Zauberin: die Sängerin Jessye Norman, fotografiert 1995.

Foto: Ruth Walz

Die Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer unter der künstlerischen Leitung von Peter Stein war in den 70er-Jahren das wohl bedeutendste deutschsprachige Theater. Bruno Ganz, Edith Clever, Ulrich Wildgruber oder Angela Winkler hießen die Stars, Botho Strauß wurde hier entdeckt, Klaus Michael Grüber schuf 1974 mit einem Antikenprojekt Die Bakchen eine Sensation. 1976 erhielt die Fotografin Ruth Walz das Angebot, sich dem Haus mit einer festen Anstellung anzuschließen. Sie dokumentierte in der Folge Großproduktionen wie die Orestie von Aischylos (1980). In der Ausstellung Ruth Walz. Theaterfotografie im Museum für Fotografie in Berlin bildet die Orestie den Einstieg. Man kann an zwei Wänden, die Rücken an Rücken zueinander stehen, den ganzen Entstehungsprozess einer Inszenierung sehen, über die Premiere dann noch deutlich hinaus bis zu den Gastspielen, die durch eine markante schwarze Wand dem Stadtbild etwa von Athen eine Weile einen Stempel aufdrückten.

Einzigartigen Nähe zum Geschehen

Die nächste Wand gehört Botho Strauß, der vor dem Objektiv von Ruth Walz als jugendlicher Genius auftaucht und sich dann allmählich in seine Einsiedlerposition in der Uckermark zurückzieht – ein besonders bedeutsames Bild zeigt ihn bei einem Spaziergang in einer herbstlichen Allee von hinten aus einiger Distanz. An seiner Seite ist Bruno Ganz, der langjährige Lebensgefährte von Ruth Walz. Auch ihm ist ein eigener Abschnitt gewidmet.

Nach 1990 arbeitete Ruth Walz wieder frei. Die Schaubühne war damals schon weit über die ursprüngliche basisdemokratische Praxis hinaus, die Mitglieder waren weltweit mit Engagements unterwegs. Und Ruth Walz folgte ihnen, sie schrieb auf diese Weise auch ihre Theatergeschichte. Zu den Höhepunkten ihrer Westberliner Zeit ist davor auf jeden Fall die Winterreise im Olympiastadion zu zählen, die Grüber in der Architektur inszenierte, die 1936 der Nazipropaganda diente. Walz war damals nicht einfach als Fotografin dabei, sie hatte auch eine Nebenrolle und war damit in einer Position, in der sie die Außenperspektive mit der einzigartigen Nähe zum Geschehen verbinden konnte.

Zweiter Fixpunkt: Salzburg

Die Salzburger Festspiele wurden schließlich ein zweiter Fixpunkt in ihrer Arbeit. Sie traf dort auf Künstler wie Robert Wilson oder William Kentridge und fand immer wieder die richtige Perspektive für die Felsenreitschule in ihrer manchmal einschüchternden Imposanz. Theaterfotografie ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie muss das Mienenspiel in Momenten höchster Konzentration ebenso treffen wie das Zusammenspiel von Raum und Ensemble, Kostüm und Kulisse. Sie muss zurücktreten hinter die Perspektive des Publikums und zugleich dessen gespannten Blick überschreiten. Bei Walz bekommt man das ganze Theater als einen spannenden Arbeitszusammenhang zu sehen, immer wieder gebrochen durch den je neuen Rahmen, den sie ihm mit Bildausschnitten gibt. Der Momentkunst verleiht sie die Ewigkeit, die ihr gebührt. (Bert Rebhandl, 12.10.2021)