Sie sei "ein moralischer Kompass des gesamten europäischen Kontinents": Mit diesen Worten streute Israels Premierminister Naftali Bennett der scheidenden deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch in Israel Rosen. Auch Merkel fand viel Lob für die engen Beziehungen. Dieses gute Verhältnis sei "ein Glücksfall, zu dem Israel viel beigetragen hat", sagte Merkel vor versammelter israelischer Regierungsmannschaft. Zukünftige deutsche Bundesregierungen mahnte sie: "Das ist ein Schatz, der immer wieder gepflegt werden muss."

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Die Regierungschefs Merkel und Bennett in Yad Vashem.
Foto: Reuters / Ronen Zvuliun

Merkels Amtszeit brachte eine Wende in den bilateralen Beziehungen. Die Kanzlerin war im Jahr 2008 die erste Regierungschefin Deutschlands, die vor dem israelischen Parlament sprach – noch dazu auf Deutsch. Sie war die Erste, die deutlich aussprach, welcher Auftrag sich aus Deutschlands Verantwortung für den Holocaust ergibt: "Israels Sicherheit ist für uns Staatsräson", sagte Merkel damals und erntete dafür stehenden Applaus. Diesen Satz wiederholte Merkel auch am Sonntag. Deutschland teile und unterstütze "die Vision eines jüdisch-demokratischen Staates, der eine klare Perspektive in der Region hat".

Iran bereitet beiden Seiten Sorgen

Das wichtigste Thema des Arbeitstreffens von Bennett und Merkel war die Bedrohung durch die Atommacht Iran. Die nukleare Aufrüstung habe in den vergangenen drei Jahren "einen riesigen Sprung nach vorne" gemacht, die Zeit dränge, sagte Bennett. Merkel stimmte zu: In der Iran-Frage "stehen uns sehr entscheidende Wochen bevor".

Die Kanzlerin wollte Israels Sicherheit aber nicht nur aus dem Blickwinkel der Iran-Bedrohung sehen, sie sprach die Palästinenserfrage an. "Wir sind hier vielleicht unterschiedlicher Meinung", sagte sie, aber Israels Existenzsicherung bedinge auch, "dass man eine Lösung finden muss für die Menschen, die in der Nachbarschaft leben". Die Zwei-Staaten-Lösung dürfe "nicht zu Grabe getragen" werden. Es gehe darum, "dass man immer auch im Blick haben sollte: Wie können auch die Palästinenser sicher und in einem Staat leben?"

Hier war Bennett klar: "Ein Palästinenserstaat würde sehr wahrscheinlich bedeuten, dass wir einen Terrorstaat haben, nur sieben Minuten (Fahrzeit, Anm.) entfernt von meinem Haus – und auch von jedem anderen Haus in Israel."

Fragile Koalition

Das sehen nicht alle in Bennetts Kabinett so. Die neue Regierung hat sich aber darauf geeinigt, dieses heiße Thema nicht anzufassen – zu fragil ist die Sieben-Parteien-Koalition. Die israelische Öffentlichkeit macht hier allerdings auch keinen großen Druck. Laut einer aktuellen Umfrage des israelischen Demokratieinstituts wünschen sich nur vier Prozent der Israelis, dass sich die Regierung vorrangig um einen Deal mit den Palästinensern kümmert.

Merkels Besuch hätte eigentlich im September stattfinden sollen, wegen der Eskalation in Afghanistan wurde er verschoben.

Abgesagt wurde nun auch der Besuch von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz morgen, Dienstag – allerdings bekanntlich wegen innenpolitischer Turbulenzen: Er ist nicht mehr Regierungschef. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 10.10.2021)