Die letzten Wollhaarmammuts starben vor rund 4000 Jahren aus. Ihre genetischen Hinterlassenschaften nähren die Idee, sie wieder zurückzuholen.

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Ben Lamm (links) und George Church wollen noch in diesem Jahrzehnt ein erstes "Mammufanten"-Kalb erzeugen.

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Die Geschichte klingt nach Hollywood: Ein für seine unkonventionellen Ideen berüchtigter Genetik-Pionier mit Rauschebart und ein junger, finanzkräftiger Entrepreneur gründen ein Start-up, um das vor Jahrtausenden ausgestorbene Wollhaarmammut von den Toten zurückzuholen. Ihr Ziel: Mithilfe uralter Mammut-DNA, heute lebender Elefanten und genetischer Werkzeuge sollen die eiszeitlichen Riesen im Labor neu gezüchtet und in der Arktis ausgewildert werden. Die Mammutherden des 21. Jahrhunderts sollen nicht nur die Biodiversität erhöhen und das arktische Ökosystem retten, sondern auch einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten.

Ob sich schon jemand die Filmrechte für diese gewagte Idee gesichert hat, ist unklar. Fest steht, dass es sich dabei nicht um reine Fiktion handelt: Vor wenigen Wochen präsentierten der Harvard-Genetiker George Church und der Unternehmer Ben Lamm die Pläne für ihr buchstäbliches Mammutprojekt der Öffentlichkeit. Etliche Investoren sind eingestiegen, die eigens gegründete Firma Colossal hat umgerechnet 13 Millionen Euro eingesammelt. "Wir hoffen, dass das erste Kalb in vier bis sechs Jahren zur Welt kommen wird", sagt Lamm zum STANDARD. Das sei ambitioniert, liege aber im Bereich des Möglichen.

Neu ist die Idee, ausgestorbene Arten wie das Mammut wiederzubeleben, nicht. Revolutionäre Fortschritte in der Genetik ermöglichten es in den vergangenen Jahrzehnten, das Erbgut von immer mehr Lebewesen zu entschlüsseln. Schnell dehnte sich das molekularbiologische Interesse auch auf alte DNA aus. Dank häufiger Funde gut konservierter Mammutkadaver im arktischen Permafrost entpuppten sich die eiszeitlichen Dickhäuter als interessante Studienobjekte.

Hybrider Mammufant

Aus DNA-Fragmenten hatten Forscher im Jahr 2008 bereits 70 Prozent der Erbinformationen des Wollhaarmammuts rekonstruiert, dessen letzte Vertreter vor rund 4000 Jahren verschwanden. Seither wurde das Genom immer weiter vervollständigt. Dadurch konnte gezeigt werden, dass der Asiatische Elefant der nächste lebende Verwandte des Wollhaarmammuts ist: Seine DNA stimmt zu 99,6 Prozent mit der des Mammuts überein.

Durch den Erbgutvergleich lassen sich auch Gene identifizieren, die das Wollhaarmammut vom heutigen Elefanten unterscheiden. "Unser vorrangiges Ziel ist es, diese Mammutgene zurückzubringen", sagt Church. "Teilweise ist uns das bereits gelungen." Der Molekularbiologe, der eine Doppelprofessur an der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) innehat, war einst Mitinitiator des Human Genome Project, das zum Ziel hatte, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln. Das ist längst erreicht, auch Churchs eigenes Genom wurde vollständig entziffert.

Mit seinem Team erforscht er nun schon seit Jahren die genetischen Besonderheiten der Mammuts. Rund 60 Gene sollen mit wichtigen äußeren Merkmalen und der Kälteanpassung der ausgestorbenen Tiere in Zusammenhang stehen. Sie dürften für die Behaarung, eine dicke Fettschicht und vergleichsweise kleine Ohren gesorgt haben.

Für ein geklontes Mammut reicht das fragmentierte arktische Genmaterial bisher allerdings nicht aus. 2015 ventilierte Church die Idee, spezifische Mammutgene mithilfe neuer molekularbiologischer Werkzeuge wie der Gen-Schere CRISPR/Cas9 in Elefanten einzuschleusen und so hybride "Mammufanten" zu erschaffen, die in Aussehen und Eigenschaften nahe an ihren ausgestorbenen Vorfahren dran wären.

