Im Juli 2021 fiel die Entscheidung für die Aufnahme des österreichischen Teils des römischen Donaulimes in die Liste der Unesco-Weltkulturerbestätten. Damit ist ein großer Schritt zum Schutz unseres römischen Kulturerbes erreicht. Doch neben militärischen Anlagen an der Donau sind uns auch eine hohe Anzahl ländlicher Siedlungen im heutigen Österreich bekannt. Am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW werden zwei Projekte durchgeführt, die sich der Erforschung römischer Besiedlungsstrukturen im Hinterland der römischen Grenze widmen.

Anziehungspunkt Limes

Die römischen Provinzen waren Teil eines der flächenmäßig größten Reiche, die es je gab. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Grenzen (dem sogenannten Limes oder der "nassen Grenze") und römischen Truppen nahm schon immer eine Vorrangstellung ein. Heute wird das Interesse, das dem Leben am römischen Limes zukommt, auch durch etablierte Museen sowie deren Besucherzahlen deutlich. Der im heutigen Niederösterreich liegende Legionsstandort Carnuntum mit dem Museum Carnuntinum (Bad Deutsch-Altenburg) und der Römerstadt Carnuntum (Petronell-Carnuntum) erzielte bis 2019 jedes Jahr neue Besucherrekorde.

Forschungslücke Hinterland

Aber was spielte sich eigentlich hinter der römischen Grenze ab? Wer waren diese Personen, die in den ländlichen Gebieten eine der wesentlichen Stützen für eine intakte Donaugrenze bildeten? Dürfen wir hier nicht auch von einem dichten Siedlungsnetz ausgehen? Inwiefern waren diese Gebiete wesentlich für die Grundversorgung der Soldaten? Diesen und ähnlichen Fragen widmet man sich in der Forschungsgruppe zur "Archäologie der römischen Provinzen im lateinischen Westen" am ÖAI. In zwei Projekten steht der nordwestliche Teil der antiken Provinz Pannonien im Fokus. Heute sind das Gebiete Niederösterreichs und des Burgenlands.

Donauverlauf von den Kastellplätzen Vindobona/Wien bis nach Gerulata/Rusovce. Kartiert sind auch einige bekannte römerzeitliche Siedlungsstellen im Hinterland.
Foto: Gugl/ÖAW

Siedlungsleeres Hinterland?

Lange dachte man, dass die Römer im nordwestlichen Gebiet der späteren Provinz Pannonien in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. auf eine verlassene Landschaft trafen. Angefeuert wurde diese These von einer Überlieferung des Schriftstellers Plinius. Dieser schreibt für diese Region von einer "deserta boiorum". Der Begriff "deserta" wurde lange als "entvölkertes Gebiet" (der keltischstämmigen Boier, Anm.) gedeutet. Außerdem sind vorrömische Siedlungsspuren (das heißt der späten Eisenzeit) in diesem Gebiet kaum bekannt. Auch mangelnde wissenschaftliche Auseinandersetzung führte dazu, dass man heute wenig über Siedlungen im Hinterland der nordwestpannonischen Grenzregion weiß.

Quellen zur Rekonstruktion

Heute ist klar, dass Plinius über eine "Weide" oder "Tiefebene" schrieb. Auch zahlreiche Zufallsfunde im Hinterland deuten auf römische Siedlungen und Gräberfelder hin. Hinzu kommen Grabsteine, wie sie heute im Landesmuseum Eisenstadt oder einem kleinen Freilichtmuseum in Leithaprodersdorf zu besichtigen sind. Diese belegen durch Inschriften und Darstellungen die Existenz von Siedlern keltischen sowie germanischen Ursprungs. Im Vorfeld von Bauprojekten finden über das österreichische Bundesdenkmalamt oft archäologische Ausgrabungen statt. Hier werden auch immer wieder römische Siedlungen und Gräberfelder aufgedeckt. Auswertungen dieser Ausgrabungen, wie sie am ÖAI stattfinden, helfen, das antike Siedlungsbild und die Bevölkerungszusammensetzung zu rekonstruieren.

