Alexander Schallenberg bei seinem ersten Auftritt als Kanzler im Parlament. Neben ihm versammelten sich der grüne Vizekanzler Werner Kogler und die gesamte Regierung.

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Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger überreichte Alexander Schallenberg nach seinem ersten Auftritt im Parlament als Kanzler die Akten zur Hausdurchsuchung.

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Eine Minute und 45 Sekunden dauert es, bis der neue Kanzler im Parlament den ersten Aufruhr auslöst. Alexander Schallenberg (ÖVP), gelernter Diplomat und eben noch Außenminister, tritt kurz nach zehn Uhr Vormittag vor den versammelten Nationalrat. Am Montag wurde er als Kanzler angelobt, nun soll er eine Regierungserklärung abgeben.

"Schwierige Zeiten erfordern außergewöhnliche Schritte", setzt er an: Er hätte sich nie gedacht, einmal als Kanzler im Hohen Haus zu sprechen, und habe größten Respekt vor dem Amt: "Wenn ich heute eine Botschaft habe: Unsere Hand als neue Volkspartei ist ausgestreckt in Richtung des Koalitionspartners." Am Montag hatte er den Grünen noch ausgerichtet, dass die Tage davor kein Beispiel für Respekt und gegenseitiges Vertrauen gewesen seien.

Schallenberg erwähnt Kurz gleich zu Beginn und mehrfach. Dann setzt er zum Tadel an: Den geplanten Misstrauensantrag der Opposition gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) könne er "beim besten Willen nicht verstehen". Raunen aus den Rängen, erste Zwischenrufe. Das österreichische Parlament ist realpolitisch von der Bundesregierung abhängig, aber dennoch selbstbewusst: Die Mandatare wollen sich nicht vom Kanzler sagen lassen, welche Anträge einzubringen sind und welche nicht. Wirkung zeigt der Misstrauensantrag mangels Mehrheit der Opposition dennoch nicht.

Schallenberg bekräftigt auch im Parlament die geplante enge Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz, der Samstagabend "zur Seite" trat und am Donnerstag seinen Posten als ÖVP-Klubchef antreten wird. "Der Bundesparteiobmann hat die letzten Wahlen ganz klar gewonnen", argumentiert der Neokanzler. Ob Migrations-, Arbeitsmarkt- oder Corona-Politik: Er wolle den eingeschlagenen Weg beibehalten.

Grüne Kritik an ÖVP

Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen pflichtet manchem bei: "Wir stimmen überein, dass die Republik Österreich in dieser Situation Stabilität, Verlässlichkeit und Orientierung braucht." Zuletzt habe man, "zugegeben, einige Bewährungsproben" hinter sich gebracht, setzt er fort, um schließlich die ÖVP zu maßregeln: "Lassen wir die Justiz arbeiten, lassen wir sie unabhängig ermitteln." Kritik sei zwar zulässig. Wenn eine Anordnung zur Hausdurchsuchung von einem unabhängigen Richter genehmigt werde, sei das aber "nicht nichts" – und wenn einem das nicht passe, gebe es Rechtsmittel, dafür müsse man den Rechtsstaat nicht "attackieren".

Die Opposition beschränkt ihre Kritik nicht auf diesen einen Aspekt. "Sie wurden als Bundeskanzler angelobt und nicht als Obmann der ÖVP", richtet sich SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner an Schallenberg. Es stehe ihm nicht zu, das Parlament zu belehren und Misstrauensanträge zu tadeln, er solle dem Nationalrat Respekt zollen. "Es geht um schwerste Vorwürfe gegen Sebastian Kurz", sagt Rendi-Wagner.

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl beschwert sich darüber, dass Schallenberg das Parlament zu maßregeln versucht habe. Schon bei seiner ersten Rede am Montag habe der neue Kanzler "einen moralischen Absturz" geschafft: "Ein Begräbnis für eine millionenfache Erwartungshaltung." Reue, Einsicht, Demut hätte es gebraucht, so der blaue Klubchef: "Nichts ist gekommen, weil Sie zutiefst verhabert sind. Sie sind einer von dieser Partie."

