Pedantischer Rassist oder ein Ekel zum Liebhaben: Im neuen Film von Sönke Wortmann, "Contra", der am 28. Oktober in die Kinos kommt, spielt Christoph Maria Herbst einen Zyniker, der mit rassistischen Aussagen provozieren will. Es ist nicht das erste Mal, dass Herbst einen schwierigen Charakter spielt und liebenswerte Seiten herausarbeitet. Eine seiner bekanntesten Rollen ist wohl die des sadistischen Chefs Bernd Stromberg in der gleichnamigen Comedyserie, die bis 2012 im deutschen Privatfernsehen lief.

Bild nicht mehr verfügbar.

Christoph Maria Herbst spielt neben Nilam Farooq die Hauptrolle im neuen Film von Sönke Wortmann. "Contra" kommt am 28. Oktober ins Kino.
Foto: Getty Images / Thomas Niedermueller

Im Interview spricht der deutsche Schauspieler über liebenswerte Bösewichte, Diskussionsmüdigkeit sowie gendergerechte Sprache und erteilt den Salzburger Festspielen eine Absage.

STANDARD: Herr Herbst, das Interview muss mit einem Geständnis beginnen: Ich habe den Film falsch eingeschätzt. Ich sah den Trailer und dachte: "Hier geht es in die Richtung 'Stromberg trifft Migranten'!" Tatsächlich war "Contra" aber um einiges vielschichtiger. Warum wird der Film so flach beworben?

Herbst: Die Trailer sind eher auf Komödiantisches geschnitten. Das ist dem Umstand geschuldet, dass man meistens nur ein, zwei Minuten Zeit hat und simplifizieren muss. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Lachen Leute erst einmal aufmacht und vorbereitet. Lachen perforiert die Leute regelrecht. Die eigentliche Botschaft kann dann viel besser in Zuschauerinnen und Zuschauer eindringen.

STANDARD: Das heißt, Sie ködern das Publikum mit den lustigen Stellen, ins Kino zu gehen?

Herbst: Genau, es ist ein bisschen Zuckerbrot und Peitsche. Dieser Tricks hat sich schon der gute alte Shakespeare bedient, bei dem auch in jeder Tragödie mindestens eine sehr lustige Szene vorkommt, Stichwort die Totengräberszene bei "Hamlet". Es ist wichtig, den Leuten zwischendurch einmal mit einem heißen Lappen durchs Gesicht zu fahren, um dann wieder mit irgendetwas zu kommen, das einem die Kälte in den Nacken steigen lässt.

STANDARD: Sie spielen im Film Richard Pohl. Er ist Zyniker, provoziert die weibliche Hauptfigur Naima mit rassistischen Aussagen. Eine seiner zentralen Aussagen ist aber, dass erst durch den Diskurs große gesellschaftliche Diskussionen angestoßen werden. Inwiefern stimmen Sie ihm zu?

Herbst: Man kann jemandem, den man nicht mag, zwischendurch durchaus recht geben. Da hätte man beispielsweise schon etwas gelernt: dass man Menschen nicht in eine Schublade steckt und so lange drin lässt, bis sie keine Luft mehr bekommen. Wir stellen im Laufe des Films fest, dass er nicht wirklich ein Rassist ist. Es geht ihm darum, auf eine eloquente und intellektuelle Weise zu provozieren, um in den Diskurs zu kommen. Er will Leute dazu bringen, Haltung zu beziehen. Wenn man sich jetzt nur einen Trailer ansieht und gerade die erste Szene, dann könnte man sagen: "Wow, was für ein zynisches Schwein!" Ich muss die Figur ein bisschen liebhaben, sonst könnte ich sie nicht spielen, aber mir ist es immer darum gegangen, dass wir auch mitbekommen, warum er so ist, wie er ist. Er ist nicht als Zyniker geboren worden. Er ist eher ein enttäuschter Romantiker, jemand, der die Keule des Lebens auch schon komplett abgekriegt hat. Das ist ein Punkt, wo Pohl und Naima sich fast ein bisschen guttun. Weil sie beide auf ihre jeweilige Weise etwas anderes aus dem anderen herauskitzeln, was bisher noch nicht vorhanden schien.

STANDARD: Gibt es aus Ihrer Sicht Haltungen, die einen Diskurs unmöglich machen?

