Organigramme mit pyramidenförmig übereinandergestapelten Kästchen sind aus der Mode gekommen. Kreise erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Konzepte wie Holokratie und Soziokratie versprechen eine bessere Organisationswelt: mehr Inklusion und Partizipation, mehr Kreativität und Innovation, mehr Commitment und Motivation. Solche kreisförmigen Organisationen zeichnen sich durch zwei Merkmale aus:

1) Sie verbinden ihre Teams durch eine doppelte Verknüpfung – das heißt durch zwei Personen in unterschiedlichen Rollen. Die eine Person wird von der übergeordneten Ebene ins Team entsandt (Leitung). Die andere Person wird von den Teammitgliedern ernannt (Delegation). Beide Personen sitzen in den Besprechungen beider Kreise.

2) Teams entscheiden im Kollektiv nach bestimmten Regeln. In der Soziokratie heißt das Konsent. Jedes Teammitglied hat das Recht, wichtige und begründete Einwände gegen Vorschläge vorzubringen und damit die Entscheidung zu verbessern. Konsent bedeutet nicht, dass alle im Konsens sind, sondern nur, dass es keine begründeten und schwerwiegenden Einwände gibt. Alle können mit der Entscheidung leben.

Michael Meyer ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und leitet das Institut für Nonprofit-Management.
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Soziokratie, Holokratie und Co versprechen, das Engagement von Mitarbeitern gewaltig zu steigern und die Entscheidungsqualität zu verbessern. Freilich ist das auch anspruchsvoll und kann Prozesse verlangsamen. Mitarbeiter werden stärker gefordert, und die soziale Komplexität erhöht sich. Es kann mühsam werden, und manchmal lehnen Mitarbeiter aus Angst vor Selbstausbeutung und Verantwortungseskalation die kreisförmige Organisation ab.

Zwei Jahre lang haben wir in einem Team 18 Organisationen aus allen Sektoren analysiert, um zu ergründen, unter welchen Umständen Soziokratie, Holokratie und Co funktionieren können und längerfristig Bestand haben. Dabei stießen wir auf acht Prinzipien, die schon die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom vor fast 30 Jahren vorgeschlagen hat, um die Tragödie der Allmende zu verhindern.

Die typischen vier

Vier Prinzipien sind charakteristisch und meist unproblematisch: die kollektive Entscheidungsfindung, die klar definierten Kreise, die Verbindungen zwischen den Kreisen, und die Mindestanerkennung von Rechten.

Herausfordernd ist die Umstellung von der klassischen auf die kreisförmige Organisation allemal. Manchmal scheitert es, bevor es begonnen hat. Manchmal bleiben die kreisförmigen Strukturen auf kleine Teile der Organisation beschränkt. Wenn sich Eigentümer irgendwo das letzte Wort vorbehalten wollen, müssen die entsprechenden Entscheidungsbereiche gut definiert werden. Es ist durchaus machbar, die kreisförmige Organisation nur auf Teile oder bestimmte Themen – zum Beispiel alles außer Entlohnungsfragen – zu beschränken, solange die Grenze für alle klar ist und die Gründe für die Grenzziehung akzeptiert werden. Innerhalb eines kreisförmigen Teils sollte die kollektive Entscheidungsfindung jedoch alle Betroffenen inkludieren, sonst kommt die kreisförmige Organisation nicht in Fahrt.

Es ist zwar nicht notwendig, dass alle immer von ihrem Mitbestimmungsrecht Gebrauch machen oder an allen Kreissitzungen teilnehmen, aber die große Mehrheit der Mitglieder in den kreisförmigen Bereichen sollte diese Möglichkeit haben und regelmäßig nutzen. Wir fanden doch einige Fälle, wo zum Beispiel Mitarbeiter in Produktion und Verkauf nicht einbezogen wurden. Führungskräfte berichteten dann, dass frühere Versuche am mangelnden Engagement dieser Mitarbeiter gescheitert seien.

"Kreisförmige Organisationen verlangen von ihren Mitarbeitern ein Umlernen und Mitsorgen." – Michael Meyer

Die Verbindung der Kreise innerhalb einer Organisation ist durch die doppelte Verknüpfung gut geregelt. Dabei wurden in den untersuchten Organisationen fast alle Führungskräfte ernannt und nicht gewählt, während die Delegierten meist nach einem besonderen Wahlverfahren gewählt wurden. Die Herausforderung besteht darin, dass die Delegierten jetzt Managemententscheidungen mittreffen können und diese Perspektive häufig ungeübt ist. Da braucht es entsprechenden Kompetenzaufbau sowie Mut, gegen die eigene Führungskraft zu reden. Herausfordernd sind die Schnittstellen, wenn nur Teile der Organisation kreisförmig sind. Da braucht es klare Regelungen.

