Am Samstag verkündete Kurz seinen Rückzug.

Foto: Standard/Robert Newald

Es ist das zweite Mal, dass Sebastian Kurz als österreichischer Bundeskanzler den Hut nehmen muss. Und es ist auch das zweite Mal, dass eine Regierungskrise, bei der er im Zentrum steht, Österreich internationale Schlagzeilen beschert. Auf den Meinungsseiten sind sich die Analysten recht einig: Mit Kurz sei ein Traum der europäischen Konservativen ausgeträumt – an einen echten Rückzug glauben trotzdem die wenigsten.

Kurz' Rücktritt sei der "halbe Rückzug" eines "Wunderknaben", analysiert das deutsche Nachrichtenmagazin "Spiegel" am Sonntag. Wenn sein Aufstieg auch steil war, der Fall ist nun hart. Das bedeute aber nicht, dass er am Ende sei. Diese Einschätzung teilt auch die "Welt". Das Medium ermahnt, dass ein echter Rücktritt anders aussehe. Denn als Klubobmann bleibt Kurz "Rammbock der Partei", also in einer mächtigen innerparteilichen Position.

Die Deutsche Welle geht mit Kurz und dessen Politik besonders hart ins Gericht: Kurz sei "als politischer Magier entzaubert": Vom Idol der europäischen Konservativen sei nichts übrig, er entpuppe sich als "Kaiser ohne Kleider". Das bisher so erfolgreiche Produkt "Populismus mit Wiener Schmäh" zeige sich nun mit tiefen Rissen. "Wer in Österreich fordert, den Sumpf der Korruption trockenzulegen, macht sich im Grunde lächerlich", bemerkt das Medium, "die Ebene um Wien ist kniehoch mit einer schmierigen Masse überzogen." Und doch solle die Opposition den Versuch der Trockenlegung wagen, etwa mit einem neuen Mediengesetz.

"Prinz mit Porzellangesicht"

Der italienische "Corriere della Sera" findet blumigere Worte. Kurz habe "einem satten, reichen und verschlafenen Land den Nervenkitzel des Wandels und einer neuen politischen Grenze angeboten". Doch das Märchen von Sebastian Kurz, "dem Wunderkind der Politik, das Wien verzaubert hat", sei zu Ende. Der Prinz mit dem Porzellangesicht sei aus dem Nichts gekommen und habe eine "ehrwürdige Partei wie die ÖVP zu einem zahmen Instrument seines politischen Aufstiegs" gemacht.

Dass die Karriere tatsächlich zu Ende ist, daran glaubt "Il Messaggero" aber nicht. Auch "Il Giornale" wartet nur darauf, dass "Kurz an die vorderste Front zurückkehrt". Bis dahin werde es vonseiten der ÖVP viel Diplomatie benötigen, "um sicherzustellen, dass die ÖVP an der Führung der Regierung bleibt". Einzig wenn sich die eigene, enttäuschte Partei gegen Kurz richten würde, könnte er "mit 35 Jahren von jenen endgültig in den Ruhestand geschickt werden, die er in seiner eigenen Partei beseitigt hat und die immer noch auf Rache aus sind".

"Spaltende Figur"

Auch die britische BBC weist in ihrem Bericht darauf hin, dass Kurz weiterhin "eine wichtige Figur in der österreichischen Politik" bleiben werde. Das einflussreiche US-Medium "New York Times" macht auf die polarisierte Stimmung gegenüber Kurz in Europa aufmerksam: Mancherorts, vor allem in Deutschland, so sieht es die "NYT", sei Kurz als "frisches, dynamisches Gesicht einer neuen Welle an Konservatismus" gefeiert worden. Anderenorts werde er allerdings längst als "spaltende Figur" gesehen. Die Zeitung erwähnt seinen Boykott des Uno-Flüchtingspakts 2019 auf und führt Vergleiche mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán an. (red, 10.10.2021)