Linux-Distributionen gibt es wie Sand am Meer – und um ehrlich zu sein, ist dieses Wortbild nur leicht übertrieben. Keine steht aber so sehr für den Desktop wie Ubuntu, auch wenn die Konkurrenz von Linux Mint, Manjaro, Pop! OS oder auch Fedora in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt hat, was die Popularität anbelangt. Trotzdem: Gerade für Einsteiger bleibt Ubuntu eine populäre Wahl. Und genau von dieser gibt es nun eine neue Ausgabe.

Die neue Version ist da

Mit Ubuntu 21.10 "Impish Indri" nimmt Ubuntu nicht nur zentrale Änderungen am Desktop vor, auch bei der Softwareausstattung beschreitet man neue Wege – und zwar nicht gerade unumstrittene. Aber der Reihe nach. Die neue Version bringt das, was beim Vorgänger noch verschoben wurde, nämlich die Integration von Gnome 40, also jenes Desktops-Projekts, auf dem die Oberfläche von Ubuntu basiert.

Ubuntu 21.10 stellt nicht viel auf den Kopf.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die Ubuntu-Implementierung zeigt dabei gleich, warum die Entwickler der Distribution mit der Aufnahme lieber etwas zugewartet haben – nimmt man doch einige Anpassungen vor. Zur Erläuterung: Mit Gnome 40 ging ein grundlegendes Redesign des Desktops einher. So sind nun die virtuellen Desktops horizontal statt vertikal angeordnet. Vor allem aber wurde jene Aktivitätsübersicht, über die sowohl Programme gestartet als auch die Desktops verwaltet werden, umgestaltet.

Viele Anpassungen

Ubuntu übernimmt das alles nun nur so halb, zum Teil auch mit durchaus guten Gründen. Während der Default-Gnome beim Log-in direkt in die Aktivitätsübersicht startet, verzichtet Ubuntu darauf, weil man ohnehin fix ein am linken Bildschirmrand platziertes Dock verwendet, das es bei Gnome nicht gibt. Damit geht einher, dass die favorisierten Programme auch weiterhin in der Aktivitätsübersicht links bleiben, während diese bei Gnome am unteren Bildschirmrand angeordnet sind.

Alles irgendwie nachvollziehbar, es führt aber auch dazu, dass eine Eigenheit von Ubuntu mit dem Update noch weniger Sinn ergibt: der links unten im Dock angebrachte Knopf zum Aufruf der Anwendungen – führt dieser doch jetzt zu einer kombinierten Ansicht, wo auch die Workspaces verwaltet werden können. Damit ist dann aber die Trennung vom Aktivitätsknopf links oben – der zu einer größeren Workspace-Ansicht führt – noch weniger logisch, als es bisher schon der Fall war. Bei Gnome sind das zwei verbundene Ansichten, die konzeptionell wie unterschiedliche Zoomstufen weg vom Desktop gedacht sind, das geht hier komplett verloren. Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Viele Nutzer werden all das wohl gar nicht bemerken, und es ist auch im Alltag kein riesiges Problem. Trotzdem wirkt diese Mischung unterschiedlicher Konzepte zunehmend wie das, was sie ist – ein bisschen zusammengestöpselt.

Die neue Aktivitätsübersicht samt Workspace-Vorschau.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Gute Details

Uneingeschränkt erfreulich sind hingegen andere Detailanpassungen am Desktop: So steht der systemweite Mistkübel direkt im seitlichen Dock zur Verfügung – ganz so, wie es bei früheren Ubuntu-Generationen schon mal war. Wechselmedien werden nun ebenfalls an dieser Stelle angezeigt. Das beste Update sind aber wohl die neuen Multi-Touch-Gesten, die mit Gnome 40 einhergehen, mit denen die Touchpad-Steuerung deutlich verbessert wird. Dazu gehören Gesten zum Wechsel auf die Aktivitätsübersicht oder auch zum Wechsel zwischen den einzelnen Desktops.

