Die ÖVP ist als Bundespartei Beschuldigte in der Inseratencausa.

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Nach den Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale und im ÖVP-Umfeld dauerte es nicht lange, bis der Partei vorgeworfen wurde, eine kriminelle Organisation zu sein. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt allerdings nicht nach dem sogenannten Mafia-Paragrafen, Juristen und Juristinnen sind dazu geteilter Meinung.

Noch einmal kurz zusammengefasst geht es darum, dass frisierte Umfragen, die Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen Vorteil bringen sollten, gegen Steuergeld aus dem Finanzministerium in der Tageszeitung Österreich platziert worden sein sollen. So die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Beschuldigt sind nicht nur der Ex-Kanzler und einige seiner Vertrauten, sondern auch Meinungsforscherinnen, Medienmacher und: Die gesamte ÖVP-Bundespartei.

Grund genug für die FPÖ, namentlich für Generalsekretär Michael Schnedlitz, den Verdacht in den Raum zu stellen, "dass sich die türkise ÖVP-Spitze in den letzten Jahren zunehmend in eine kriminelle Organisation verwandelt hat". Ein harter Vorwurf, aber hält er auch aus rechtlicher Sicht?

ÖVP ist Beschuldigte

Der Ist-Stand ist jener: Gegen die ÖVP wird auf Grundlage des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes ermittelt. Denn Organisationen – etwa Unternehmen oder Parteien – haften für das Verhalten ihrer Mitarbeiter. Voraussetzung ist, dass die Straftaten zu Gunsten der Organisation begangen wurden. Das ist aus Sicht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Inseratencausa der Fall, denn die ÖVP habe von der mutmaßlichen Bestimmung zur Untreue und Bestechlichkeit, die dem ehemaligen Kanzler vorgeworfen werden, profitiert.

Die ÖVP ist also selbst Beschuldigte – und damit mutmaßlich kriminell. Das Strafdelikt der "Kriminellen Organisation" wirft die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten allerdings nicht vor – weder der ÖVP noch den anderen Beteiligten. Das ist auch gut so, sagen einige vom STANDARD konsultierte Juristen und Juristinnen – aber nicht alle.

Paragrafen im Detail

Doch erst ein Blick auf die Details im Strafgesetzbuch (StGB). Von einer "kriminellen Organisation" spricht man dann, wenn sich zumindest zehn Menschen zusammenschließen, um gemeinsam "schwerwiegende" Straftaten zu begehen – dabei reicht die Planung einer solchen. Der Zusammenschluss muss sich zudem "in großem Umfang" bereichern. Als Richtwert gilt der Betrag von 300.000 Euro. Dazu kommt eine weitere Voraussetzung: Eine kriminelle Organisation liegt nur dann vor, wenn sie korrumpiert, einschüchtert oder sich gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt.

Die ÖVP ist zweifellos eine Organisation mit mehr als zehn Mitgliedern. Die Korruptionsdelikte, die die Staatsanwaltschaft der ÖVP vorwirft, gelten auch als "schwerwiegend". Das liegt an den hohen Schadensbeträgen, die zwar noch genau ermittelt werden müssen, aber aus Sicht der WKStA bei der Untreue die entscheidende Grenze von 300.000 Euro übersteigen.

Eine "kriminelle Organisation" liegt aber nur dann vor, wenn sie auf die Verwirklichung von Straftaten ausgerichtet ist. Die Organisation kann neben der kriminellen Aktivität zwar grundsätzlich auch anderen Zwecken dienen. Allerdings muss die "spezifische Zielsetzung auf die wiederholte Begehung schwerwiegender Straftaten gerichtet sein."

Rechtsansicht uneinheitlich

Robert Kert, Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht der WU Wien, sieht nicht alle Anhaltspunkte für den Verdacht einer kriminellen Organisation. Seiner Ansicht nach fehle es an der unternehmensähnlichen Struktur. Allerdings: "Man kann schon sagen, dass das nahe dran ist, sollten sich die Vorwürfe erhärten", sagt Kert. Aus rechtspolitischer Sicht müsse man jedenfalls vorsichtig sein, "wann man etwas als kriminelle Organisation einstuft", sagt Kert, "der Tatbestand ist so offen formuliert, dass man da zurückhaltend sein muss".

Katharina Rueprecht, emeritierte Rechtsanwältin, hat 2010 und 2011 den sogenannten Tierschützerprozess aufmerksam verfolgt. Damals wurde einigen Tierschützer die Beteiligung an einer "kriminellen Organisation" vorgeworfen. Der Prozess endete schließlich mit einem Freispruch. "Eine Anklage der ÖVP unter dem Mafiaparagrafen würde ich ablehnen", sagt sie – vor allem deshalb, weil sie die Paragrafen an sich für kritikwürdig hält. "Damit soll jemand bestraft werden für etwas, das er machen will, nicht für etwas, das er getan hat", sagt Rueprecht.

Gänzlich anders sieht das der damalige Anwalt der Tierschützer, Stefan Traxler. Der damals ermittelnde Staatsanwalt habe den Paragrafen herangezogen. Es sei nur konsequent, wenn seine Kollegen das nun im Falle der ÖVP ebenso handhaben würden, sagt Traxler. Klar könne man sich fragen, "ob der Paragraf passt, aber wann passt er dann je? Wozu haben wir ihn dann?", meint Traxler.

Niedrigeres Strafausmaß als bei Korruptionsdelikten

Aus Sicht von Heidemarie Paulitsch, die sich als Strafverteidigerin auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert hat, wäre am ehesten Paragraf 278 StGB, also der Tatbestand der "kriminellen Vereinigung" denkbar. Gemeint wäre damit allerdings nicht die ÖVP als Partei, sondern die Gruppe von Beschuldigten rund um Thomas Schmid. Im Gegensatz zur "kriminellen Organisation" reicht es beim Delikt der "kriminellen Vereinigung", wenn zumindest drei Personen kooperieren. Die Gruppe kann auch weniger strukturiert vorgehen, als das bei einer "kriminellen Organisation" der Fall wäre.

Wenn andere, schwerwiegendere Straftaten im Raum stehen, konzentriert sich die Staatsanwaltschaft aber oftmals darauf, sagt Paulitsch. Delikte mit höherer Strafdrohung überlagern dann den Vorwurf der kriminellen Vereinigung.

Das Strafausmaß für die Gründung oder Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung lautet bis zu drei Jahre Haft, bei der kriminellen Organisationen sind es sechs Monate bis fünf Jahre. Damit sind die möglichen Strafhöhen niedriger als bei den Delikten, die die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten in der aktuellen Causa vorwirft. Ziel der Bestimmungen ist es, Personen schon wegen ihrer Mitgliedschaft an einer kriminellen Organisation zu bestrafen – und nicht erst dann, wenn man ihnen konkrete Delikte nachweisen kann. (Jakob Pflügl, Gabriele Scherndl, 18.10.2021)