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Reality-TV-Star Gina-Lisa Lohfink vor dem Prozess gegen sie wegen Falschaussage.
Foto: Reuters / HANNIBAL HANSCHKE

Schon bei ihrem ersten TV-Auftritt bekam Gina-Lisa Lohfink jenen Stempel aufgedrückt, der sie bis heute begleitet: "Zu viel". Es war 2008 und die dritte Staffel der Model-Casting-Show "Germany's Next Topmodel". Heidi Klum und ihre Crew gingen damals noch offener frauenfeindlich mit ihren Kandidatinnen um. Inzwischen ist Diversity und Wokeness auch bei GNTM eingezogen, man gibt sich netter. Damals zeigte Klum aber noch recht offen ihre anfängliche Abneigung gegenüber der gelernten Arzt/Ärztinnen-Helferin, die neben ihrer Ausbildung in einem Fitnessstudio und in einem Behindertenheim jobbte. "Oh – wir suchen hier aber nicht Miss Kaufhaus", sagte Ex-Juror Rolf Scheider damals. Für "Focus-Online" fiel sie unter die Kategorie "Proll".

"Zu viel Make-up", "zu viel Bräunungscreme", "zu viel Extensions", "Fake, Fake, Fake", urteilte damals Klum, um ihr gönnerhaft doch eine Chance einzuräumen. Schließlich sei sie doch "so ein hübsches Mädchen". Dabei tat Gina-Lisa Lohfink im Grunde nichts anderes, als was von einer GNTM-Kandidatin erwartet wird: bei allem mitmachen, posieren, Hintern und Busen raus, sich sexy geben, sich über das Aussehen definieren. Gina-Lisa Lohfink schien von all dem aber eben immer ein bisschen "zu viel" zu machen. Ihr fehlte offenbar der Sinn für die engen Grenzen einer Performance als hübsche junge Frau. Der Habitus des netten Mittelschichtmädchens von nebenan fehlte der damals 22-Jährigen zu allem Überfluss auch noch. Ihre rauchige Stimme, wie sie sich auf die Oberschenkel klopfte, wenn sie lachte, "zack die Bohne!" ausrief, wenn ihr etwas gelungen schien.

Lohfink 2017 bei der Eröffnung eines Clubs in München.
Foto: APA/dpa/Ursula Düren

Zum Nachwuchs-Topmodel wurde sie also nicht. Stattdessen aber zum C-Promi. Sie hat Gastauftritte in Serien wie "Marienhof", ist ein viel gebuchtes Werbegesicht, VIP-Gast in Diskotheken sowie Erotikmessen und Reality-TV-Shows. "Das perfekte Promi-Dinner", "Promi-Big-Brother", "Die Alm – Promischweiß und Edelweiß", später auch das "Dschungelcamp".

Sex- oder Vergewaltigungsvideo

2012 taucht ein Video von Gina-Lisa Lohfink auf, das sie beim Sex mit zwei Männern zeigt. Nicht Sex, sagt Lohfink später, sondern eine Vergewaltigung. Erst nachdem Lohfink das Video sah, erstattete sie Anzeige. Sie könne sich an vieles, was in der Nacht geschah, nicht mehr erinnern und vermutete, K.-o.-Tropfen verabreicht bekommen zu haben. Doch Lohfink macht sich auch als Opfer nicht gut. Nach ihrer Anzeige wegen Vergewaltigung hat sie fünf Monate keine Zeit, eine Aussage zu machen. Stattdessen tingelt sie zwischen diversen Auftritten hin und her, zwischendurch entschuldigen sie ihre Anwälte auch wegen gesundheitlicher Probleme. Wieder einmal gibt das alles kein gutes Bild ab.

Als es schließlich zum Prozess kommt, nutzen ihre Anwälte den Prozess für maximale Inszenierung. Doch aus einem Prozess werden zwei. Im ersten, jenem zum Vergewaltigungsvorwurf, werden die beiden Männer freigesprochen. Insgesamt hatte das Gericht zwölf Videos von der Nacht vorliegen, in denen Lohfink klar "Hör auf" und "Nein, nein, nein" sagt. Die Männer prahlen vor der Kamera, sie penetrieren Lohfink, die teils teilnahmslos daliegt, immer wieder versucht den Kopf wegzudrehen. Zwischendurch schmiegt sie sich an, lacht und tanzt. Die Männer posieren, nennen sich selbst "Champions". Das Gericht urteilt, "Nein" habe Lohfink lediglich zum Filmen gesagt, aber nicht zu bestimmten sexuellen Handlungen. Die beiden Männer werden nur wegen der Veröffentlichung des Videos verurteilt.

