Die Zahl der Kinder, die von der Schule abgemeldet wurden, ist stark gestiegen.

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Es klingt verlockend: Ein bis zwei Stunden Unterricht pro Tag, und der Rest der Zeit bleibt für das, was wirklich Spaß macht. Der Trick dahinter ist unkompliziert; man müsse lediglich lernen, richtig zu lernen. Doch das aktuelle Schulsystem verhindere das – und hinterlasse unmotivierte Kinder. So lässt sich in etwa die Vorstellung zusammenfassen, mit der der selbsternannte Gedächtnistrainer und Zauberer Ricardo Leppe aktuell unzählige Eltern begeistert, die mit dem aktuellen Schulsystem – oftmals aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen – nicht zufrieden sind.

Einen besseren Zeitpunkt, um mit seinem Verein durchzustarten, hätte sich Leppe kaum aussuchen können: Mit dem Angebot füllt er ein neu entstandenes Vakuum – jene Leerstelle, die nun bei vielen Eltern entstanden ist, die ihre Kinder von der Schule abgemeldet haben. Deren Anzahl hat sich bekanntlich verdreifacht, 7.515 sind es an der Zahl. Und einige jener Eltern stehen nun nach der Abmeldung ohne Bücher, ohne Lehrplan und mit wenig Zeit da.

Es gibt mehrere Initiativen, die diese Lücke erkannt haben. "Wissen Schafft Freiheit" (WSF) ist ein besonders erfolgreiches Beispiel. Der Verein bietet nicht nur Lernvideos, sondern auch unzählige Social-Media-Gruppen zur Vernetzung, und das mit Erfolg. Allein der Hauptkanal hat mittlerweile knapp 35.000 Abonnenten, die Videos schauen Zehntausende.

Tipps und Tricks

Klingt harmlos, ist es aber nicht immer. Das Problem dabei: Neben Lerntipps finden sich in den unzähligen Videos auf Youtube und Telegram-Gruppen nicht nur Hinweise auf Alternativen zum Schulsystem, sondern auch auf Corona-verharmlosendes und rechtsextremes Gedankengut. Obwohl der Verein mittlerweile darum bittet, "C. und Nadelthemen" außerhalb der WSF-Gruppen zu besprechen, finden sich regelmäßig einschlägige Postings von Mitgliedern, die vor Tests in Schulen warnen oder die Impfung etwa als "Massenmord" bezeichnen. Und auch Leppe und der Verein selbst sind im Corona-verharmlosenden Milieu unterwegs. So wird auf der Website etwa für die "Anwälte für Aufklärung" geworben, die seit Monaten gegen Corona-Maßnahmen mobil machen. Einer der Anwälte-Gründungsmitglieder ist mittlerweile Chef der Impfgegner-Partei MFG.

Leppe nimmt mit seinem Bruder regelmäßig Videos auf, in denen sie immer wieder auch auf Gesundheitsthemen zu sprechen kommen. So groß die Bandbreite der Themen ist, so haarsträubend sind die Ansichten, die dort zum Teil verbreitet werden: So ist in einem Video etwa davon die Rede, dass Sonnencreme die Haut schädige und es ADHS nicht gebe, in einem anderen, dass Menstruationsschmerzen an schlechter Ernährung liegen würden und die Blutung überhaupt aussetzt oder ganz schwach wird, wenn man richtig isst.

"Germanische" Medizin

Woher diese Ideen stammen, lässt sich nur vermuten – sie sind jedenfalls solcherart, wie sie in der Esoterikszene häufig zu finden sind. Einen konkreten Hinweis liefert Leppe selbst: So bewirbt WSF in einer Telegram-Gruppe das Konzept der sogenannten "Germanischen Heilskunde" – eine vom Antisemiten Ryke Geerd Hamer erfundene Pseudomedizin, die alle Krankheiten auf seelische Konflikte zurückführen wollte. Besondere Bekanntheit erlangte das Konzept hierzulande Mitte der Neunziger mit dem Fall des Mädchens Olivia, dem eine lebensnotwendige Behandlung durch ihre Eltern, die Hamer-Anhänger waren, verweigert wurde.

Generell scheint Leppe kein Problem damit zu haben, an extrem rechtes Gedankengut anzustreifen. So wird in WSF-Gruppen immer wieder für Lerninitiativen geworben, die mit der sogenannten "Schetinin"-Pädagogik arbeiten. Dahinter steht die Theorie, dass jegliches Wissen in den Kindern bereits angelegt sei und sich nur noch entfalten müsse. Sektenstellen beschreiben die Bewegung als "militaristisch-nationalistisch" und als "esoterischen Allheilweg". Die Schweizer Stelle Infosekta sieht einen Zusammenhang zur völkischen "Anastasia"-Bewegung, die auf Fantasiegeschichten und Verschwörungstheorien begründet ist.

In einem anderen Video sagt Leppe: "Wieso darf ich das, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, auf gar keinen Fall hinterfragen, weil sonst bin ich ganz, ganz böse und ganz, ganz schlimm? Ich leugne nicht, dass es scheiße war damals, aber vielleicht war’s nicht so. Wieso darf ich nicht darüber sprechen mit anderen?" In einer WSF-Gruppe postete ein Mitglied ein Video, in dem Adolf Hitler verherrlicht wird. In gleichem Atemzug werden Slogans der QAnon-Bewegung gepostet. Ausführliche Informationen zum ideologischen Hintergrund recherchierte auch die Plattform "Stoppt die Rechten", mit der DER STANDARD kooperierte.

Positives und Negatives

Mit den Vorwürfen konfrontiert, teilte Leppe mit: "Solange mir so viele Eltern und kleine Kinder täglich freudestrahlend danken kann ich also damit leben wenn manche meinen ich sei ein Antisemit oder die sonst üblichen Begriffe." Doch darüber werde "öffentlich kein Wort gesprochen". Von den Vorwürfen sei er "weit weg". Zu Schetinin heißt es, dass jeder sich aus allen möglichen Schultypen das Beste raussuchen solle. Die "extreme Disziplin und sonstigen Glaubensmuster" finde er allerdings nicht gut.

Es bedeute zudem nicht, dass er mit allen Aussagen des Gründers konform gehe, und gleiches gelte für Postings in einzelnen Gruppen. Auf die Frage, wieso etwa das Hitler-verherrlichende Video nicht gelöscht wurde: "Solange sich niemand beschwert darf dort jeder schreiben und diskutieren." Schon auf der Website stehe das Motto: Prüfe alles mit Herz und Verstand. Die Germanische Heilkunde habe "gute Ansätze, wenn es um psychologische Themen geht", er sei aber nicht mit "allen sonstigen Aussagen in diesem Kontext einverstanden." In puncto Anastasia gelte Ähnliches: Was dort teils aus den Ideen gemacht werde sei "wie eine Sekte und nicht gerade ideal", aber "deswegen gleich alles zu verteufeln ist falsch." Beinahe jede Bewegung habe "positive und negative Aspekte."

Sich aus allem das beste herauszusuchen und auf Basis dessen eine Lerngruppe gründen: Das ist auch die Idee, die einem bei Wissen schafft Freiheit vermittelt wird. Interessierte Eltern finden auf der Website konkrete Anleitungen, um einen "Lernort" zu gründen und rechtliche Tipps, um das umzusetzen. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass es im WSF-Umfeld oft um mehr geht als die Schule an sich. So gibt Leppe in einem Video seinen Zuhörern mit auf den Weg: "Glaubt nicht, was die euch da draußen sagen. Ich hab noch kein einziges Thema gefunden, wo sie uns nicht belügen." (Vanessa Gaigg, 25.10.2021)