Ende Oktober landen diese Pizzaschachteln mit Inhalt und Botschaft in den Margaretner Haushalten.

Foto: Mafalda Rakos

Hakan will nur in Ruhe Pizza essen. Er lehnt sich an das parkende Auto im fünften Wiener Gemeindebezirk und beißt in ein Stück. Vor ihm im Schaufenster liegt eine Kartonschachtel. "Ich geh zum Hofer", steht darauf. Hakan, der die Schachtel gestaltet hat, spielt damit nicht auf den Supermarkt an. Er meint den FPÖ-Politiker Norbert Hofer. Dieser rennt als kleine Karikatur davon, dessen Sprechblase fleht: "Bitte tu' mir nichts".

Politik interessiert den 21-Jährigen eigentlich nicht besonders, er bezeichnet sich als neutral. Seine Freunde wurden schon oft als Ausländer beschimpft. Auch Hakan, der gebürtige Österreicher, wurde bereits zur Zielscheibe. "Die FPÖ ist halt gegen Ausländer. Und ich bin gegen sie"; sagt der 21-Jährige lapidar und als wäre er es gewohnt, sich rechtfertigen zu müssen, fügt er hinzu: "natürlich würde ich ihm nichts tun."

Pizzaschachtel als Medium

Dass die Propaganda rechter Parteien etwas mit Jugendlichen macht, sticht in der "Galerie school" in Wien-Margareten ins Auge. 50 Pizzakartons reihen sich hier aneinander, "Ich bin kein Ausländer. Ich bin hier geboren" steht auf einem. Der türkische Sichelmond, das Venussymbol, daneben die Worte "Türkische männliche Feministen". Auf einer anderen Schachtel steht: "Es geht nicht um die Größe, außer beim Basketball." Noch sind diese Schachteln mit politischen, satirischen Statements und Zeichnungen Ausstellungsstücke. In zwei Wochen aber wird Pizzafett auf sie triefen – und die Botschaften der Jugendlichen auf dem Esstisch von 6.000 Haushalten landen.

Das Projekt "Meinung austeilen" der Designerin Theresa Scherrer fußt auf der treibenden Kraft der Pizza. Für ihre Magisterarbeit an der Wiener Angewandten stellte sie sich gemeinsam mit dem Verein Wiener Jugendzentren die Frage, wie man Jugendliche – gerade in Corona-Zeiten – für Projekte erreichen kann. "Wenn es in der Vergangenheit schwierig war, Jugendliche zu motivieren, haben wir einfach Pizza bestellt", erklärte die Teamleiterin der mobilen Jugendarbeit in Margareten (Back on Stage 5), Laura Einiö-Wunderer. So entstand die "simple" Idee der Pizzaschachtel als Medium mit dem Deckel als Platz für Botschaften von Jugendlichen, sagt Scherrer.

Schwierige Kontaktaufnahme

Sperren, Kontaktabbrüche, Testpflicht, Impfverweigerung – all das begleitet den Verein Wiener Jugendzentren seit Beginn der Pandemie. Und verunmöglicht das "niederschwellige" Prinzip der offenen Tür, für das die Wiener Jugendzentren sonst stehen. Das führte dazu, dass sich vor allem Mädchen aus dem öffentlichen Raum zurückzogen, wie der STANDARD berichtete. Ausgewirkt hat sich das auch auf das Pizzaprojekt: "Oft war es wie eine Lotterie, ob wir überhaupt Jugendliche in den Parks antreffen", erzählt Designerin Scherrer. Viele, sagt Sozialarbeiterin Einiö-Wunderer, hätten in dieser Zeit saftige Corona-Strafen kassiert – manche wollten sich dem Risiko in den Parks nicht mehr aussetzen.

In 13 Workshops von Sommer bis Winter 2020 kamen 50 unterschiedliche Designs zustande, wie jene von Hakan, Arton und Ortsi.
Foto: Mafalda Rakos

Gerade in dieser Zeit war es, wie die Geschäftsführerin der Wiener Jugendzentren, Maga Manuela Smertnik, festhält, wichtiger denn je, dass Jugendliche zu Wort kommen. Und das eben auf originelle Weise. Auch der 20-jährige Arton spürte dieses Bedürfnis: Auf seine Schachtel zeichnete er zwei Sonnenblumen mit den Worten "Schönheit liegt im Ganzen". Ein paar Blüten fehlen. "Diese stehen für die 30 Prozent aller Wiener, die kein Wahlrecht haben", sagt Arton. Als gebürtiger Kosovare ohne hiesigen Pass fällt der angehende Maturant auch in diese Gruppe. Mit der Aktion, hofft Arton, begreifen vielleicht mehr Menschen diese Ungerechtigkeit.

Knapper Karton

In 13 Workshops von August bis Dezember 2020 kamen diese Botschaften in umliegenden Parks und der Einrichtung "Back on Stage 5" zustande. Dass ab Ende Oktober die Pizzakartons von Hakan und Arton überhaupt ihren Weg in die Margaretner Haushalte finden, stand aber eine Zeitlang auf der Kippe. "Fast hätten uns die Corona-Engpässe bei den Pizzaschachteln das Projekt gekostet", sagt die Designerin Scherrer. Allerdings seien viele Bekannte und Pizzerien aus der Umgebung ausgerückt und hätten mit angepackt – fünf Pizzerien konnte man bisher für das Projekt begeistern. Scherrer hofft noch auf mehr.

Während die einen bei der Eröffnung nach Pizzaecken greifen, müht sich Ortsi, der Urheber der ermutigenden Schachtel ("Befreie dich von deiner Angst"), mit zwei Augen eines Anime-Charakters ab. Selbstkritisch, wie er ist, versetzt ihn ein zu dicker Strich in Rage, "ich hab's verbockt!", ruft er aus. Er zerknüllt den Karton wie ein Blatt Papier, ehe alle am Tisch rufen: "Nein, es schaut doch eh gut aus!"(Elisa Tomaselli, 15.10.2021)