Es ist egal, welchen der Restaurantguides des Landes man zur Hand nimmt: Über das Daihachi in Wiens erstem Bezirk verlieren weder Gault-Millau, Falstaff noch A la Carte auch nur ein Wort. Dabei ist die Sushibar seit über 27 Jahren etabliert, und an keineswegs versteckter Adresse noch dazu: Bis vor dem Lockdown waren Chao-Li und ihr Mann, der in Taiwan von japanischen Sushi-Meistern ausgebildete Kuo-Jung "Peter" Pan, im Hotel de France angesiedelt.

Kuo-Jung Pan hat Wiens mit Abstand beste – und gleichwohl kaum bekannte – Sushibar von einem Ringstraßenhotel in ein anderes übersiedelt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Seit der alte Kasten im Zuge der Pandemie zum Quarantänehotel der Republik wurde, ist das Daihachi auf die andere Straßenseite des Schottenrings umgezogen, ins durchaus ostig aufpolierte Kempinski.

Die unübliche Diskretion der Guides verwundert umso mehr, als die Qualität des rohen Fischs im Daihachi den Vergleich mit anderen Sushibuden der Stadt nie zu scheuen brauchte, im Gegenteil: Besser konditionierten Belag der kühlen Reispatzeln wird man nicht finden, satter portionierten auch kaum.

Vielleicht liegt es ja daran, dass die japanische Botschaft exakt vis-à-vis vom De France liegt und man sich gästemäßig um andere als echte Kenner nie bemühen musste. Der Service ist jedenfalls von herber Zurückhaltung geprägt, auch die Preise machen deutlich, was man hier von Anbiederung ans allzu lokale Publikum hält.

Sehr japanisch, das alles. Nur das Dekor der neuen Location fällt doch deutlich aus dem Rahmen. Okay, die großformatige Arbeit des großen, in Graz lebenden Fotografen Seiichi Furuya beim Eingang ist allererste Sahne, davon abgesehen aber wirkt das Interieur nicht wirklich von japanischem Form- und Harmoniegefühl geprägt: braunsamtene Paneele an den Wänden, an Konferenzsäle erinnernde, weinrot bezogene Sessel, dazu diffus muranoide Luster an der Decke und seltsame ultraviolett-rosa Beleuchtung am Abend. "Das ist die frühere Champagnerbar des Hotels, wir haben nur ein paar Bilder und Küchenutensilien mitgebracht", erklärt Pans Ehefrau und Servicechefin Chao-Li.

Egal, das Essen entschädigt für das halbseidene Ambiente. Kuo-Jung Pan macht bei dem, was er auf seine Nigiri packt, so wenig Kompromisse, wie das in einem Land wie dem unseren, wo Meeresfisch schon seit Ende der Ersten Republik als tendenziell frivoler Firlefanz abgetan wird, eben möglich ist. Wobei: Das gilt für individuell georderte Nigiri – wer sich auf eines der Sushi-Sets einlässt, muss naturgemäß Kompromisse machen.

Feuer und Fisch

Unheimlich gut: japanisches Essen im Daihachi.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Kurotai, Goldbrasse, wird in massiven, kühl schmelzenden Scheiben auf den zart gesäuerten Reis gepackt, unheimlich gut. Butterfisch (korrekt: Escolar), der wegen der hohen Konzentration wachsähnlicher Lipide im Fleisch am Gaumen oft vulgär breit wirkt, bekommt im Daihachi durch kurzes Flämmen einen köstlich rauchigen Ton – sehr gute Idee, will man unbedingt haben.

Ikura ist Lachskaviar der Extraklasse im Nori-Blatt, sanft ploppend, flirrend vor Umami, irrsinnig gut. Auch Saba, klassisch gesäuerte Makrele, setzt in Wien ungekannte Standards: saftig und nicht so ausgezehrt wie sonst oft, von sanfter, animierender Säure – und abermals köstlich dick geschnitten.

Toro, der verstörend gute Fettbauch vom Blauflossenthun, stammt auch im Daihachi längst aus Zuchtware – allerdings aus dem spanischen Atlantik, nicht aus der Adria wie anderswo.

Temaki-Handrollen will man aber auch, schon allein wegen der köstlichen Knusprigkeit des gerösteten Algenpapiers, aber auch weil marinierter Kürbis ebenso wie die hefig vergorenen Natto-Sojabohnen darin eindrucksvoll zeigen, wie großartig Sushi auch ohne Fisch sein kann.

Empfehlenswert zum Abschluss, gerade jetzt im Herbst: die klare Teesuppe Nori-Chazuke, die einen nach all der rohen Herrlichkeit mit wohliger Hitze im Bauch in die Nacht entlässt. (Severin Corti, RONDO, 15.10.2021)

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