Mutationen wie die Delta-Variante reduzieren den Impfschutz. Der Schutz vor schweren Verläufen bleibt aber stabil.

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Wie gut die Corona-Impfung vor einer Infektion schützt und wie lange diese Immunität dann anhält, wird aktuell vieldiskutiert. Die Berichte über Impfdurchbrüche nehmen zu, die nackten Zahlen bestätigen diese Entwicklung. Das Problem: Man weiß im Grunde nicht, wie stark die Immunität tatsächlich abnimmt oder wie sehr die deutlich infektiösere Delta-Variante für die zunehmenden Impfdurchbrüche verantwortlich ist.

Genau das hat jetzt eine großangelegte Studie im US-Bundesstaat New York untersucht, die am Samstag als Preprint auf dem Medrxiv veröffentlicht wurde. Ein Team aus Wissenschafterinnen und Wissenschaftern des New York State Department of Health in Albany und der State University of New York wertete dafür die Daten von mehr als 8,8 Millionen Erwachsenen aus. Knapp 5,8 Millionen, das sind 65,5 Prozent der Personen, waren vollständig geimpft.

Deren Daten wurden mit jenen der ungeimpften Gruppe verglichen, zusätzlich wurde für die immunisierten Teilnehmer ausgewertet, mit welchem Vakzin sie geimpft worden waren (48,6 Prozent mit Biontech/Pfizer, 41,5 Prozent mit Moderna, zehn Prozent mit Johnson & Johnson). Daten für den Impfstoff von Astra Zeneca liegen nicht vor, da dieser in den USA nicht zugelassen ist. Auch der Zeitpunkt der vollständigen Impfung und das Alter der untersuchten Personen wurden berücksichtigt. Untersucht wurde im Zeitraum von 1. Mai bis 3. September.

Delta-Variante als Gamechanger

Im erfassten Zeitraum gab es 155.092 laborbestätigte Covid-19-Fälle, 14.862 Erkrankte mussten ins Spital. In der geimpften Gruppe gab es 38.778 Erkrankungen und 2.363 Krankenhausaufenthalte. 116.314 Infektionen und 12.499 Hospitalisierungen entfielen auf die ungeimpfte Gruppe.

Zu Beginn des erfassten Zeitraums, am 1. Mai, war die Effektivität der Impfung sehr hoch, die Delta-Variante mit 1,8 Prozent noch sehr wenig verbreitet. Ein erster Tiefpunkt der Effektivität wurde am 10. Juli erreicht, Delta war zu dem Zeitpunkt mit 85,3 Prozent bereits deutlich dominant. Danach änderten sich die Eckdaten nur noch unwesentlich, die Delta-Prävalenz stieg auf 95 Prozent bis zum Ende des Untersuchungszeitraums, die Effektivität der Impfung blieb in etwa gleich.

Von Anfang Mai bis Ende Juni nahmen die Neuinfektionen bei Geimpften und Ungeimpften und in allen Altersgruppen stetig ab, um dann, mit der zunehmenden Dominanz der Delta-Variante, wieder deutlich anzusteigen. Dasselbe gilt für die Hospitalisierungen.

Impfschutz wurde deutlich weniger – aber Schutz vor schweren Verläufen bleibt gut

Den größten Impfschutzrückgang gab es bei dem Vakzin von Biontech/Pfizer: 24,6 Prozent weniger für die Altersgruppe 18 bis 49, 19,1 Prozent weniger bei 50- bis 64-Jährigen und 14,1 Prozent weniger bei allen ab 65. Etwas geringer ist der Rückgang bei Moderna (18 Prozent, 11,6 Prozent, 9,0 Prozent) und bei Johnson & Johnson (19,2 Prozent, 10,8 Prozent, 10,9 Prozent).

