Strache bei seiner Rücktrittsrede. Die kam nicht einmal 24 Stunden nachdem die Vorwürfe gegen ihn publik wurden.
Foto: Heribert Corn

Es sei keine Staatskrise, was da momentan passiert, aber durchaus eine Regierungskrise, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen kürzlich. Und das nicht die erste in letzter Zeit, Erinnerungen an die Ibiza-Affäre von vor zwei Jahren kommen hoch.

Damals hat nicht nur der Bundespräsident, sondern auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) deutlich andere Worte für die Geschehnisse gefunden. Was unterscheidet den Rücktritt Heinz-Christian Straches (FPÖ) von jenem des Sebastian Kurz?

Vom Mittelmeer zu Neuwahlen: Die Ibiza-Affäre

  • 17. Mai 2019

Das Ibiza-Video wird publik. Es zeigt den zu dem Zeitpunkt amtierenden Vizekanzler Strache mit einer vermeintlichen Oligarchennichte. Unter anderem geht es bei dem Treffen, das knapp zwei Jahre zuvor stattfand, um eine Beteiligung an der "Kronen Zeitung" gegen hohe Geldspenden.

Die Opposition – damals bestehend aus SPÖ, Grünen, Neos und Liste Pilz – fordert Konsequenzen: von Straches Rücktritt bis zu Neuwahlen. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sieht sich "an die sattsam bekannten schmutzigen Silberstein-Methoden aus dem Nationalratswahlkampf 2017" erinnert. Die SPÖ beruft eine Sondersitzung des Nationalrats ein.

  • 18. Mai 2019

Zunächst kursieren zwei Varianten: Neuwahlen oder eine Fortsetzung der Regierung mit FPÖ-Vize Norbert Hofer als neuem Vizekanzler. Zu Mittag tritt Strache zurück. Flankiert von FPÖ-Ministern und -Ministerinnen spricht er von einer besoffenen Geschichte und Verleumdungen, er wolle aber den Weg freimachen, damit die türkis-blaue Regierung weitermachen könne, sagt er. Um 18 Uhr verkündet Bundeskanzler Kurz Neuwahlen. Er glaube nicht, dass es in der FPÖ den Willen zur Veränderung gebe. Währenddessen formieren sich Tausende auf dem Ballhausplatz zur Demo. Am Abend spricht Bundespräsident Van der Bellen zum Volk: "So sind wir nicht." Eine Neuwahl soll das Vertrauen neu aufbauen.

  • 19. Mai 2019

Kurz und Van der Bellen entscheiden sich für einen Wahltermin im September. Kurz: "Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigkeit." Das Video sei ein Skandal und bedeute vermutlich auch strafrechtliche Konsequenzen, sagt Kurz. "Es geht um Machtmissbrauch, und das ist schwerwiegend und problematisch. Es geht um offene Angebote der Korruption. Und Attacken gegen die freie Presse." Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) rät Nachfolger Kurz zum Rücktritt.

"Es geht um Machtmissbrauch, und das ist schwerwiegend und problematisch. Es geht um offene Angebote der Korruption. Und Attacken gegen die freie Presse." Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 19. Mai 2019.
  • 21. Mai 2019

Van der Bellen kündigt an, der Bitte Kurz' zu folgen und Herbert Kickl (FPÖ) als Innenminister zu entlassen. Klar ist damit auch: Bis auf Karin Kneissl werden alle von der FPÖ bestellten Minister und Ministerinnen demnächst das Amt räumen. Kurz und Van der Bellen entscheiden, dass Kurz Spitzenbeamte und -beamtinnen für die einzelnen Ressorts auswählt.

  • 22. Mai 2019

Die Übergangsregierung steht, ihr Vizekanzler wird Hartwig Löger (ÖVP).

  • 27. Mai 2019

Der Nationalrat spricht der Übergangsregierung das Misstrauen aus.

  • 28. Mai 2019

Van der Bellen enthebt das Kabinett Kurz I seines Amtes und betraut die Minister mit der interimistischen Fortführung der Amtsgeschäfte. Kurz ist nicht mehr Kanzler. Statt ihm bekommt Löger interimistisch die Kanzler-Agenden.

  • 3. Juni 2019

Van der Bellen gelobt die neue Übergangsregierung an. Sie besteht aus zwölf Mitgliedern, an der Spitze steht Brigitte Bierlein als erste Kanzlerin Österreichs.

