"Unser Haus braucht Hilfe", schrieb ein Hausbewohner 2018 auf einen Zettel und hängte ihn neben die Eingangstür. Sein Zuhause, ein Gründerzeithaus in der Ramperstorffergasse im fünften Bezirk, hatte kein intaktes Dach mehr, weil ein Bauträger den Dachboden ausbauen wollte, mit den Arbeiten aber nicht vorankam. Die Folge: Wasserflecken und Schimmel in den Wohnungen unter der Baustelle.

Mit dem schnell geschriebenen Zettel begannen die Wohnungseigentümer aber, sich im Umgang mit wechselnden Eigentümern auf dem Dach zu vernetzen. Sie alle hatten eine Wohnung gekauft – mit dem Versprechen, dass der Eigentümer des Dachbodens diesen ausbaut und sich danach um Fassade, Stiegenhaus und den Aufzug kümmert. Darauf warten sie bis heute.

Die Königsdisziplin

Das Haus zeigt, wie kompliziert der Weg vom staubigen Dachboden zu Wohnraum ist: für Bauträger, die auf engem Raum mit alter Gebäudesubstanz zurande kommen müssen. Für Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses, die unter der Baustelle in Ruhe leben möchten. Und für Käuferinnen und Käufer, die vom freien Blick über die Stadt träumen und ihr Erspartes in eine Wohnung stecken, die nicht immer hält, was sie auf Renderings verspricht.

Gebaut wird derzeit auf vielen Dächern. 700 bis 900 Bewilligungen werden laut Baupolizei relativ konstant pro Jahr ausgestellt. Corona -bedingt gab es im letzten Jahr weniger Baustellen. Nun sind es mehr. Und weil im Zentrum schon viele Dächer ausgebaut wurden, stehen die Kräne mittlerweile auch außerhalb des Gürtels.

Foto: CPI Immobilien

Auswahl gibt es also genug. Beim Kauf einer Dachgeschoßwohnung ist aber Vorsicht geboten. Der Ausbau wird von so gut wie allen, die davon eine Ahnung haben, als "Königsdisziplin" bezeichnet. Auf einem Dach kann viel schiefgehen.

Auch Unternehmerin und Instagrammerin Madeleine Darya Alizadeh alias Dariadaria hat damit Erfahrungen: Sie hat 2020 eine Wohnung gekauft. "Alles außer Dachgeschoß" war ihre Vorgabe. Letztendlich verliebte sie sich trotzdem in eine Wohnung unterm Dach. Nach der ersten Verliebtheit kamen aber die Mängel zum Vorschein. Auf der Terrasse gebe es gröbere Probleme, andere seien optischer Natur. Alizadeh hat sich einen Anwalt genommen.

Dampfbremse gesucht

Experten überraschen solche Erzählungen nicht. Die baulichen Herausforderungen sind ganz oben enorm: Das beginnt bei der Abdichtung des Gebäudes, damit bei den Arbeiten kein Wasser eintritt. Ein häufiges Problem ist auch die Luftdichte. Der Bausachverständige Günther Nussbaum, bekannt aus der ATV-Sendung Pfusch am Bau, macht sich daher immer sofort auf die Suche nach der Dampfbremse, indem er Steckdosen aufschraubt und in Einlässe für das Licht lugt. Die Dampfbremse verhindert, dass warme Raumluft in die Dämmung kommt und Schimmel verursacht.

Noch ein Thema ist laut dem Bausachverständigen Remeco Rainer Reichel der Boden: "Weil die Räume so hoch wie möglich sein sollen, wird gelegentlich beim Estrich gespart." Ist dieser nur drei bis vier Zentimeter dick, "reißt er irgendwann". Dann brechen Fliesen und der Parkettboden. "Das kann man nur schlecht sanieren", sagt Reichel.

Für Unmut sorgt bei Käuferinnen und Käufern auch die Hitze, die direkt unter dem Dach extrem sein kann: "Wenn es keinen Außenrollladen bei 28 Fenstern gibt, ist das ein schlechtes Zeichen", sagt Nussbaum. Gegen die Überhitzung helfen zwar schwere Dämmstoffe, "meist wird aber billige Mineralwolle genommen. Oft werden diese Sparmaßnahmen mit einer Klimaanlage kompensiert." Übrigens auch bei sehr hochpreisigen Wohnungen.

Das ernüchternde Resümee des Bausachverständigen: Von zehn Wohnungen im Dachgeschoß sind nur zwei zumindest so weit in Ordnung, "dass einem der Baufehler nicht irgendwann auf den Deckel fällt". Die übrigen acht hätten wesentliche bautechnische Fehler. "Und bei fünf von zehn muss man vom Kauf abraten." Nicht weil der Fehler nicht zu beheben wäre, sondern weil der Bauträger nicht fähig oder motiviert zur Behebung sei.

