Ridley Scotts "The Last Duel": Barbarei mit Barbarei zu bekämpfen und es dem Willen Gottes zuzuschreiben – da hilft auch vermeintliche Ritterlichkeit nicht.

Patrick Redmond

An einem kalten, klaren Tag im Jahr 1386 reiten zwei Männer aufeinander zu. Sie tragen schwere Rüstung und haben nur ein Ziel: den anderen mit der Lanze vom Pferd zu stoßen, ihn dann im Dreck niederzuringen und ihm schließlich mit irgendeiner der greifbaren Waffen den Garaus zu machen.

Mit einem bürgerlichen Duell, wie es in späteren Perioden der Geschichte üblich war, hat der Kampf nicht viel zu tun, mit einer ritterlichen Auseinandersetzung, wie man sie aus dem Mittelalter zu kennen meint, ebenfalls nicht.

Jean de Carrouges und Jacques Le Gris kämpfen nicht nur um ihr Leben, sondern um die Wahrheit. Sie fechten einen Gerichtskampf aus. Der Sieger hat Gott auf seiner Seite, wird quasi von ganz oben freigesprochen. In diesem Fall geht es aber noch um Leben und Tod, Freiheit oder Verdammnis einer weiteren Person: Verliert ihr Mann das Duell, wird Marguerite de Carrouges auf dem Scheiterhaufen sterben.

Der amerikanische Mediävist Eric Jager hat diese Geschichte 2004 in einem Sachbuch mit dem Titel The Last Duel aufgeschrieben. Das Duell war das letzte seiner Art, danach wurde das Gottesurteil mit Lanze und Klinge abgeschafft. Es geht also um eine Epochenschwelle. Eine aufgeklärtere Zeit deutet sich schon an, vorher muss aber noch jemand sterben.

Von der ersten Minute an ...

Matt Damon und Ben Affleck brachten den Stoff zu Ridley Scott. Die beiden Stars hatten ja schon bei Good Will Hunting auch als Autoren zusammengearbeitet, hier landen sie einen kuratorischen Coup. Denn Scott macht seit vielen Jahren Film um Film, ohne dass man immer so richtig erkennen könnte, was ihn daran interessiert. The Last Duel aber zeigt ihn in Bestform.

20th Century Studios

Von der ersten Minute an, von dem ersten Blick auf das gemauerte Geviert an, in dem der Kampf stattfinden wird, liegt eine Spannung in der Luft, die sich dann sukzessive mit Inhalt füllt. Denn es geht hier nicht nur um das Ende der Ritterlichkeit oder um die Ehre einer Frau. Es geht auch um eine bestimmte Form von Kino, die vielleicht bald so obsolet sein könnte wie der Gotteskampf im Mittelalter.

Alles beginnt mit einer Heirat, die im Zeitalter der Heiratspolitik stark geschäftlich geprägt ist: Jean de Carrouges (Matt Damon mit künstlich vernarbtem Gesicht und abenteuerlichem Vokuhila) ist finanziell in der Klemme, er lässt sich deswegen auf einen Ehebund mit Marguerite, der Tochter eines Verräters, ein.

... liegt Spannung ...

Das wichtigste Grundstück, das er sich davon erhofft, reißt sich aber Pierre d’Alencon unter den Nagel, der lokale Feudalherr, der für Jean die Instanz ist, über der nur noch der König in Paris steht.

Marguerite ist eine schöne Frau, gespielt von Jodie Comer. Diese ist bekannt geworden als die ruchlose Auftragsmörderin Villanelle in der TV-Serie Killing Eve. Marguerite erregt das Interesse von Jacques Le Gris, den Adam Driver großartig verkörpert und der mit Pierre (Ben Affleck) den Hedonismus teilt, während Carrouges eher der verbissene Typ ist. Eines Tages ist Marguerite gerade allein daheim, ohne Anstandsdamen und ohne Zeugen. Da klopft Le Gris an ihr Tor und nimmt sich, was sie ihm seiner Meinung nach angetragen hat. Er vergewaltigt sie und hofft, sie würde darüber kein Wort verlieren.

Dreimal wird dieser Teil der Geschichte in The Last Duel erzählt, aus der Perspektive zuerst der beiden Männer, schließlich aus der von Marguerite. Wie in Akira Kurosawas Klassiker Rashomon wird ein Ereignis so umkreist, dass es die subjektiven Wahrheiten preisgibt. Das verzweifelte und vom Schmerz verzerrte Gesicht von Jodie Comer in der entscheidenden Szene lässt aber keine Zweifel offen.

In Vergewaltigungsfällen steht oft Aussage gegen Aussage, ein Dilemma, das Gerichte nur durch ergänzende Aspekte auflösen können. In TheLast Duel ist der Gotteskampf die "mittelalterliche" Auflösung dieses Dilemmas, das aber von vornherein in ein komplexes Geflecht aus Leidenschaften, Ehrvorstellungen, Liebesidealen und patriarchalischen Ideen von weiblicher Lust aufgelöst wird.

... in der Luft

Bei dem schlussendlich ausgetragenen Kampf, der auch filmisch ein grandioser Höhepunkt ist, geht es also um sehr viel. Nicht zuletzt um ein Gladiatorenkino, mit dem Ridley Scott in der Arena unter fahlem Himmel, vor den Augen eines dümmlichen Königs und einer ausgelieferten Frau, seine eigene Praxis in den Blick nimmt.

The Last Duel ist ein Meisterwerk, das sich im Grunde selbst genau so abschafft, wie das barbarische Verfahren Gerichtskampf sich 1386 unmöglich machte. (Bert Rebhandl, 14.10.2021)