Ökologischer Impakt?

Bislang war das allerdings ein Nebenprojekt des umtriebigen Wissenschafters, das zwar für Schlagzeilen sorgte, aber nur über bescheidene finanzielle Mittel verfügte. Das hat sich nun geändert: Ben Lamm, der zuvor eine auf künstliche Intelligenz spezialisierte Firma gegründet hatte, schlug Church eine Zusammenarbeit vor. Ein gemeinsames Unternehmen soll die Umsetzung von Churchs Plänen beschleunigen und neue Technologien hervorbringen, die auch in anderen Bereichen zum Einsatz kommen könnten.

Church und Lamm behaupten, dass ihr Projekt großes Potenzial für den Arten- und Klimaschutz habe. Die Methoden zur Erschaffung von Mammufanten ließen sich adaptieren und könnten helfen, akut vom Aussterben bedrohte Spezies zu retten. Zudem könnte die Auswilderung von kälteresistenten Dickhäutern in einer fast unbewohnten Region bedrohten Elefanten eine alternative Zukunft bieten.

Vor allem aber, argumentiert Church, könnten umherstreifende Herden das rapide Auftauen des Permafrosts in der Arktis verlangsamen, das zu einer Freisetzung klimaschädlicher Treibhausgase aus dem Boden führt. Tatsächlich hat sich die Landschaft der arktischen Tundra seit dem Verschwinden der Mammuts und anderer Großsäugetiere enorm verändert: Wo einst ausgedehntes Grasland dominierte, ist heute vor allem Moos zu finden.

Ethische Bedenken

Manche Biologen nehmen an, dass sich die eiszeitliche Grassteppe durch die Anwesenheit großer Pflanzenfresser teilweise wiederherstellen ließe und Erosion und Auftauen der Böden verlangsamt werden könnten. Unumstritten ist das nicht – und die Ansage, Mammutelefantenherden auszuwildern, schon gar nicht. Die Paläogenetikerin Beth Shapiro von der University of California Santa Cruz ortet große ethische und wissenschaftliche Probleme. Sollen wir eine Spezies zurückholen, über die wir so wenig wissen? Wer entscheidet, wo und wie sie lebt? Und wie genau geht die künstliche Aufzucht dieser vermutlich hochsozialen Tiere vonstatten? Sie verfolge Churchs Pläne interessiert, sei aber skeptisch, ob sie sich umsetzen ließen, sagte Shapiro zur New York Times.

Kritiker sehen auch ein potenzielles Problem in der privaten Finanzierung der Unternehmung. Die Investoren wollen schließlich Geld verdienen – ob mit den Tieren selbst oder mit der Technologie, die ihre Zucht ermöglicht. Wer stellt sicher, was damit geschieht? "Jede Technologie kann für etwas Schlechtes verwendet werden", antwortet Church auf diese Frage. "In diesem Fall halte ich das für unwahrscheinlich, wir sind aber offen für Kritik."

Künstliche Gebärmutter

Der Genetiker betont, eng mit Bioethikern und Naturschutzbiologen zusammenzuarbeiten und das Tierwohl genau im Blick zu haben. Ursprünglich wollte er im Labor erzeugte Hybridembryonen in weibliche Elefanten einpflanzen, die sie als Leihmuttertiere austragen sollten. Diese Idee wurde wieder verworfen – auch aufgrund möglicher Risiken für die Elefanten. Stattdessen wird nun an einer künstlichen Gebärmutter aus Stammzellen gearbeitet, in der die Tiere heranwachsen sollen.

Versuche an Mäusen und Lämmern haben in der Vergangenheit gezeigt, dass das prinzipiell denkbar ist. Das Mammut-Projekt hat aber auch in dieser Hinsicht eine andere Dimension: Eine künstliche Gebärmutter müsste einen auf bis zu 100 Kilogramm heranwachsenden Fötus fast zwei Jahre lang beherbergen. "Ich behaupte nicht, dass das einfach ist", sagt Church. "Aber unsere Fortschritte sind groß." (David Rennert, 13.10.2021)