Bild nicht mehr verfügbar.

"Wir müssen an ein Mindset herangehen und nicht an ein hohles Wording."
Foto: Getty Images / Andreas Rentz

Herbst: Natürlich, ohne Ende und sicherlich mehr denn je. Auf der einen Seite geht es um Inhaltliches: wenn Argumente immer gleich als Fake abgetan werden. Dieser grauenhafte Trump hat das als Fachbegriff implementiert. Dann kannst du sagen, was du willst, es kann einem noch so harten Faktencheck standgehalten haben: In dem Moment, in dem ein anderer es als Fake-News abtut und behauptet, es wäre gelogen, hört das Gespräch auf. Die andere Seite sind Formsachen. Wenn Leute einfach nur schreien um des Schreiens willen und dich niederbrüllen, dir gar nicht zuhören, dir nicht zuhören wollen. Auch hier ist Kommunikation nicht möglich. Diese Menschen hängen sich selbst ab.

STANDARD: Die Filmfigur Pohl ist bei aller Diskursfreudigkeit besonders genau, wenn es um die Verwendung der deutschen Sprache geht. Haben Sie nach dem Dreh gemerkt, dass Sie Ihre eigenen Worte genauer gewählt haben?

Herbst: Nein, ehrlicherweise nicht. Aber ich liebe Sprache und den Umgang damit. Ich war mir deshalb immer bewusst, was man mit Wortwahl, Stimme, Ausdruck und Gestus anrichten kann. Das kann ein Fallbeil sein. In der Figur des Professor Pohl darf ich das auf die Spitze treiben. Den Film haben wir schon vor zwei Jahren gedreht, ich halte ihn leider Gottes immer noch für sehr aktuell. Wenn wir ihn heute noch einmal drehen würden, müsste ein wesentlicher Bestandteil im Drehbuch das Gendern werden. Da würde sich Naima eindeutig der Gendersprache bedienen. Für Pohl wäre das ein Unding. Er würde es sich verbitten, den Meißel an seine heilige deutsche Sprache anzusetzen, die Sprache Thomas Manns und Johann Wolfgang von Goethes. Ich bin gespannt, wo diese ganze Genderthematik, die unsere Sprache gerade wirklich zu verändern scheint, zu verändern droht, noch hinführen wird.

STANDARD: Sehen Sie das Gendern denn als Bedrohung?

Herbst: Ein Stück weit, ja. Das Gendern ist ein Etikettenschwindel: Es ändert nichts am Bewusstsein. Abgesehen davon, dass es oftmals so kompliziert ist, dass keiner, der nicht zumindest einen Sprechberuf oder einen journalistischen Beruf hat, es gefahrlos oder fehlerfrei über die Lippen bekommt. Wir werden damit aber auch Minderheiten oder beispielsweise den Frauen nicht gerecht. Dass wir beide Geschlechter bei Aufzählungen oder beim Sprechen bedienen, ist längst der Fall – völlig zu Recht. Alles, was darüber hinausgeht, halte ich für Verunglimpfung. Gendern kommt mir nicht über die Lippen.

STANDARD: Was genau meinen Sie damit? Dass Ihnen der Glottisschlag, also die kurze Pause, wenn etwa mit einem Stern gegendert wird, Probleme macht?

Bild nicht mehr verfügbar.

"Und zur Sache mit den Klamotten: Tja, Kleider machen Leute."
Foto: Getty Images / Thomas Niedermueller

Herbst: Ich kann es nicht sprechen. Ich halte mich für einen "Sprachler" und auch für relativ begabt im Reden. Aber ich bekomme es nicht über die Lippen. Vielleicht lerne ich es noch, aber ich möchte es gar nicht.

STANDARD: Sie sprachen an, dass das Gendern nichts am Bewusstsein der Menschen ändere. Wie meinen Sie das?

Herbst: Es ist wie im Wirtschaftsbereich, wo große Unternehmen und Konzerne zur Möglichkeit des Greenwashing greifen und sich ein grünes Label an die Brust heften. Wenn man sie sich genau ansieht, sieht man, dass das eine Farce ist. Das Label wiegt nicht im Geringsten auf, was auf der Sollseite an Schaden entstanden ist. Mir geht es aber mehr um Inhalte als um eine äußere Form. Wir müssen an ein Mindset herankommen und nicht an ein hohles Wording. Es wird hier viel mit Nebelkerzen gearbeitet: Wir nutzen Begriffe, und politisch Unkorrektes fliegt einem gleich um die Ohren. Da sind wir wieder bei "Contra": Es ist unserem sprachlichen Miteinander und Kommunikationsverhalten nicht dienlich, jemanden bewusst missverstehen zu wollen. Das hält auf.

