Kürzlich erklärte Sebastian Kurz noch, dass er sich "mit aller Kraft gegen die Anschuldigungen wehren" wolle.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) tritt zurück. Er kündigte wie schon Freitag auch am Samstagabend ein spontanes Statement an – das kam auch für die Grünen überraschend. Nach den jüngsten Ermittlungen in der Causa Inseratenaffäre gegen Kurz und türkise Mitstreiter zieht der ÖVP-Parteichef Konsequenzen. Kurz will – dem Vernehmen nach bis zur Klärung der Vorwürfe – "Platz machen" und hat Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Der scheidende Kanzler will aber ÖVP-Chef bleiben und August Wöginger als Klubobmann der Türkisen im Parlament ablösen.

Einmal mehr betonte Kurz, dass in den vergangenen Tagen strafrechtliche Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden, die allesamt falsch seien – das werde er aufklären können. "Davon bin ich überzeugt", sagt der türkise Parteichef. Es sei etwas, dass schon viele Spitzenpolitiker im In- und Ausland hätten erleben müssen, doch in seinem Fall hätte sich der Koalitionspartner, die Grünen, dazu entschlossen, "sich klar gegen mich zu positionieren".

Der Rücktritt im Video
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Kurz will nicht an "Experiment" übergeben

Daher befinde sich die türkis-grünen Koalition nun in einer Pattsituation. Es sei eine sensible Phase, da die Corona-Pandemie nach wie vor virulent, der Wirtschaftsaufschwung erst am Anfang und die ökosoziale Steuerreform samt Budget noch nicht beschlossen sei. Aus Sicht des türkisen Politikers brauche es nun Stabilität. Daher hält er nichts davon, dass nun eine Viererkoalition aus Grünen, SPÖ, Neos und FPÖ die Staatsgeschicke übernehmen könnte. Kurz möchte nicht an ein "Experiment" übergeben, das noch dazu von den "Gnaden Herbert Kickls" abhängig sei.

In solch schwierigen Zeiten solle es niemals um einen persönlich oder um Parteiinteressen oder -taktiken gehen. "Mein Land ist mir wichtiger als meine Person", sagte Kurz. Daher mache er Platz, "um Chaos zu verhindern".

Mensch mit Emotionen und Fehlern

Man könne sich vorstellen, dass er persönlich "dankbar" wäre, "wenn die Unschuldsvermutung tatsächlich für alle Menschen gelten würde". Die strafrechtlichen Vorwürfe würden in der aktuellen Debatte darüber hinaus vermischt mit Nachrichten, die er in der "Emotion" geschrieben habe und heute so nicht mehr verfassen würde. Aber "ich bin eben auch nur ein Mensch mit Emotionen und auch mit Fehlern".

Grüne wollen Koalition fortsetzen

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kündigte am Abend an, dass die Zusammenarbeit mit Schallenberg an der Regierungsspitze fortgesetzt werden könne. Der Rücktritt von Kurz sei ein richtiger und wichtiger Schritt für die künftige Regierungszusammenarbeit gewesen. Mit Schallenberg sei morgen auch ein Termin vereinbart. (Jan Michael Marchart, Sebastian Fellner, 9.10.2021)