Verurteilt wurde allerdings auch Lohfink in einem zweiten Prozess. Die Männer klagten sie wegen Falschbeschuldigung an. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurden die Solidarisierungen von Feminist*innen mit Gina-Lisa Lohfink so richtig laut – sowohl auf Twitter unter dem Hashtag #TeamGinaLisa als auch direkt vor dem Gerichtsgebäude.

Während des Prozesses gegen Gina-Lisa Lohfink protestierten Aktivist*innen im Juni 2016 vor dem Berliner Landgericht für eine Änderung das Sexualstrafrechts.
Foto: Imago/Christian Mang

Auch die damalige deutsche Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) sagt: "'Nein heißt Nein' muss gelten. Ein 'Hör auf' ist deutlich." Eine Debatte rund um eine Neuerung des Sexualstrafrechts köchelte damals zwar schon wegen der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 vor sich hin – allerdings auf niedriger Flamme. Der Fall Gina-Lisa Lohfink gab hierzu wieder Zunder. Und Heiko Maas, dann SPD-Justizminister, nimmt schließlich das Prinzip "Nein heißt Nein" im Herbst 2016 auf. Aufgrund der neuen Regelung, die in Österreich schon Anfang 2016 in Kraft trat, zählt nicht mehr nur körperliche Gegenwehr, sondern auch verbale.

Keine Vorstellungen von Konsens

Für Gina-Lisa Lohfink ist alles aber denkbar schlecht ausgegangen. Ihre Geldstrafe kostet sie 20.000 Euro, weil das Gericht den Vorwurf der Vergewaltigung für unberechtigt hielt. Die Männer werden zu Geldstrafen von 4.500 und 5.400 Euro verurteilt, weil sie die Videos gegen Lohfinks Willen veröffentlicht haben. Einer der beiden Männer stand übrigens 2021 in einem anderen Fall wegen Vergewaltigung, Körperverletzung, Nötigung und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vor Gericht. Laut einer Sexarbeiterin habe der Mann gegen ihren Willen das Kondom entfernt und sie geschlagen, als sie den Geschlechtsverkehr daraufhin abrupt beendete. Verurteilt wurde der Mann schließlich wegen Körperverletzung und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln.

"Nie wieder würde ich anzeigen", resümiert Lohfink nach den Prozessen. Dabei hat ihr Fall in einer bisher noch kaum dagewesenen Breitenwirksamkeit gezeigt, wie wenig das "Nein" einer Frau wert ist. Die Videos führten auch schmerzlich die bis heute weit verbreitete Annahme vor Augen: Wer mit jemandem Sex hat, hat offenbar nicht das Recht, ihn an einem bestimmten Punkt nicht mehr zu wollen. Wer einmal "Ja" sagt, darf später nicht mehr "Nein" sagen, darf nicht damit rechnen, das eine zustimmen und das andere ablehnen zu dürfen.

Wieder mal: Viel zu viel

Der Fall hat gezeigt, dass wir in Sachen sexuelle Selbstbestimmung auf einem enorm niedrigen Level sind und noch kaum eine Vorstellung davon haben, was konsensualer Sex bedeuten könnte. Dass es noch immer völlig in Ordnung zu sein scheint, wenn jemand etwas nur noch über sich ergehen lässt. All das hat Gina-Lisa Lohfink durch ihre Anzeige deutlich gemacht – und somit eine längst überfällige Debatte ausgelöst. Wer die Videos gesehen hat, dem dreht sich der Magen angesichts dessen um, dass das nicht als Vergewaltigung, als sexualisierter Übergriff galt, dass das "Hör auf" nichts zählte.

Heute wird auf Gina Lisa-Lohfink wieder als eine Frau geschaut, die einfach nicht weiß, wann es zu viel ist. Als sie sich im Vorfeld der RTL-2-Show "Kampf der Realitystars" offenbar die Lippen aufspritzen lässt, ist es viel zu viel, urteilen die Klatschpalten. Ja, habe sie eingesehen, gibt Lohfink zu – und lässt sie wieder verkleinern. Als sie betrunken und weinend bei besagter Show zusammenbricht, nimmt sie es wieder auf sich, und entschuldigt sich. "Wenn man zu viel trinkt, seht ihr, was passiert, nur Mist kommt dabei raus."

Dabei ist und war an der heute 35-jährigen Gina-Lisa Lohfink nie etwas falsch. Vielmehr sind es jene Formate, die vorexerzieren, wie eng die Grenzen zwischen "Schlampe" und gewünschter "Sexyness", zwischen "Willigkeit" und "Unterwürfigkeit", zwischen "lieb" und "Luder" sind. (Beate Hausbichler, 15.10.2021)