Kollektive Ängste und die Illusion, eine einfache Erklärung für komplexe Probleme zu bieten, befeuern Verschwörungsmythen online wie auch im persönlichen Gespräch.

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In komplizierten Zeiten ist es wohl besonders verlockend, auf einfache Welterklärungen zu vertrauen. Vermutlich grassieren deshalb derzeit Verschwörungstheorien so virulent. "Man sollte aber lieber von Verschwörungsmythen sprechen", mahnt Kathrin Stainer-Hämmerle, Professorin für Politikwissenschaft an der FH Kärnten. "Theorie klingt dafür nämlich schon zu wissenschaftlich."

Und das wertet eben Erklärungszusammenhänge automatisch begrifflich auf, die eigentlich bloß ein Sammelsurium von unbelegten Mutmaßungen und purem Humbug sind. Wie man solche Verschwörungserzählungen wiederum mithilfe politischer Aufklärung abwertet und ihre gefährliche Wirkung entschärft, damit beschäftigte sich vergangene Woche in Wien die 12. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Politische Bildung (IGPB).

Desinformation aus strategischer Absicht

"Wir haben bereits vor eineinhalb Jahren beschlossen, eine Konferenz zu diesem Thema zu veranstalten. Aber aufgrund von Covid-19 ist es dann einfach immer wieder zu Verschiebungen gekommen", berichtet Organisatorin Stainer-Hämmerle.

"Jedoch hat dieses Thema in der Zeit nichts an Aktualität verloren — im Gegenteil. Und wir sehen an vielen Orten, wie sehr Verschwörungsmythen die Demokratie an ihre Grenzen bringen können. In vielen Gesprächen — auch an der Universität — merkt man, wie sich in unseren Alltag ein an allen Informationen nagender Zweifel geschlichen hat."

Dabei sei gegen eine gewisse Skepsis noch gar nichts einzuwenden und in demokratischen Gesellschaften sogar zu begrüßen: "Uns allen stehen mehr Informationen zur Verfügung. Das macht uns natürlich ein wenig misstrauischer gegenüber Autoritäten, denen man daher nicht mehr vorbehaltlos glaubt. Aus Sicht der Demokratie ist das durchaus ein Fortschritt."

Aber gleichzeitig sei es durch die digitalen Medien möglich geworden, dass Meinungen ungeachtet des Arguments oder der Expertise der jeweiligen Person plötzlich ein großes Gewicht bekommen. Immer häufiger wird aus strategischer Absicht Desinformation gestreut, und das führt zu einer problematischen Entwicklung: Das Vertrauen in demokratische Institutionen geht mehr und mehr verloren.

Mythen entlarven

Die wesentliche Frage für die politische Bildung ist daher laut Stainer-Hämmerle: "Wie schafft man es, mit diesem Gewinn von pluraler und auch unabhängiger Information so umzugehen, dass man dabei trotzdem Fake-News und Verschwörungsmythen als solche erkennt und sich nicht in Diskussionen darüber verstricken lässt?"

Um einen Verschwörungsmythos als solchen zu erkennen, hilft es womöglich zu wissen, wie derartige Erzählungen strukturiert sind. Die renommierte Sprachsoziologin Ruth Wodak, viele Jahre als Professorin an den Universitäten Wien und Lancaster tätig, versuchte sich in ihrem Vortrag an einer Einordnung am Beispiel der jahrhundertealten antisemitischen Spekulationen um eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Denn: "Es zeigt sich, dass alle möglichen Verschwörungsmythen bestimmte Muster haben, die sich auf diese archaischen antisemitischen Verschwörungsmythen zurückführen lassen."

Muster erkennen

Laut Wodak ähneln sich alle Verschwörungstheorien meist in diesen Punkten: Eine Gruppe verschwört sich im Geheimen, wofür es scheinbare faktische Beweise gibt, die das zu stützen scheinen, welche sich bei näherer Betrachtung jedoch schnell als unwahr entpuppen.

Dem liegt wiederum ein Weltbild zugrunde, das klar in Gut und Böse unterteilt, und in dem nichts von ungefähr geschieht. Zudem lassen sich die "Theorien" meist in zwei Kategorien unterteilen — in systematische und ereignisabhängige Verschwörungen: Entweder versucht eine Gruppe im Geheimen — seien es Illuminaten oder Reptilienmenschen –, die Herrschaft über eine Region oder gar die ganze Welt zu erlangen.

Oder die Verschwörer sind für eine ganz bestimmte Handlung verantwortlich — wie etwa in den Verschwörungsmythen um die Ermordung von John F. Kennedy oder 9/11. Durchaus werden beide Kategorien auch immer wieder verknüpft. Wer aber wiederum diese vermeintlichen Zusammenhänge nicht sehe oder nicht glauben wolle, gehöre für die Verschwörungstheoretiker zur von den Strippenziehern betäubten, in Schach gehaltenen Masse. Im englischsprachigen Raum ist von "sheeple" die Rede, deutschsprachige Anhänger solcher Theorien sprechen von "Schlafschafen".

Dämonische Feindbilder

Derartige Erzählungen seien Wodak zufolge vor allem das Produkt kollektiver Ängste: "Soziale und politische Probleme werden einem Feind zugeschoben, der den angeblich normalen Verlauf der Geschichte auf eine gewisse Weise verhindert." In diesen Vorstellungen halten dann Milliardäre wie Bill Gates oder George Soros die eigentlichen Entscheidungsträger wie Marionetten in der Hand.

Solche Sündenböcke werden aber nicht immer nur unter den oberen Zehntausend gefunden: "Frustrationen und Ängste werden auch gegen Minderheiten und Schwächere, die sich nicht wehren können, externalisiert. Damit werden die eigenen Probleme verharmlost und andere Menschen herabgewürdigt."

Diese diskursive Entmenschlichung geschieht dann ebenfalls in der Symbolik: Das Feindbild wird mit dämonischen, gar satanischen Zügen gezeichnet oder als eine Art Infektion beschrieben. Somit haben gerade in der Zeit des Coronavirus Verschwörungstheorien Konjunktur: Mensch neigen in der Regel dazu, ihre Ängste zu verdrängen, was derzeit aber besonders schwerfalle, da man ständig mit Gefahren konfrontiert sei: "Man will irgendwie mit dieser großen Unsicherheit umgehen und möchte eine Erklärung haben, an der man sich anhalten kann." So haben Verschwörungsmythen auch einen religiösen Charakter. Aber glauben heißt eben nicht wissen. (Johannes Lau, 14.10.2021)