Die Abholzung tropischer Regenwälder wie etwa in Brasilien gefährdet das Weltklima. NGOs wollen politisch Verantwortliche beim Internationalen Strafgerichtshof anklagen.

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Geht es nach einer Gruppe internationaler Strafjuristen, sollen sich Umweltverbrecher künftig vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen. Die NGO Stop Ecocide International (SEI) fordert die Einführung des "Ökozids" als neuen Straftatbestand – und ist damit nicht allein.

Erst vergangene Woche appellierte der britische Völkerrechtsexperte Philippe Sands bei einem Besuch in Wien für die Ausweitung der Zuständigkeit des Strafgerichtshofs. Ein Ökozid – gemeint ist die vorsätzliche Zerstörung von globalen Naturgütern – könnte dann wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit international geahndet werden.

Derzeit ist der Internationale Strafgerichtshof für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen zuständig. Sands, der vor allem als Autor erfolgreicher Bücher über die Aufarbeitung von NS-Verbrechen bekannt wurde, hat ein Expertengremium geleitet, das einen Vorschlag für die Formulierung des zusätzlichen Tatbestands ausgearbeitet hat.

Demnach liegt ein Ökozid dann vor, wenn "rechtswidrige und mutwillige Handlungen im Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für schwere, weitverbreitete und langfristige Umweltschäden als Folge dieser Handlungen vorliegt."

Langer Weg ...

Das Gremium habe die Formulierung bewusst vage gehalten und keine Liste von konkreten Umweltsünden beigefügt, sagte Sands bei einer Veranstaltung des Bruno-Kreisky-Forums in Wien. Denn dies hätte dazu geführt, dass ungenannte Vergehen später als straflos angesehen werden würden.

Eine weitere Einschränkung im Entwurf sei die Formulierung, dass es nur um Schäden gehe, die "eindeutig den sozialen und wirtschaftlichen Vorteil" gewisser Handlungen übersteigen würden. Dies sei ein Zugeständnis an weniger entwickelte Staaten gewesen, die nicht an den UmweltStandards des Nordens gemessen werden wollen. "Diese Staaten würden das Statut sonst niemals akzeptieren", sagte Sands.

Damit diese Revolution im Völkerrecht Wirklichkeit wird, wären allerdings noch viele Schritte notwendig. Grundsätzlich kann jeder Vertragsstaat – derzeit sind es 123 – eine Änderung des Statuts vorschlagen. Für eine Beschlussfassung reicht eine Zweidrittelmehrheit. Staaten, die mit der Änderung nicht einverstanden sind, könnten aber vom Statut zurücktreten.

In Europa setzt Sands große Hoffnungen auf einen Vorschlag Deutschlands, wo eine grüne Regierungsbeteiligung vor der Tür steht. Er sei halbwegs optimistisch, dass dieses Unterfangen gelingen werde. "Es kann in vier oder fünf Jahren geschehen oder noch viel länger dauern", sagte Sands. "Das erste Ziel ist eine Bewusstseinsänderung." Zuletzt hatte auch Frankreich den Straftatbestand des Ökozids eingeführt. Von nationalen Alleingängen hält der Jurist allerdings wenig. Die Ausarbeitung des neuen Tatbestands müsse auf internationaler Ebene geschehen.

Vorbild sei die Verankerung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid nach dem Zweiten Weltkrieg, die heute zum weltweit anerkannten RechtsStandard geworden sind. Mit dieser Entwicklung hat sich Sands in seinem einflussreichen Buch Rückkehr nach Lemberg(East-West Street) beschäftigt.

... oder Abkürzung

Die neue österreichische NGO All Rise würde dieses Prozedere gerne überspringen. Die Organisation kündigte für Dienstag eine "Anzeige gegen einen ausländischen Staatspräsidenten vor dem Internationalen Strafgerichtshof" an. Das Argument: Verbrechen gegen die Umwelt seien gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit und damit schon jetzt vom Statut erfasst. Unterstützt wird die Anzeige etwa von Friederike Otto, Klimaforscherin an der Universität Oxford und Mitautorin des IPCC-Berichts.

Aus Sicht von Ralph Janik, Universitätslektor für Völkerrecht, spreche die Anzeige ein wichtiges Thema an, sei allerdings aussichtslos. Umweltverbrechen seien nicht von den bestehenden Tatbeständen umfasst. "Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind per definitionem ein weitreichender systematischer Angriff auf eine Zivilbevölkerung. Bei Umweltvergehen ist das nicht der Fall", sagt Janik.

Eine Regelung des Ökozids im Rahmen des Internationalen Strafgerichtshofs hält der Jurist für problematisch. "Verbrechen gegen die Umwelt passen nicht zur Natur der anderen Tatbestände. Dort geht es vordergründig um die direkte Anwendung von militärischer Gewalt gegen Menschen."

Laut Janik sollte man über einen eigenen Mechanismus nachdenken. Direkte Sanktionen gegen einzelne Staaten, Regierungsmitglieder oder Unternehmen seien außerdem jetzt schon möglich. Auch eine Intervention des Uno-Sicherheitsrats käme infrage. Dazu müsste man allerdings argumentieren, dass Umweltverbrechen die internationale Sicherheit gefährden – und das dürfte kein leichtes Unterfangen sein. (Eric Frey, Jakob Pflügl, 11.10.2021)