Wieder nicht aktuell

Etwas ärgerlich ist aber ein anderer Punkt: Ubuntu 21.10 bringt erneut keinen aktuellen Gnome-Desktop, wurde doch im September bereits Gnome 41 veröffentlicht. Während man bei Gnome 40 noch damit argumentieren konnte, dass das Zuwarten angesichts der großen Umbauten Sinn ergibt, kann man das bei der neuen Version nur schwerlich behaupten. So entsteht der Eindruck, als sei man mit der Anpassung all der Gnome-Erweiterungen, die die Ubuntu-Variante des Desktops ausmachen, leicht überfordert. Jedenfalls müssen die Ubuntu-User so auf einige interessante Verbesserungen wie neue Anpassungsmöglichkeiten für den Desktop oder auch Stromsparprofile vorerst noch verzichten.

Eine zentrale Änderung gibt es dafür beim optischen Auftritt: Das gemischte Hell/dunkel-Theme, das bisher von Haus aus zum Einsatz kam, wurde gestrichen, weil es kaum mehr gewartet wird und wohl auch nur mehr begrenzt zum Rest passte. Jetzt wird von Haus aus das "Yaru Light"-Theme genutzt, alternativ kann in den Systemeinstellungen aber auch ein dunkler Look gewählt werden.

Software-Auswahl

Kommen wir zur Programmausstattung: Auch von den Kern-Desktop-Tools sitzen einige – etwa der Dateimanager – auf ihren Gnome-40-Versionen fest. Nur einzelne wurden auf die aktuellen Ausgaben aus Gnome 41 aktualisiert – etwa der Bildbetrachter oder der Kalender. Das ganze System läuft auf Basis von Linux 5.13, aktuell ist der Kernel 5.14. Eckpunkte der Software-Ausstattung bilden Libreoffice 7.2 und Thunderbird 91.

Vieles ist bei Ubuntu 21.10 nicht mehr ganz aktuell. Das muss per se nichts Schlechtes sein, ist es aber zum Teil.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Firefox goes Snap

Als Default-Browser fungiert Firefox 93 – so weit, so unumstritten. Was hingegen ganz sicher noch für Diskussionen sorgen wird, ist die Art, wie der Mozilla-Browser hier ausgeliefert wird, nämlich als Snap-Paket. Dabei handelt es sich um ein Canonicals-eigenes Paketformat, das eigentlich distributionsunabhängig ausgelegt ist, bei anderen Distributionen aber nur auf begrenzte Begeisterung stößt und auch bei Nutzern üblicherweise nicht über die Maßen populär ist.

Ubuntu betont, dass die Entscheidung nicht zuletzt auf Wunsch von Mozilla getroffen wurde. Für den Browserhersteller ergibt sich daraus der Vorteil, dass man selbst bestimmen kann, was bei den Usern ankommt, sich also etwa nicht mit durch distributionsspezifische Pakete verursachte Bugs herumschlagen muss. Und auch die Auslieferung von Updates hat man so in der eigenen Hand, wird doch das Snap-Paket von Mozilla selbst gepflegt. Das verrät dann auch gleich den – langfristigen – Vorteil für Ubuntu, nämlich dass der Wartungsaufwand für die Distribution reduziert wird, und bei einem großen Paket wie Firefox ist das gar nicht so unerheblich. Gleichzeitig bricht das natürlich mit klassischen Linux-Prinzipien, nämlich dass eben die Distribution aus dem Quellcode fertige Pakete erstellt und so eine Rolle des Mittlers – und für viele auch eine zusätzliche Vertrauensebene – darstellt.

Performance?

Die Kritik an Snap ist aber nicht bloß in solch philosophischen Sphären angesiedelt, sie hat auch eine handfeste Ebene. So kritisieren Nutzer gerne, dass Snap-Pakete gewisse Performance-Defizite aufweisen. Canonical versichert, dass man zuletzt allerlei Optimierungen vorgenommen hat, gleichzeitig muss man aber sagen: Der Snap-Firefox in Ubuntu 21.10 startet im direkten Vergleich mit dem klassischen Paket tatsächlich erheblich langsamer, also wir reden hier sicher von mehr als einer Verdoppelung der Startzeit, wobei das natürlich stark vom jeweiligen Rechner abhängt.

