zweiten Hälfte der Görgschen Antwort, zur jetzigen Situation und der Blick nach vorne: "Ich bin nicht überrascht über das, was jetzt so offen wird über den Konkurrenzkampf, wie er geführt wurde. Konkurrenzkämpfe werden in der Wirtschaft und in der Politik oft mit harten Bandagen ausgetragen. Sogar im Vatikan. Da ist das Foul nicht weit, vor allem, weil es in der Politik in der Öffentlichkeit ausgetragen wird. Was mich allerdings sehr wohl überrascht, ist die teilweise Infantilität der Wortwahl."

Da sind wir beim A-Wort, das Sebastian Kurz, als er bereits Kanzler in der türkis-blauen Regierung war, in einer Nachricht an den emsigsten Chatter in der Causa, Thomas Schmid, den damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, der dann zum Öbag-Chef avancieren sollte – ein anderer Strang der mittlerweile riesigen Chat-Dokumentation – für seinen Vorgänger an der Parteispitze, Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, in sein Smartphone tippte: "Danke Thomas Super war dass Spindi heute ausgerückt ist. Das stört den Arsch sicher am meisten…" (Anm. Orthografische Eigenwilligkeiten der Verfasser der Nachrichten wurden orginalgetreu beibehalten)

Sein virtuelles Gegenüber, Schmid, auf den Kurz hier antwortete, hatte es davor eine Spur anders formuliert. Schmid schrieb demnach: "Diese alten Deppen sind so unerträglich! Keiner musste sich jemals einer Bundeswahl stellen und den Schwachsinn der Vorgänger erklären! Du hast das alles erfolgreich geschafft und wir durften dabei mitarbeiten Mitterlehner ist ein Linksdilettant und ein riesen oasch!! Ich hasse ihn Bussi Thomas." Grund für den digitalen Dialog war damals 2019 Mitterlehners Buch "Haltung".

Bernhard Görg dazu: "Ich würde nicht Arsch sagen, ich würde Armleuchter sagen – und das habe ich auch schon gesagt über andere. Arsch ist nicht meine Diktion."

Die "neue Qualität" der Attacke

Neben sprachlichen Finessen sieht der schwarze ÖVPler Görg aber schon "eine neue Qualität: das ist die absolute Zielgerichtetheit der Attacke. Das ist sicher auch eine Stärke von solchen Leuten wie im Umfeld von Kurz. Die sind absolut loyal, sie überlassen nichts dem Zufall. Darum ist es ja auch so lächerlich, warum sie diese Umfragen manipuliert haben. Sie waren ja sowieso gut unterwegs in den Umfragen", wundert sich Görg über die, wie es nun die WKStA vermutet, aus Steuergeld über das Finanzministerium finanzierten und pro-Kurz-frisierten Umfragen, die dann im Boulevardblatt "Österreich" platziert worden sein sollen: "Warum noch dieses Äutzerl herausholen wollen? Das war ja gar nicht notwendig", wundert sich Görg.

Und erzählt aus seiner eigenen Politikerzeit: "Ich selbst habe bei den Umfragen zu meiner Person immer beim Punkt "Volksnähe" geschwächelt. Bei der Publikation der Umfragen haben wir diesen Punkt dann immer unter den Tisch fallen lassen. Das ist natürlich auch eine Form der Manipulation." Nur halt explizit auf Parteikosten.

"Die ÖVP hält Kurz für den Besten"

Was sagt der ehemalige Wiener ÖVP-Landesparteiobmann jetzt zur nibelungenhaft anmutenden Treue der ÖVP-Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber, die durch ihr "Nur mit Kurz oder ohne uns alle" die Regierung mitten in einer Pandemie eher platzen lassen würden, als die minimalinvasive Rettungsaktion zu starten und Kurz aus dem Spiel zu nehmen? "Ich kenne meine Partei noch genug, auch wenn ich schon lang nicht mehr aktiv drin bin. Wenn jetzt irgendjemand von den Granden an Kurz zweifeln würde, dann hat der sofort einen Aufstand in seiner Organisation. Denn für die überwiegende Mehrheit der Funktionäre und vermutlich auch der Wähler ist Sebastian Kurz nach wie unantastbar. Kurz nimmt nicht die ÖVP in Geiselhaft, sondern die ÖVP lässt ihn gar nicht zurücktreten, weil sie ihn für den Besten hält."

Und dann? Was wird also passieren? "Ich sehe auch eine ausweglose Situation, die in Neuwahlen enden wird", sagt Görg. Denn dass sich Kurz von sich aus zurückziehen könnte, um der Republik die Erschütterung durch eine wieder geplatzte Regierung zu ersparen, erwartet der ehemalige ÖVP-Politiker auch nicht: "Rückzug? Nein, absolut nicht."

Besser mit dem Florett als mit dem Holzhammer

Wenn er bleibt (das Thema könnte sich am Dienstag allerdings erledigt haben), was sollte Kurz dann tun? Görg hat folgenden Rat: "Ich würde an seiner Stelle nicht immer auf das Recht der Unschuldsvermutung verweisen. Das sollen andere tun. Er muss sagen, dass er sich unschuldig fühlt. Ich verstehe zwar, dass sich die ÖVP gegen die Staatsanwaltschaft zur Wehr gesetzt hat, aber wie sie das getan hat, war intellektuell suboptimal. Die Attacken waren nie mit dem Florett, sondern immer mit dem Holzhammer geführt."

Zum Schluss betont Bernhard Görg noch etwas, das ihm wichtig sei: "Wir haben jetzt vor allem über den strafrechtlich nicht relevanten Teil gesprochen, und da bin ich nicht überrascht vom machiavellistischen Teil der Causa." (Machiavellismus meint, dass zur Erlangung oder Erhaltung politischer Macht jedes Mittel erlaubt ist, unabhängig davon, was Recht oder Moral vorschreiben oder gebieten würden.) Dann kommt Görgs "aber": "Aber wenn sich der strafrechtlich relevante Teil der Vorwürfe bewahrheitet, wenn sich herausstellen sollte, dass Sebastian Kurz das orchestriert hat, dann wäre ich schon entsetzt." (Lisa Nimmervoll, 9.10.2021)