Die Mindestanerkennung von Rechten bedeutet, dass die Legitimität der autonomen und egalitären Entscheidungsfindung nach innen und außen gesichert sein muss. Zumindest in Österreich, Deutschland und der Schweiz gewährt der Rechtsrahmen ausreichende Organisationsfreiheit und Gestaltungsfreiheit, solange zwingende unternehmensrechtliche Bestimmungen eingehalten werden (zum Beispiel Geschäftsführung, Vertretung nach außen, Haftung).

Dieser Text ist am 21. Oktober 2021 im Der Standard Karriere Magazin erschienen.
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Die heiklen vier

Vier Gestaltungsprinzipien erwiesen sich in den Fallanalysen als besonders erfolgskritisch: die Kongruenz von Anreizen und Beiträgen, die Kontrolle, die Abstufung von Sanktionen und die Konfliktlösungsmechanismen.

Kreisförmige Organisationen verlangen von ihren Mitarbeitern ein Umlernen und Mitsorgen. Diesem erhöhten Aufwand müssen Anreize gegenüberstehen, sonst läuft sich das Engagement tot. Mehr Lohn, aber auch mehr Entwicklungsmöglichkeiten, Autonomie und Wertschätzung müssen mit der gesteigerten Verantwortung einhergehen. Kreisförmige Organisation ist kein billiger Weg zu mehr Motivation. Die andere Seite der Ausbeutung ist jene der Organisation durch die Mitarbeiter. Wenn über Spesen, Dienstreisen und Homeoffice kollektiv entschieden wird, braucht es erhöhte Konfliktbereitschaft, um den Kollegen manchmal auch etwas zu verwehren. Die Erwartung, dass sich alle in der Kreisorganisation unternehmerisch verhalten, ist enttäuschungsanfällig. Es braucht geeignete Kontrollsysteme, die aber nicht übermäßig bitzlig sein müssen, um Trittbrettfahren zu vermeiden. In einer Beratung reicht es vollkommen, wenn regelmäßig intern kommuniziert wird, wie viel Deckungsbeitrag jeder Kreis erwirtschaftet hat. Den Rest erledigt der Gruppendruck. In anderen Organisationen werden nach holokratischem Muster Besprechungen geführt, in denen der Stand der wichtigsten Leistungsindikatoren diskutiert wird.

Sanktionsfreie Sozialromantik spielt es im kreisförmigen Unternehmen nicht – im Gegenteil. Die Etablierung abgestufter Sanktionen ist ein besonders heikles Kriterium. Kritisches Feedback und die Aufforderung, die Organisation zu verlassen, sind die verbreitetsten Sanktionen. In einem Betrieb wurde zusätzlich die "gelbe Karte" eingeführt. Die Gesprächskultur in Meetings und die Konfliktlösungsmechanismen spielen dabei eine große Rolle, und Soziokratie wie Holokratie bieten eine Reihe von Vorlagen und Techniken, um konstruktive Kritik zu äußern.

Maßgeschneiderte Lösungen bringen Erfolg

Die erfolgreichen und langlebigen Kreisorganisationen in unserer Studie haben auf der Grundlage dieser Prinzipien maßgeschneiderte Lösungen entwickelt. Wir haben keine Organisation gefunden, die eine exakte Kopie des Urmodells von Soziokratie oder Holokratie darstellt. Selbst Organisationen, die mit einem derartigen Konzept zufrieden waren, hatten Änderungen an den Basismodellen vorgenommen, wie das Hinzufügen von Elementen der repräsentativen Demokratie zur Soziokratie oder das Hinzufügen von geselligen Komponenten zu Holokratie-Meetings. Auch zertifizierte Berater für bestimmte Konzepte betonten die Notwendigkeit solcher Anpassungen. Viele Organisationen waren eklektisch, nahmen Teile aus dieser oder jener Vorlage, entwickelten eigenen Methoden. Wir fanden keine Anhaltspunkte, dass eher eklektische oder eher orthodoxe Ansätze besser funktionieren würden.

Obgleich wir feststellen mussten, dass die Beraterliteratur dazu neigt, Vertrauen, Interessenkonvergenz und die intrinsische Motivation der Mitarbeiter zu überschätzen und die heiklen Prinzipien auszublenden, konnten wir zeigen, dass kreisförmige Organisation gut funktionieren kann. Wir zeigen auch, dass Soziokratie und Holokratie ihren Preis haben, dass die Einführung mühevoll ist und hohe Anforderungen an die soziale und kommunikative Kompetenz aller Beteiligten stellt. Befehl und Gehorsam in der Hierarchie ist zweifelsohne einfacher und für manche auch bequemer. Und die antagonistische Trennung von Arbeit und Kapital, von dispositiver und ausführender Tätigkeit erleichtert auch die Schuldzuweisung an den jeweils anderen. Das wird in der Kreisorganisation deutlich schwieriger. (Michael Meyer, 5.1.2022)