Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, analysiert in seinem Gastkommentar die geplante Steuerreform.

Im politischen Gedächtnis scheint es, nach allen Wirren der vergangenen Woche, eine Ewigkeit her zu sein. Doch es sind erst zehn Tage seit der Präsentation der ökosozialen Steuerreform durch die Bundesregierung vergangen.

Der Spagat wurde intensiv diskutiert: Da sind einerseits die türkisen Versprechungen einer Steuerentlastung für Unternehmen, aber auch für untere Einkommensgruppen. Dabei wurden Bedenken laut, dass die Maßnahmen dennoch unsozial seien. Dann gibt es die grünen Strategien, die insbesondere über einen Preis von zunächst 30 Euro pro emittierte Tonne CO2 ab Mitte 2022 und dann ansteigend auf 55 Euro pro Tonne bis zum Jahr 2025 zur Ökologisierung der Wirtschaft beitragen sollen. Benzin, Heizöl und Erdgas werden teurer und mit einem Öko-Bonus ausgeglichen. In vielen Kommentaren wurde der Lenkungseffekt des relativ geringen Preises auf CO2-Emissionen kritisiert.

Einmal mehr im Zentrum der Kritik der Opposition: Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP). Dieses Mal geht es um seine Budgetrede im Nationalrat.
Foto: Heribert Corn

Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen den Koalitionspartnern beim Projekt der Steuerreform: Sie setzt ausdrücklich auf Wirtschaftswachstum – mehr oder weniger grün. Das wird auch heute, Mittwoch, bei der Budgetrede von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) das Wörtchen sein, das alles ermöglichen, versöhnen, kaschieren soll. Die Antwort auf die Finanzierungsprobleme der Steuerreform lautet: Wachstum (drei Rufzeichen).

Doch zu den drei Rufzeichen kommen drei Bedenken:

  • Erstens gibt es jede Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass Wirtschaftswachstum mehr Ressourcen- und Energieverbrauch bedeutet. Auch bei grünem Wachstum – etwa durch die Förderung von Elektroautos – steigt der Zugriff auf Ressourcen. Künftig muss im Zeichen der Klimakrise viel sorgfältiger diskutiert werden, in welchen Bereichen Ressourceneinsatz sinnvoll und Co2-Emissionen akzeptabel sind und in welchen nicht. Wichtig ist etwa ein klimapolitisch notwendiger Rückbau in bestimmten Branchen wie der Automobilindustrie. Bei gleichzeitiger sozialer Abfederung der Beschäftigten, die von diesen Veränderungen betroffen sind.
  • Zweitens werden die Bedingungen für Wachstum durch die Klimakrise noch prekärer und unsicherer. Wir fangen erst an zu erahnen, wie sich in den kommenden Jahren durch Trockenheit, Starkregen und große Temperaturschwankungen die Bedingungen des Lebens und Wirtschaftens hierzulande ändern werden. Wer wird wo investieren? In einem Österreich, in dem die Klimaerhitzung deutlich über dem internationalen Durchschnitt liegen wird? Eine gegen Krisen resiliente Wirtschaft müsste sich von den Wachstumszwängen befreien. Doch Letztere gehen mit Profitinteressen und damit mit wirtschaftlicher Macht einher. Die Politik muss das viel klarer sehen und sich mit den klimafeindlichen Interessen anlegen.
  • Ein dritter Aspekt spielt in den wirtschaftspolitischen Diskussionen kaum eine Rolle, ist aber eng verwoben mit der Orientierung an Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Österreich lebt wie andere Länder des Globalen Nordens auch davon, dass Menschen und Natur in anderen Ländern ausgeplündert und zerstört werden. Gemeinsam mit dem deutschen Politikwissenschafter Markus Wissen bezeichne ich das als "imperiale Lebensweise", also den alltäglichen und permanenten Ausgriff in andere Regionen, wenn Handys und Kleidung gekauft und genutzt, mit Futtermitteln produziertes Fleisch konsumiert, mit metallischen Ressourcen gebaute Autos gefahren werden.

Immer mehr

Das hat viel mit Unternehmensinteressen und staatlicher Politik zu tun, aber auch mit einer Alltagsorientierung, dass vermeintlich von allem immer mehr da sein muss. Das wird von einer mächtigen Werbeindustrie angefeuert. Notwendig wäre also, den ökosozialen Umbau unserer Wirtschaft jenseits des Wachstumszwangs in eine zunehmend solidarische Weltordnung einzubinden.

Das alles wird übergangen in der Nebelkerzen-Rhetorik, dass die Probleme mit Wirtschaftswachstum eher gelöst würden. Egal welches Problem, welche Frage, die Antwort lautet: Wachstum! Es handelt sich um einen ungedeckten Scheck, der zudem ökologisch zerstörerisch und international unsolidarisch ist. Die Steuerreform wird so auf Sand gebaut.

Einen ganz anderen Ansatz wählen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die gerade das Buch "Klimasoziale Politik. Eine gerechte und emissionsfreie Gesellschaft gestalten" publiziert haben. Entgegen der konfliktscheuen Regierungspolitik, die es allen recht machen will und deshalb zu keinem weitreichenden Klimaschutz kommt, wird hier ein doppelter Perspektivwechsel vorgeschlagen. Es geht nicht darum, ökologische und soziale Fragen einander gegenüberzustellen. Im Gegenteil: In den Beiträgen zum Buch wird deutlich, dass Armut, schlechte Arbeitsbedingungen, Ungleichheit, Krankwerden, ungesunde Nahrungsmittel sehr eng mit ökologischen Fragen verbunden sind. Der Autoverkehr zerstört nicht nur das Klima, sondern belastet auch die Menschen mit wenig Einkommen stärker, da sie an den lauten und dreckigen Straßen leben müssen, weil dort die Miete geringer ist.

Interessen der Mächtigen

Die provokante Perspektivverschiebung der Autorinnen und Autoren lautet: Nicht "sozial" gegen "ökologisch" auszuspielen, sondern die Interessen der Mächtigen und Reichen stehen gegen die Bevölkerungsmehrheit, die von den Klimagefährdungen mehr und mehr bedroht ist. Vielleicht kann ein solch anderer Blick auf die Krisen und ihre Bearbeitung in eine nächste, den sozialen Problemen und der Klimakrise angemessene ökosoziale Steuerreform einfließen. (Ulrich Brand, 13.10.2021)