Der Schutz vor schweren Verläufen nahm dagegen deutlich weniger ab. In der Gruppe der 18- bis 64-Jährigen blieb er im gesamten Verlauf der Untersuchung für alle drei Impfstoffe über 90 Prozent. Bei den über 65-Jährigen, die im Zeitraum von Jänner bis April geimpft worden waren und deren Immunantwort bereits von Haus aus schwächer ist, sank der Schutz bei Biontech/Pfizer zum Ende des Untersuchungszeitraums auf 93,2 Prozent, bei Moderna auf 95,9 Prozent und bei Johnson & Johnson auf gut 85 Prozent. Bei allen drei Impfstoffen blieben die Werte über den gesamten untersuchten Zeitraum stabil.

Das Besondere an diesen Erkenntnissen, so die Studienautoren: Die Immunität wurde nicht in dem Zeitrahmen weniger, wie man das aus den bisherigen Erkenntnissen zum Nachlassen der Immunität angenommen hätte. Vielmehr korrelierten die steigenden Impfdurchbrüche mit der raschen Ausbreitung der Delta-Variante im Juli, im August stagnierten sie dann. Nur in der Altersgruppe ab 65 nahm der Schutz vor einer Infektion weiter moderat ab, was generell mit der ab etwa diesem Alter abnehmenden Immunantwort zu erklären ist. Der Schutz vor Hospitalisierung blieb aber bei allen Gruppen hoch.

"Schwer, einen Grund gegen die Impfung zu finden"

Was bedeuten diese Ergebnisse nun konkret? Macht eine dritte Impfung überhaupt Sinn, wenn vor allem die Delta-Variante für die Impfdurchbrüche verantwortlich ist? Das bejaht der Molekularbiologe Martin Moder eindeutig: "Natürlich spielt auch die mit der Zeit abnehmende Immunität eine Rolle, aber wir sehen ganz eindeutig, dass durch den dritten Stich die Krankenhausaufenthalte reduziert werden. Die Daten aus Israel zeigen, dass der Schutz dann nahezu perfekt ist, die Todesfälle aufgrund von Covid gehen ganz stark zurück. Jene Geimpften, die trotzdem sterben, sind wirklich die alleranfälligsten Patienten. Mit diesen Daten ist es schwer, einen Grund zu finden, warum man die dritte Impfung nicht machen sollte."

Die Frage, ob man das Vakzin gegen die Delta-Variante aufgrund der Impfdurchbrüche anpassen müsse, verneint Moder: "In der Theorie wäre ein neuer Impfstoff natürlich das Optimum. Aber es wird immer wieder Mutationen geben. Die Anpassung des Impfstoffs geht zwar rasch, aber wohl doch nicht so rasch, dass sich das ausgeht. Er würde auch nur geringfügig besser helfen, wir sehen ja, dass die vorhandenen Impfstoffe mit einer weiteren Dosis sehr hohen Schutz bieten – da ist der Unterschied minimal. Ein neuer Impfstoff zahlt sich erst aus, wenn das Virus ganz massiv mutiert."

Aktuelle Impfempfehlungen

Diese Erkenntnisse bestätigen auch noch einmal die aktuellen Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG) zur Booster-Impfung: Frühestens sechs, spätestens neun Monate nach der letzten Impfung sollen Bewohnerinnen und Bewohner von Alten-, Pflege- und Seniorenwohnheimen, Personen ab 65 Jahren, Personen, die zwei Dosen Astra Zeneca erhalten haben, und Personen ab zwölf Jahren mit Vorerkrankungen oder Risikofaktoren eine Booster-Impfung bekommen.

Allen anderen ab 16 Jahren soll ab neun Monate nach dem letzten Stich eine Auffrischungsimpfung angeboten werden, heißt es in den Empfehlungen des NIG. Personal im Gesundheits- und Pflegebereich sowie pädagogischem Personal wird der Booster – auf freiwilliger Basis – bereits nach sechs Monaten angeboten.

Noch viel wichtiger als der dritte Stich ist für Molekularbiologe Moder aber, mehr Menschen zu impfen: "Jüngere, prinzipiell gesunde Menschen sind jetzt schon sehr gut vor schweren Verläufen geschützt, eine dritte Impfung verstärkt das noch einmal. Aber damit die Pandemie in eine endemische Situation übergeht, braucht es nicht den Booster, sondern mehr Erstimpfungen." (Pia Kruckenhauser, 13.10.2021)