STANDARD: Im Film teilt Ihre Figur ja nicht nur Fachwissen, sondern auch ihr Wissen zu Habitus und erfolgreichem Auftreten. Wie wichtig sind Ihnen solche Sachen?

Herbst: Es gibt die schöne Sequenz im Film, in der die Großmutter von Naima zu ihrer Enkelin sagt: "Hör mal, wie läufst du eigentlich rum mit deinen zerrissenen Jeans?" Ein paar Minuten vorher hat der Professor nichts anderes zu Naima gesagt. Das ist ein Moment, den ich sehr mag, denn er zeigt uns eine ganze Welt. Diese Diskussion könnte man als Klischee sehen und sagen: "Mein Gott, lass sie rumlaufen, wie sie will!" Ein weiteres Klischee wäre dann die Pünktlichkeit. Aber es gibt diese gesellschaftlich verankerten Grundtugenden – über Kulturkreise hinweg. Vielleicht ist es eine Altersfrage. Aber ich kenne das aus meinem Leben. Ich hasse es, wenn ich unpünktlich bin, weil ich anderen damit Zeit stehle, und das ist ein unsoziales Verhalten. Es kann natürlich passieren, dann entschuldige ich mich. Und der liebe Gott hat auch das akademische Viertel erfunden, das eine prima Sache ist. Aber in Minute 16 ist dann schon Schluss. Zur Sache mit den Klamotten: Tja, Kleider machen Leute. Das wird in einer Debatte im Film auch auf eine fiese und harte Weise verhandelt. Da heißt es etwa, dass eine Hure eine Hure bleibt, auch wenn sie sich das Kostüm einer Nonne überstreift. Diese Diskussion ist spannend. Mir fällt in dem Zusammenhang ein, dass ein Harald Schmidt damals, als er auf Sat1 seine Late Show hatte, immer wie aus dem Ei gepellt aussah. Als hätte er gerade einen Showroom in Paris verlassen und sich nach Köln fliegen lassen, um seine Show aufzunehmen. Da könnte man sich auch fragen: Warum sah der immer so aus? Mit Einstecktuch, maßgeschneiderten Anzügen, immer Schlips. Warum hat er das nicht einmal im Longsleeve und in Jeans gemacht? So wie er zu Hause sicherlich auch rumläuft. Das hat etwas mit Hochstatus zu tun. Schmidt hat sich schon qua seiner Kleidung in eine höhere Position gehoben. Das ist Wasser auf die Mühlen eines Professor Pohl, dem es ausschließlich darum geht, in Diskussionen, Diskursen und Debatten im Hochstatus zu sein.

STANDARD: Zurück zur Sprache: An einer Stelle im Film tragen Sie mit großer Leidenschaft "Faust" vor. War das eine kleine Bewerbung für die Salzburger Festspiele im nächsten Jahr?

Herbst: Was für ein schöner Gedanke! Ja, genau! Ich habe den Film nur gemacht, damit Salzburg mich endlich anfragt, gerne auch als Buhlschaft. Ich bin sehr wandelbar. Nein, es war keine Bewerbung. Aber es ist eine super Saat, die Sie hier jetzt gesetzt haben, und ich werde da gleich ein paar Faxe aufsetzen.

STANDARD: Hätten Sie prinzipiell Interesse an Rollen wie in den Salzburger Festspielen?

Herbst: Nein, da schaue ich viel zu weit nach oben zu den österreichischen Kolleginnen und Kollegen, als dass ich mir vorstellen könnte, dass ich denen das Wasser reichen könnte. Ich fische weiterhin in meinen kleinen Tümpeln und erfreue mich dann an den herrlichen österreichischen Seen, die ich aus der Ferne mit großem Wohlwollen beobachte. (Ana Grujić, RONDO, 14.10.2021)

Der offizielle Trailer zum Film "Contra".
Constantin Film