Grabstele des Super und der Exsuperata aus Leithaproderdorf. Die Dame trägt typisch regionale Bekleidung.
Foto: Österreichisches Bundesdenkmalamt/Ortolf Harl

Potzneusiedl – ein multikulturelles Mosaik?

Bei Potzneusiedl im Burgenland wurde eine einzigartige Körpergrabgruppe freigelegt. Manche der Bestatteten wurden bereits in den ersten Jahrzehnten n. Chr. beigesetzt. Damit datieren diese in die früheste Phase der Provinzgeschichte. Die Funde in den Gräbern deuten auf einen Austausch mit (germanischen) Regionen nördlich der Donau und südlichere Gebiete (Oberitalien) hin. Auch Anklänge an späteisenzeitliche Traditionen finden sich bei manchen Keramik- und Fibelbeigaben. Dieses multikulturelle Mosaik wird mithilfe interdisziplinärer Expertise entschlüsselt. Eine Anthropologin beleuchtet pathologische Degenerationen und das Sterbealter der Personen. Analysen der Ancient DNA klären Verwandtschaftsverhältnisse und geschlechtsspezifische Fragen. Die Frage nach der Herkunft der Bestatteten stellt einen der interessantesten Aspekte dar. Gerade für eine Zeit, über die uns in der untersuchten Region wenig bekannt ist.

Augenfibel aus Potzneusiedl. Häufig sind diese in germanischen Fundzusammenhängen.
Foto: St. Schwarz/ÖAW-ÖAI

Siedlungsfunktion am Beispiel Leithaprodersdorf

Ebenfalls im Burgenland liegt Leithaprodersdorf, wo eine mehrphasige Siedlungsstelle entdeckt wurde. Sie wird im Rahmen eines FWF-Projekts archäologisch untersucht, um Kenntnisse über die Siedlungsstrukturen und Wirtschaftsweisen zu gewinnen. Auch das Gräberfeld ist bekannt und wurde bereits ausgewertet. Dabei wurde deutlich, dass der Bestattungsplatz gerade am Anfang sehr "unrömisch" geprägt war. Im 1. Jahrhundert n. Chr. wurde zum Beispiel noch in Grabhügeln bestattet, erst ab der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. in mediterran geprägten Grabmonumenten. Diese Auffälligkeiten werfen die Fragen auf, ob auch die Siedlung lokal geprägt war.

Leithaprodersdorf. Blick über die Grabungsfläche mit römerzeitlichen Siedlungsresten.
Foto: Österreichisches Bundesdenkmalamt
Leithaprodersdorf. Kreisrunde Grabhügelreste im Bodenbefund.
Foto: Österreichisches Bundesdenkmalamt

Interdisziplinäre Forschungsmethoden

Durch Fundanalysen werden für Leithaprodersdorf Aussagen über die Nutzungszeit der Siedlung und deren Funktion möglich sein. Eine Archäozoologin untersucht derzeit die Tierknochen aus Leithaprodersdorf und Potzneusiedl. Da Tierrassenspektrum und Wuchsgröße nach der römischen Eroberung oft römisch beeinflusst wurden, könnte auch in Leithaprodersdorf ein Wandel von einheimischen zu "importierten" Tierrassen stattgefunden haben. Spuren an den Knochen liefern Aussagen über kulturell unterschiedliche Schlachtweisen und Weiterverarbeitung der Tiere.

Kalzinierte Schweineknochen aus Potzneusiedl aus einer Brandbestattung.
Foto: K. Saliari/NHM

Durch geophysikalische Messungen soll die Größe der Siedlung erfasst werden. Im Zuge des FWF-Projekts findet somit erstmals eine umfassende Analyse einer ländlichen Siedlung Nordwestpannoniens statt. Damit wird der Rekonstruktion der antiken Lebenswelt, die sich sicher nicht nur an der militärisch geprägten Donaugrenze abspielte, ein weiterer Baustein hinzugefügt. (Lucia Formato, Konstantina Saliari, 14.10.2021)