  • 29. September 2019

Die vorgezogene Nationalratswahl findet statt. Stimmenstärkste Partei wird die ÖVP unter Ex-Kanzler Kurz mit 37,5 Prozent. Kurz ist "unendlich dankbar" und nimmt das "Vertrauen mit Demut" an.

  • 1. Jänner 2019

ÖVP und Grüne einigen sich auf eine Koalition, die wenige Tage später angelobt wird.

Hausdurchsuchungen mit Folgen: Die Inseratencausa

  • 6. Oktober 2021
Kurz bei seinem Rücktritt als Kanzler am Samstagabend.
Foto: Robert Newald

Das Bundeskanzleramt, die ÖVP-Parteizentrale und ein Medienhaus werden von Ermittlern durchsucht. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt wirft Bundeskanzler Kurz vor, dass er und seine engsten Weggefährten von 2016 bis 2018 verzerrte Umfragen in Auftrag gegeben, diese gezielt in der Zeitung "Österreich" platziert dafür großzügig Inserate geschaltet und all das mit Geld des Finanzministeriums bezahlt haben.

  • 6. Oktober 2021

Die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz spricht von einem "Showeffekt". Empört ist auch ÖVP-Klubchef August Wöginger, er sieht eine "Unzahl an falschen Behauptungen". Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) geht davon aus, dass sich die Anschuldigungen mit der Zeit selbst erledigen werden. Beim Koalitionspartner, den Grünen, ist es zunächst recht still, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kritisiert aber die Attacken der ÖVP gegen die Justiz. Die Opposition beantragt eine Sondersitzung des Nationalrats und fordert geschlossen den Rücktritt von Kurz.

"Es werden SMS-Fetzen auseinandergerissen, in einen falschen Kontext gestellt und drumherum strafrechtliche Vorwürfe konstruiert." Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 6. Oktober 2021.
  • 6. Oktober 2021

Am frühen Abend meldet sich Kurz selbst zu Wort. Er sieht konstruierte Vorwürfe, spricht von einem immer selben System: "Es werden SMS-Fetzen auseinandergerissen, in einen falschen Kontext gestellt und drumherum strafrechtliche Vorwürfe konstruiert." Ebenfalls am Abend kritisiert Bundespräsident Van der Bellen den von der ÖVP geäußerten "Generalverdacht" gegen die Justiz: Dass der türkise Abgeordnete Andreas Hanger der Staatsanwaltschaft Parteilichkeit vorgeworfen habe, "zeigt mangelnden Respekt vor den Institutionen der Bundesverfassung". In der "ZiB 2" sagt Kurz in einem langen Interview, er verstehe nicht, warum "immer ich schuld sein soll", wenn irgendwo Unrecht geschehe. Einen Rücktritt schließt er aus.

7. Oktober 2021

Der Koalitionspartner wird lauter: Die Grünen stellten die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage und laden die Klubobleute der Parlamentsparteien zu Gesprächen ein. Die ÖVP-Länderchefs und ÖPV-Teilorganisationen vereinen sich hinter Kurz. Außerdem stellen die ÖVP-Regierungsmitglieder klar: "Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben." Kurz spielt den Ball an die Grünen: "Wenn die Grünen also nicht mehr diese Zusammenarbeit fortsetzen wollen und sich andere Mehrheiten im Parlament suchen wollen, ist das zu akzeptieren." Der Bundespräsident lädt alle Parteien zu Gesprächen. Laut Organisatoren versammeln sich 7.000 Demonstrierende vor der Wiener ÖVP-Zentrale.

  • 8. Oktober 2021

Die grüne Linie ist endgültig klar. Von Klubchefin Sigrid Maurer heißt es: "Die ÖVP ist aufgerufen, eine untadelige Person zu finden, die dieses Amt ausführen kann." Gleichzeitig warnt Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) vor einer Konzentrationsregierung der anderen Parlamentsparteien.

  • 8. Oktober 2021

Van der Bellen tritt erneut vor das Volk: Es handle sich allenfalls um eine Regierungskrise, aber sicher nicht um eine Staatskrise. Kurz darauf geben Vizekanzler und Kanzler gleichzeitig Pressekonferenzen an zwei verschiedenen Orten, wo sie im Grunde bereits Gesagtes Wiederholen.

  • 9. Oktober 2021

In einer eilig einberufenen und abendlichen Pressekonferenz legt Kurz sein Amt als Bundeskanzler zurück. Schuldeingeständnis ist das allerdings keines, auch eine Entschuldigung kommt nicht in seiner Rede vor. (Gabriele Scherndl, 10.10.2021)