Eine Liste der bei Ubuntu 21.10 vorinstallierten Snap-Pakete. Darin enthalten: Firefox.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die gute Nachricht: Wer damit unglücklich ist, für den gibt es alternativ auch weiterhin ein klassisches Paket – zumindest vorerst. Denn wer zwischen den Zeilen der Canonical-Äußerungen liest, der kann daraus schließen, dass man dessen Wartung nicht auf Dauer beibehalten und dann wohl alleinig in Community-Hände legen wird – so sich dort jemand findet. Vor allem aber ist all das erst ein Vorgeschmack: Mit dem kommenden Ubuntu 22.04 sollen nämlich zahlreiche der vorinstallierten Programme auf Snaps wechseln. Angesichts der verbliebenen Defizite ein recht gewagtes Vorhaben, aber wer weiß, vielleicht kann Canonical ja in den kommenden Monaten noch nachbessern. Zudem sollte nicht ganz übersehen werden, dass Snaps durchaus Vorteile haben, wie etwa dass die Programme hier üblicherweise getrennt vom restlichen System in einer Sandbox laufen – was der Sicherheit zuträglich ist.

Pipewire: bitte warten

Ebenfalls vorsichtig gibt sich die Canonical-Distribution bei Audiofragen: Während Fedora schon mit der Vorversion auf Pipewire gewechselt ist, verbleibt Ubuntu weiterhin bei Pulseaudio – konkret dessen Version 15. Das ist angesichts dessen, dass der Umstieg auf Pipewire nicht gerade reibungslos abgelaufen ist, prinzipiell verständlich. Allerdings ist ja jetzt auch Pulseaudio nicht unbedingt für überragende Stabilität bekannt, und Pipewire hat im Gegenzug erheblich mehr Möglichkeiten sowie eine bessere Performance und ist dabei ein kompatibler Ersatz zu sowohl Pulseaudio als auch die Profilösung Jack. Eine, zugegeben, schwere Entscheidung.

Wayland <3 Nvidia

Einen lange ersehnten Durchbruch gibt es dafür an anderer Stelle: Die neue Version ermöglicht erstmals von Haus aus das Zusammenspiel des X.org-Nachfolgers Wayland mit dem proprietären Grafiktreiber von Nvidia. Fall es hier zu Problem kommen sollte, kann aber weiterhin auch eine X.org-Sitzung benutzt werden.

Die Default-Themes im Vergleich: Ubuntu 21.04 (oben) vs Ubuntu 21.10.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Support

Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis: Wie es bei den halbjährlichen Releases von Ubuntu üblich ist, wird auch die neue Version nur sehr kurz mit Updates versorgt, bereits im Juli 2022 ist Schluss. Das ist allerdings kein sonderliches Problem, immerhin können die Nutzer im April direkt auf die nächste "Long Term Support"-Version der Distribution – konkret: Ubuntu 22.04 – aktualisieren, die dann bis zu zehn Jahre lang gepflegt wird.

Verfügbarkeit und Ausblick

Ubuntu 21.10 steht wie gewohnt von der Seite des Projekts als Systemabbild zum Download, das etwa auf einen USB-Stick gespielt werden kann. Von diesem kann dann wahlweise direkt in ein Live-System gestartet oder auch eine fixe Installation vorgenommen werden. Neben der Desktop-Version gibt es auch wieder Ausgaben für Server, IoT und Cloud. Die Community liefert zudem noch eine Reihe anderer Desktop-Varianten – etwa mit Budgie, KDE Plasma oder auch Xfce statt Gnome.

Für das kommende Ubuntu 22.04 stehen neben der erwähnten Snap-Umstellung noch einige andere größere Neuerungen an. So wird derzeit an einem komplett neuen Installer auf Basis von Googles UI-Toolkit Flutter gearbeitet. (Andreas Proschofsky, 14.10.2021)