Testosteron beeinflusst die Libido – aber während Frauen mit mehr Testosteron öfter masturbieren, haben sie nicht unbedingt öfter Sex mit einem Partner.
Foto: Greg Baker / AFP

Kann man am Hormongehalt ablesen, wie viele Sexualpartner eine Person hat und wie oft sie sich selbst befriedigt? Ganz so einfach ist es natürlich nicht – eine britische Forschungsgruppe hat diese Woche aber einen weiteren Beitrag für die Diskussion darüber geliefert. Sie wollte herausfinden, welche Rolle der Testosteronspiegel bei Männern für Partnerschaften und Sexualverhalten spielt – und auch bei Frauen.

Denn um sie geht es in Zusammenhang mit dem Hormon Testosteron relativ selten. Der Wirkstoff wird meistens als männliches Sexualhormon bezeichnet; sogar das Öffentliche Gesundheitsportal Österreichs, das als Herausgeber das Gesundheitsministerium führt, geht auf Testosteron nur im Kontext männlicher Sexualorgane und Hormone ein. Zwar ist es richtig, dass Testosteron bei Männern üblicherweise in höherer Konzentration vorliegt – bei ihnen fällt ein entsprechender Mangel auch häufiger auf. Prinzipiell wird das Hormon aber in allen menschlichen Körpern produziert, sofern die entsprechenden Drüsen keine Probleme bei der Herstellung haben.

Wirkung im ganzen Körper

Diese Hormondrüsen sind die sogenannten Leydig-Zwischenzellen in den Hoden, die Nebennierenrinde und die Eierstöcke: Hier wird Testosteron aus Cholesterin gebaut. Es wandert über das Blut an Zielzellen, die im ganzen Körper sitzen. So beeinflusst es nicht nur das Reifen von Spermien und vor allem in der Pubertät die Entwicklung der Geschlechtsorgane, sondern auch beispielsweise Körperbehaarung, Muskeln, Fettverteilung und das Gehirn.

Hier prägt der Wirkstoff auch unser Verhalten, wie diverse Forschungsarbeiten nahelegen. Prominent ist der Effekt, den Testosteron auf die Libido hat: Erhöhte Testosteronwerte gehen bei Männern öfter mit einem höheren Bedürfnis nach Sex einher, wobei die Beweislage in einigen Studien nicht eindeutig ist und der genaue Mechanismus unklar.

Hormon im Speicheltest

Das britische Forschungsteam, das sich nun mit Testosteron auseinandersetzte, macht auch darauf aufmerksam, dass Frauen und Testosteron bisher noch wenig untersucht wurden. Generell lag der Fokus bei Sexualhormonstudien – was weibliche Sexualität angeht – in der Vergangenheit eher auf der Fortpflanzung. Und im Hinblick auf Männer wurde zumeist untersucht, wie leistungsfähig sie sexuell sind, also wie gut und häufig sie eine Erektion bekommen können.

In der aktuellen Studie, die im Fachblatt "Journal of Sex Research" veröffentlicht wurde, musste sich die Forschungsgruppe auf eine gewisse Offenheit ihrer Probanden verlassen: Sie sammelte die Angaben, die 1.599 Männer und 2.123 Frauen zwischen 18 und 74 Jahren im Rahmen einer nationalen Umfrage vor rund zehn Jahren über ihr Sexleben machten. Diese verglich sie mit dem jeweiligen Testosteronspiegel der Personen, den sie über Speichelproben erfasste.

Keine besseren Erektionen

Gefragt wurde unter anderem nach Sexualpraktiken, Anzahl und Geschlecht der Sexualpartner in verschiedenen Zeiträumen sowie nach verschiedenen Problemen in Sachen Sexualfunktion. Das alles klärt freilich noch immer nicht über den Wirkmechanismus des Hormons auf. Die Studie liefert aber einige Ergebnisse, die bisherige Erkenntnisse unterstützen und ein facettenreiches Bild über den möglichen Einfluss von Testosteron malen.

Bei den Männern in der Stichprobe gehen höhere Testosteronwerte durchschnittlich sowohl mit mehr Masturbation als auch mit mehr Sexualpartnerinnen einher, stellte die Analyse fest. Sie hatten in den vorangegangenen fünf Jahren eher mit mehr als einer Person gleichzeitig eine sexuelle Beziehung. Und sie gaben eher an, kürzlich heterosexuellen Sex gehabt zu haben (in der Studie wurde der Zusammenhang explizit in Bezug auf vaginalen Geschlechtsverkehr festgestellt). Dafür konnten hier – im Gegensatz zu anderen Studien – keine Hinweise darauf gefunden werden, dass mehr Testosteron für eine "bessere Sexualfunktion", also verlässlichere Erektionen, sorgt.

Gemäßigter Hormoneinfluss

Bei Frauen sieht die Lage etwas anders aus. Auch hier besteht eine Korrelation zwischen höheren Testosteronleveln und Masturbation (die dann häufiger und auch in jüngerer Vergangenheit dokumentiert wurde). Bei Sex mit einem Partner gab es allerdings keinen solchen Zusammenhang. Die Ausnahme: Frauen mit höheren Testosteronwerten gaben häufiger an, bereits mit anderen Frauen Sex gehabt zu haben.

Ihre deutliche Unterscheidung zwischen Selbstbefriedigung und heterosexuellem Sex mit Partnern kann dem Forschungsteam zufolge damit zusammenhängen, dass viele Frauen diesen Praktiken verschiedene Bedeutungen beimessen und jeweils mit unterschiedlichen Motivationen an sie herangehen. Darauf weist auch Erstautorin Wendy Macdowall von der London School of Hygiene and Tropical Medicine hin. Die Ergebnisse passen zu der Annahme, dass bei Frauen hormonelle Einflüsse auf ihr Verhalten stärker von sozialen Einflüssen abgemildert werden. (sic, 12.10.2021)