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger urteilt kaum milder. "Sie haben es in der Hand, sich an das türkise System zu klammern und mit dem unterzugehen", sagt sie, "aber dass Sie das Land mitreißen, werden wir nicht zulassen." Während ihrer Rede übergibt sie dem Kanzler die Anordnung zur Hausdurchsuchung in der ÖVP-Zentrale, damit er die Details studieren könne. Schallenberg reagiert etwas trotzig – und legt den Papierstapel neben seinem Pult auf den Boden. Später stellt er auf Twitter klar: Die Geste sei keinesfalls als Respektlosigkeit gegenüber der unabhängigen Justiz gemeint gewesen. Sollte der Eindruck entstanden sein, tue es ihm leid.


An sich hatte die Opposition die Sondersitzung einberufen, um Kurz in der Hoffnung auf grüne Stimmen per Misstrauensantrag aus dem Kanzleramt zu wählen. Weil dieser seiner Abwahl per Rücktritt zuvorkam, war die Luft gewissermaßen draußen. Flugs bastelte die SPÖ eine dringliche Anfrage für einen anderen Adressaten: Finanzminister Blümel als "Teil des Systems Kurz" .

Antragsbegründer Kai Jan Krainer verglich die Causa um die ÖVP-Inseratenaffäre mit der blauen Ibiza-Affäre vor zwei Jahren: "Was theoretisch Strache und Gudenus besprochen haben, wurde hier praktisch umgesetzt." Jetzt gebe es aber keine Entschuldigungen, sondern nur Wehleidigkeit. Auch die "wüsten Attacken" auf die Justiz würden genauso wie das System der korrupten ÖVP nun fortgesetzt, kritisierte Krainer.

Blümel verteidigte sich ohne Neuigkeiten

Blümel hingegen offenbarte bei der Beantwortung der Fragen nicht viel Neues. Mit den mutmaßlich getürkten Umfragen aus dem Finanzministerium hatte er eigenen Angaben zufolge nichts zu tun, alleine schon weil er damals nicht Ressortchef gewesen sei. Er habe weder jemals so etwas beauftragt noch etwas davon gewusst. Er sei auch nicht von Mitarbeitern des Ministeriums auf mögliche Ungereimtheiten bei der Vergabe von Umfragen an Research Affairs bzw. der Inseratenvergabe an "Österreich" hingewiesen worden.

Überdies habe er die interne Revision am Tag nach Bekanntwerden der Vorwürfe das Ressort betreffend zu einer Prüfung beauftragt, meinte Blümel. Der Mitarbeiter des Ministeriums, gegen den ermittelt wird, sei auf eigenen Wunsch aktuell nicht mehr im Dienst, bis diese Prüfung abgeschlossen sei. Zu seinem persönlichen Mobiltelefongebrauch sagte Blümel auf entsprechende Fragen, dass er regelmäßig lösche, da er sein Diensthandy auch privat nutze und bezahle.

Die Opposition war mit den Ausführungen des Finanzministers erwartungsgemäß nicht zufrieden. FPÖ-Mandatarin Dagmar Belakowitsch vermisste ebenfalls ordentliche Antworten und warf Blümel "Überheblichkeit" vor. Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos-Trauttmansdorff wollte Blümel nicht aus der Verantwortung entlassen: Er sei ein "zentraler Player" in der Kurz-Truppe und komme sehr wohl auch in den Chats vor. Der Misstrauensantrag scheiterte dennoch, weil er nur von der vereinten Opposition unterstützt wurde. Die Grünen konnten den Antrag nicht nachvollziehen, wie Klubobfrau Sigrid Maurer zuvor erklärte. Kurz habe die Konsequenzen gezogen, und Blümel sei in diesem Fall kein Beschuldigter.

SPÖ brachte Kern/Mitterlehner-Antrag ein

Ein Thema begleitete die gesamte Sitzung, nämlich dass Kurz dereinst in der Regierung Kern/Mitterlehner den bekanntgewordenen Chats zufolge eine finanzielle Zuwendung zum Ausbau der Nachmittagsbetreuung von Kindern stoppen wollte, um der damaligen Regierungsspitze keinen Erfolg zu gönnen. Die SPÖ brachte daher am Dienstag einen Antrag für eine Kindergartenmilliarde ein, der zwar keine Zustimmung fand, dafür aber eine Konterinitiative von Türkis-Grün, mit der sich die Koalition unverbindlich für einen bundesweiten Ausbau ganztägiger Schulformen und ein dauerhaftes Finanzierungskonzept aussprach. Gleichzeitig soll massiv in die Qualität, in Öffnungszeiten und Sprachförderung in der Elementarpädagogik investiert werden, heißt es in dem Entschließungsantrag. (Katharina Mittelstaedt, Gerald John, red, APA, 12.10.2021)