Nette Bauarbeiter

Oft fehlt es an der Erfahrung. Auch beim Rechnen: Angesichts der hohen Preise, die für Rohdachböden verlangt werden, muss laut Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher in der Wirtschaftskammer, extrem knapp kalkuliert werden: "Da werden die Baukosten unterschätzt."

Noch ein Problem: Es gibt fast nur noch kleine Dachböden, die für große Firmen nicht interessant sind. Daher zieht es kleine Unternehmen aufs Dach, die noch kleinere Subfirmen beauftragen. "Es braucht gute Firmen und eine Bauaufsicht", sagt Nussbaum. "Der kleine Bauträger wird sich das sparen und den Polier zum Nachschauen vorbeischicken." So passieren die Fehler.

Bauträgersprecher Ulreich, der selbst Dachböden ausbaut, kennt auch die juristischen Probleme: So braucht, wer das Dachgeschoß umbauen will, das Okay sämtlicher Eigentümerinnen und Eigentümer im Haus. Bis die neuen Wohnungen im Dach bewilligt und auch im Grundbuch eingetragen sind, können bis zu zehn Jahre vergehen.

Der Ausbau eines Dachgeschoßes hat auch eine soziale Komponente: Bewohnerinnen und Bewohner der unteren Stockwerke müssen mit Schmutz, Lärm und im schlimmsten Fall Schäden rechnen. Hier braucht es laut Ulreich offene Kommunikation – und freundliche Bauarbeiter, die im Stiegenhaus der alten Dame auch einmal ihre Tasche nach oben tragen.

Das, was auf den Dächern der Stadt gerade passiert, kann man aber auch abseits von Baumängeln und Wasserschäden kritisch sehen. Nicht nur weil die Aufbauten architektonisch nicht immer ins Bild passen. "Die Luxuswohnungen, die oft entstehen, stehen in keiner Relation", sagt die Wiener Architektin Gabu Heindl. Sie ist für das Aufstocken des Bestands, aber anders: "Ich breche eine Lanze dafür, die oberste Ebene der Stadt kollektiv zu nutzen." Beispielsweise für Gemeinschaftsräume und -gärten, für Bienen, kollektive PV-Anlagen oder für sozialen Wohnbau.

Gute Recherche

Doch es gibt auch jene Dachwohnungen, die sich einfügen – und gute Wohnqualität bieten. Nicht zuletzt werden auch Wiener Gemeindebauten in den letzten Jahren verstärkt ausgebaut. 250 Wohnungen sind in den letzten sieben Jahren entstanden, weitere 480 Wohnungen unterm Dach sind geplant.

Klar ist: Wer von der Dachgeschoßwohnung träumt, muss seine Hausaufgaben machen. Der Bauträger sollte durchleuchtet, mit Käufern bisheriger Projekte gesprochen werden. Auch ein Bausachverständiger ist eine gute Investition. Zu Recherche rät auch Madeleine Alizadeh. Ob sie ihre Wohnung noch einmal kaufen würde, kann sie nicht sagen. Künftig würde sie aber eher mieten und zur Anlage eine andere Wohnung kaufen: "So ist man weniger emotional involviert."

Zurück in die Ramperstorffergasse im fünften Bezirk. Hier wird seit dem Frühjahr und einem weiteren Eigentümerwechsel wieder gearbeitet. Der neue Herr am Dach ist zugleich ein alter Bekannter: Es ist eine Projektgesellschaft von Lukas Neugebauer, Eigentümer des Novomatic-Forums. Er war bereits in der Vergangenheit einmal Eigentümer. Die Wohnungen seien mittlerweile "zu einem guten Quadratmeterpreis" verkauft. Seit dem Eigentümerwechsel, betont Neugebauer, ist es zu keinen weiteren Wassereintritten gekommen, was die Baupolizei bestätigt. Neugebauer verspricht: Im Februar 2022 werde das Projekt inklusive Stiegenhaus, Fassade und Lift fertig sein.

Irgendwo im Haus im fünften Bezirk lässt sich jemand beim Lokalaugenschein die gute Laune nicht nehmen und spielt fröhlich Trompete. Auch im Rest des Hauses macht sich vorsichtiger Optimismus breit, dass die Wohnungen auf dem Dach fertig werden und im Haus endlich Ruhe einkehrt. Zumindest einen Vorteil hatte die Sache. Die Hausgemeinschaft ist zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengerückt. Dabei hat ihr das Haus geholfen. (Franziska Zoidl, 13.10.2021)